Fest, Fester, am Festesten

Der Kiez zwischen Karneval der Kulturen und Bergmannstraßenfest

Abschiedsvorstellung? Afoxé Loni führt seit 15 Jahren den KdK-Umzug an. Es war in diesem Jahr wohl das letzte Mal. Foto: mr

Im Juni kam es dann wirklich knüppeldick. Dass sich im späten Frühjahr und im frühen Frühsommer die Feste häufen, ist ja nichts Außergewöhnliches, doch eine solche Ballung auf einen Monat hat es selten gegeben. Mit schuld war natürlich der Kalender, der in diesem Jahr Ostern und damit logischerweise auch Pfingsten auf den zweitspätesten nur möglichen Termin im Jahr geschoben hat. Damit rückte der Karneval der Kulturen anderen traditionellen Junifesten schon bedenklich nahe.

Über eine Million Menschen zog es innerhalb der vier Festtage auf den Blücherplatz und am Pfingssonntag zum großen Umzug. Der wurde möglicherweise zum letzten Mal traditionell von der brasilianischen Formation Afoxé Loni angeführt. Den weiß-gelben Bahnbrechern geht das Geld aus, und ein Auftreten beim Karneval 2012 ist zumindest ungewiss.

Die Gruppe Comparsa Chamanes wusste die Jury am besten zu überzeugen und gewann den Wettbewerb mit 107 Punkten, gefolgt von »Der ungarische Schnurrbart« und den Kids 44 aus Neukölln, die bereits im Vorjahr für ihren Wagen ausgezeichnet worden waren.

Während der Karneval der Kulturen in diesem Jahr vom Wettergott einigermaßen begünstigt war, hatten die anderen Feste nicht ganz soviel Glück. Die Fête de la musique ertrank zwar nicht ganz so im Regen wie vor einigen Jahren, doch der eine oder andere kalte Guss sorgte dann doch für Abkühlung. Insgesamt gab es zumindest im Süden Kreuzbergs etwas weniger Bands, als in den letzten Jahren zu hören, was wohl auch dem Termin mitten in der Woche an einem Dienstag geschuldet war.

Einen feuchten Auftakt erlebte auch das Bergmannstraßenfest. Drei Tage wurde dort gejazzt und am Chamissoplatz von Sterneköchen gekocht. Auf vier Bühnen und in der Passionskirche wurde drei Tage fleißig Musik gemacht. Jazz war dabei aber nicht alles. Darüber hinaus war die Bühne in der Nostizstraße für Theaterprojekte reserviert.

Guten Appetit: Die Kreuzberger Spitzenköche präsentierten am Chamissoplatz für wenig Geld ihr großes Können. Foto: phils

Für den kulinarischen Höhepunkt sorgten sechs Kreuzberger Spitzenköche, angeführt von Stefan Hartmann, der erst vor kurzem für seine Küchenkunst mit einem Stern im Guide Michelin belohnt wurde. Er servierte gebackenen Kabeljau mit französischem Gemüse und Wildkräutern. Für gerade mal sieben Euro konnte sich der Besucher auf diese Weise einmal von einem echten Sternekoch bekochen lassen.

Den Festreigen vervollständigte schließlich das Festival »Berlin lacht«. Auf dem Mariannenplatz hatten sich wieder zahllose Straßenkünstler versammelt, die dort gemeinsam ihr Können darboten. Ganz ungetrübt blieben die Feiern indes nicht. Am ersten Tag des Karnevals stürzte ein betrunkener Gast am Halleschen Tor in den Landwehrkanal und ertrank.

Was heißt schon Genosse?

Vielleicht lag es ja wirklich an den Temperaturen. Zwar war der 1. Mai ein strahlend schöner, aber auch ein ziemlich kühler Tag. Doch schon im Vorfeld war alles viel ruhiger geblieben. Liebig 14, Gentrifizierungsdebatte – heiße Themen gab es genug. Als der Zug plötzlich unvermittelt ins Herz des Graefekiezes abbog, da fürchteten einige schon das Schlimmste. Gerade hier wird die Gentrifizierung heftig diskutiert und betrieben. Doch es gab keine Schlacht um den Graefekiez. Zuvor aber eingeworfene Fensterscheiben bei zwei Volksbanken, was Hans-Christian Ströbele verwundert zur Kenntnis nahm. Im Prinzip hat er ja recht. Gegen den Imperialismus auf die Straße zu gehen und genossenschaftliche Strukturen nicht zu kennen sind eigentlich zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen sollten. Der 1. Mai doch nur noch Politfolklore? Es war jedenfalls ein Schritt dahin.

Der Südstern bleibt unerreicht

1. Mai so ruhig wie seit Jahren nicht mehr

Seht wie der Zug der Millionen...: es waren aber nur 10.000 auf dem Kottbusser Damm. Foto: rsp

Die Routenführung der revolutionären Mai-Demo hatte schon seit Tagen zu Diskussionen geführt. Über den Kottbusser Damm, die Sonnenallee, in einem Kringel durch Neukölln sollte der Zug über die Hasenheide schließlich bis zum Südstern ziehen. Warum es gerade der Südstern sein sollte, blieb ein wenig schleierhaft, und außerdem schien eine Demonstrationsstrecke von 6,21 Kilometern am Sonntagabend doch reichlich ambitioniert.

Immerhin, die rund 10.000 Demonstranten, die sich um 18 Uhr an der Kottbusser Brücke versammelten, hätten es zumindest zeitlich schaffen können. Um 20.30 Uhr wollten sie am Südstern sein. Um 20 Uhr endete die Demo vorerst am Hermannplatz. Zuvor war es zu den üblichen Rangeleien zwischen Polizei und Autonomen gekommen. Von der einen Seite flogen Steine und Flaschen, von der anderen kam Pfefferspray. Doch im Großen und Ganzen blieb alles doch sehr verhalten.

Dass bei einigen Steinwürfen ausgerechnet die genossenschaftlich organisierten Volksbanken der Zorn der Demonstranten traf, irritierte den Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne).

Kurz nach 20 Uhr schienen sich die Ereignisse am Hermannplatz zu überschlagen. Da wurde von Rauch über dem Hermannplatz getwittert, von blutigen Nasen und von Pfefferspray. Dann kam plötzlich die Nachricht, dass die eigentlich für beendet erklärte Demo doch noch bis zum Südstern weiterziehe, was Sekunden später widerrufen wurde.

Etwa zur gleichen Zeit wurden noch einmal massiv Polizeikräfte aus der ehemaligen Polizeikaserne am Columbia­damm herangeführt. Parallel dazu kamen auch zahlreiche Mannschaftsfahrzeuge aus dem Volkspark Hasenheide, die sich dort bisher in Deckung gehalten hatten.

Nun begann sich die Menge am Hermannplatz zu verteilen. Das Gros allerdings setzte sich nun doch wieder in Richtung Südstern in Bewegung, bog dann allerdings unvermittelt in die Jahnstraße ab.

Der Zug war unterwegs in den Graefekiez. Und so kamen schnell Spekulationen auf, dass es am Zickenplatz noch zu einer größeren Auseinandersetzung kommen könne, die aber trotz oder wegen eines starken Polizeiaufgebotes ausblieb.
Am Ende landeten die meisten doch wieder dort, wo alles angefangen hatte. Nun bewahrheitete sich das, was die Polizeiführung schon im Vorfeld vermutet hatte: Statt großer Straßenschlachten würde es diesmal zu einer Art »Guerilla-Taktik« kommen. Immerhin brannte an der Ecke Wiener-/Glogauer Straße ein Auto.

Am Ende waren sich alle Seiten wenigstens über eines einig. So ruhig und friedlich war der 1. Mai in Kreuzberg lange nicht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2011.

Kampf den Touri-Monstern

Ein Gespenst geht um in Europa. Es trägt meistens einen überdimensionierten Rucksack, hält in der einen Hand eine Bierflasche, in der anderen den Lonely Planet, macht auf der Admiralbrücke Krach, zerdeppert Flaschen und klettert über Autos. Kampf dem internationalen Tourismus!

Ist das zu fassen? Kreuzberg, Hort der Toleranz, Hochburg des Multikulturismus, Austragungsort des Karnevals der Kulturen ist fremdenfeindlich? Jeder religiös, rassisch oder gendermäßig Verfolgte von Botswana bis Papua wird hier mit offenen Armen – zurecht – empfangen. Nur saufende, gröhlende Spanier, Italiener, Engländer oder Skandinavier, die hier eine Menge Geld liegen lassen, sollen draußen bleiben. Mann, oh Mann! Das ist auch ‘ne Art der Problembewältigung. Warum kommen die wohl ausgerechnet nach Kreuzberg? Sicher nicht wegen der warmen Quellen und dem Alpenpanorama.

Erbonkel und Friedensstifter

Manchmal lohnt es sich auch, einen Blick zurück zu werfen, wenn man in die Zukunft schauen will. Vor einem Jahr prophezeihten wir an dieser Stelle, dass das SO36 nicht dicht gemacht werde. Ehrlicherweise stand das damals weniger als Vorhersage, sondern als ein eher verzweifelter Wunsch. Und? Er ist dann doch noch in Erfüllung gegangen. Und was lernen wir daraus? Vielleicht sollten wir für 2011 einfach unverdrossen auch auf die unwahrscheinlichen Dinge hoffen. Vielleicht stoppen ja Einsicht und Vernunft Gentrifzierung und Geldgier. Vielleicht hinterlässt ein unbekannter reicher Erbonkel in den USA Kreuzberg ein Milliardenvermögen. Und vielleicht wird sich an einem milden Frühlingsabend ein weiser alter Mann auf die Admiralbrücke setzen, um mit Anwohnern und Partyvolk ins Gespräch zu kommen. Und danach bricht dort dann der große Friede aus.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2011.

Auf begehbaren Pfaden

Fußgänger haben es in diesem Winterchaos besser als im letzten

Es war ein Déjà-Vu der schlimmeren Sorte, als der Dezember mit Eis und Schnee begann. »Geht das schon wieder los«, hat der eine oder andere gedacht und der nächste hatte schlagartig Frühling, Sommer und Herbst verdrängt: »Hatten wir das nicht erst vor drei Wochen?«

Verschneite AutosWer braucht schon sein Auto? Die meisten Wagen im Kiez bekamen Winterferien. Foto: phils

Dass das neue Jahr mit Tauwetter begonnen hat, kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass die letzten vier Wochen von 2010 auf manche wie ein Spiegelbild der ersten sechs wirkten.
Trotzdem gibt es doch einige gravierende Unterschiede. Beispielsweise war es im letzen Winter nicht nötig gewesen, das Nationaldenkmal auf dem Kreuzberg zu sperren. Diesmal hielt es das Bezirksamt für dringend geraten, den Schinkelbau vor Silvester dicht zu machen. Gesperrt war eine höfliche Untertreibung. Das Denkmal war mit einem Bauzaun verrammelt.
Manch ein Räumdienst hat nach dem zweiten schneereichen Winter in Folge die weiße Fahne gehisst. Die, die übrig geblieben sind, machen es, so scheint es, dann doch ein wenig besser. Zwar war es niemandem gegeben, die ganze weiße Pracht einfach verschwinden zu lassen, doch zumindest auf den Gehsteigen gibt es diesmal erkenn- und vor allem begehbare Pfade. Die hatte es vor einem knappen Jahr fast nirgendwo mehr gegeben. Vorherrschend waren meist unpassierbare hochgefährliche Eisbahnen.
Die Erkenntnis, dass Split auch für Fußwege eine durchaus segensreiche Einrichtung ist, hat sich im Winter 2010/11 offensichtlich ziemlich flächendeckend durchgesetzt.
Insgesamt scheint es so, als habe der Kiez aus den sechs Horrorwochen zu Beginn des vergangenen Jahres einige wichtige Lehren gezogen, wenngleich nach dem dezemberlichen Wintereinbruch viele genau dieses bezweifelt hatten.
Ob daran die drastischen Strafandrohungen für Räummuffel schuld sind, oder ob die neue Begehlichkeit der Wege auf die Einsicht der Hauseigentümer zurückzuführen ist, ist letzlich egal.
Dass diesmal wenigstens die Gehwege zu begehen sind, macht schließlich Sinn, denn die Straßen für Auto- oder gar Radfahrer freizumachen, ist zwar löblich, aber die meisten von denen sind inzwischen auch Fußgänger geworden. Das erkennt man an ihren Fahrzeugen, die sie seit Wochen unter gigantischen Schneehaufen versteckt haben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2011.

Die Kreuzberger Trockenlegung

So war 2010 im Kiez / Ein Jahresrückblick von Peter S. Kaspar

Das Jahr beginnt so, wie es aufhören wird, mit Schnee und Frost. Es gibt einen kleinen, aber bedeutenden Unterschied. Der Jahresbeginn leitete eine sechswöchige Eis- und Kälteperiode ein. Am Ende des Jahres währt die schon seit vier Wochen.
Bei Radio Multicult2.0 herrscht Freude: Die Ex-Multikulti-Macher haben nun ein Studio in der Marheineke-Markthalle. Außerdem gibt’s wieder ein kleines Fenster auf einer Frequenz.
Im Februar lehnt die BVV fast einhellig den Haushalt für 2010 und 2011 ab. Nur die SPD stimmt dafür. Alle anderen Parteien demonstrieren damit gegen die Politik des Senats, der die Bezirke am ausgestreckten Arm verhungern lässt.
Fast wie ein Aprilscherz mutete es an, dass der Bezirk versucht einen möglichst alkoholfreien 1. Mai durchzusetzen. Der tatsächliche Aprilscherz der KuK, nämlich dass Kreuzberg Europäisches Pilotprojekt für ein absolutes Rauchverbot wird, segelt derweil unter die Top 100 der besten deutschen Aprilscherze 2010.
Die gute Nachricht im April: Der monatelange Kampf um den Erhalt des SO36, in den sich unter anderem auch heldenhaft die »Toten Hosen« gestürzt hatten, ist erfolgreich. Der Club bleibt – und wird auch noch zum besten Deutschlands gewählt.
Doch nicht überall sieht es an der Gentrifizierungsfront so gut aus. Im Fanny-Hensel-Kiez explodieren die Mieten für alle Mieter mit türkischen und arabischen Nachnamen. Wer sich solidarisiert und protestiert muss ebenfalls mehr bezahlen – und dann gibt’s auch noch einen Verzweiflungstoten.
Der Eyjafjallajökull verfinstert Europas Luftraum und lässt auch so manchen Kreuzberger irgendwo stranden. Abenteuerliche Geschichten von abenteuerlichen Heimfahrten häufen sich.
Der erste Mai kommt und es gibt doch an ein paar Bühnen Bier. Die dürfen aber nur Bier ausschenken, wenn sie eine umfangreiche Security stellen. Die aber kostet Geld. Der Bierausschank rechnet sich nur, wenn während des gesamten Myfestes alle neun Sekunden ein Bier über den mobilen Tresen geht.

Rettung, Rücktritt, Ränke schmieden – Was in der zweiten Hälfte von 2010 passierte

Ob es deshalb am 1.Mai recht ruhig bleibt? Nun ja – es regnet auch und der Niederschlag spült wie immer eine Menge Krawallbereitschaft weg.
Berlin ohne Bundesliga? Hertha macht‘s möglich nach dem Abstieg. Für ein paar Fans ist das wohl zuviel. Sie attackieren beim Umzug zum Karneval der Kulturen den Wagen von Tennis Borussia.
Das Tempelhofer Feld ist offen für alle. Aus dem einstigen Kiezflughafen wird die größte Spielwiese südlich von Kreuzberg.
Marga Behrends ist tot. Sie verbrachte ihre 102 durchaus aufregenden Lebensjahre alle im Kiez zwischen Tempelherren- und Fürbringerstraße. Außerdem war die Jugendfreundin von Marlene Dietrich die letzte überlebende Tänzerin vom Admiralspalast.
Es ist wie im Jahr 2006. Nach einem kühlen, feuchten Frühling wird es mit Beginn der Fußball-WM richtig warm, das lässt hoffen.
Auf dem Tempelhofer Feld hat offenbar ein Sportflieger noch nicht realisiert, dass hier kein Flughafen mehr ist. Er landet zwischen Skatern und Drachenfliegern. Notlandung, meint der Pilot.
Große Ehre: Der Preis »Europa nostra« geht an die Initiative für die Sanierung des Baerwaldbades.
Es wird immer heißer. Im Juli ist Kreuzberg an einem Tag sogar der heißeste Fleck der Republik. Die WM endet – und der Sommer ist faktisch zu Ende. Dafür kommt Wowi zum Kiezbesuch und kuckt sich den Kotti an. Für die Berliner Schüler beginnt die Sekundarschul-Ära – für die in der neuen Friedrich-Ludwig-Jahn-Sekundarschule im Graefekiez beginnt sie zunächst gar nicht. Das Schulgebäude stellt sich zu Schulbeginn als nicht beziehbar heraus. Die Bezirksstadträtinnen Monika Herrmann und Jutta Kalepky streiten sich darüber, wer schuld ist.
Im September ist Marathon – ohne Sonne und ohne Haile. Da kommt unvermutet ein Lichtlein: Der konservative CDUler Kurt Wansner denkt darüber nach, gut ausgebildete junge Kreuzberger Türken zurück in die Heimat zu holen – wenn sie inzwischen einen gut bezahlten Job am Bosporus gefunden haben.
Eigentlich hätte jetzt im Oktober das letzte Stündlein für das Archiv der Jugendkulturen geschlagen. Doch die Rettung in letzter Minute heißt: Stiften gehen. Eine Stiftung rettet das Archiv. Keine Rettung dagegen gibt’s für die Auslage des Revolutionsladens M99 in der Manteuffelstraße in 36. Vermutlich sind es Neonazis, die das Feuer gelegt haben.
Das Gegenteil von Integration: Im fränkischen Hof fliegt ein junges Paar aus dem gebuchten Hotel. Begründung: Ihr Wohnort ist Kreuzberg.
Abschied von Miran Hauptmann. Der Mitbegründer der KuK stirbt im Alter von 57 Jahren.
Im November werden die Preisträger für die beste Friedensidee auf der Admiralsbrücke gekürt. Ob die Ideen funktionieren, wird sich wohl erst im Frühjahr zeigen, wenn es wieder warm und trocken ist.
Der Wahlkampf im Bezirk fängt früh an. Ein gutes Jahr vor den Kommunalwahlen verkündet SPD-Chef Jan Stöß, dass er der nächste Bezirksbürgermeister werden will.
Ihre eigene Eckkneipe in Kreuzberg war ihr letztes Lebensziel. Die hatte Berlins dickste Hure, Molly Luft, zwar 2004 noch eröffnen, aber nicht halten können. Im November stirbt sie in einem Pflegeheim in Köpenick im Alter von 66 Jahren.
Irgendwie hatten wir das alles schon: Diesmal kommt der große Schnee bereits Anfang Dezember. Wie lang soll dieser Winter denn werden? Winterliche Überraschung: Baustadträtin Jutta Kalepky tritt zurück, was Insider nicht wirklich überrascht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2011.

Mieter raus und Touris rein

Kurze Momentaufnahmen zum Thema Gentrifzierung im Kiez

Gentrifizierung und die Folgen. Foto: psk

Die Gentrifizierung schlägt immer stärker zu. In der Willibald-Alexis-Straße 34 wollen sie sich die Bewohner nun Hilfe beim Regierenden Bürgermeister holen, an den sie sich in einem offenen Brief wenden.

Hier nun einige Beispiel, was gerade in Sachen Gentrifizierung passiert:

Nachdem die Eck-Kneipe »Tabula Rasa« im Chamisso-Kiez vor zwei Jahren nach Verkauf des Hauses und einer heftigen Mieterhöhung schließen musste, werden nun die Räume zu Ferienwohnungen umgebaut. Da Touristen bereit sind, im beliebten Kiez in der Nähe der Bergmannstraße 50 Euro pro Nacht und mehr zu zahlen, werden schnell Gelddruckmaschinen aus Räumen, in denen sich auf Grund der hohen Miete keine Kneipe mehr wirtschaftlich betreiben lässt.

Im Graefekiez ist nun das eingetreten, was angeblich nicht eintreten sollte. Bewohner der Luxuswohnungen im Fichtebunker haben nun gegen den benachbarten Sportplatz geklagt. Gegen den Bau dieser Wohnungen hatte es vor drei Jahren massive Proteste gegeben, weil genau dieses befürchtet wurde.

Die AG Mieten im Graefekiez hat bei ihrem jüngsten Kiezspaziergang festgestellt, dass es auch im Graefekiez starke Tendenzen gibt, Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben, um sie dann in Eigentums- oder Ferienwohnungen zu verwandeln. Konkrete Fälle haben sie dabei in Böckhstraße, zweimal in der Dieffenbachstraße, in der Graefestraße und in der Grimmstraße ausgemacht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2010.

Watschenfrau will nicht mehr

Es war ein glänzender Triumph für Dr. Franz Schulz, als er vor vier Jahren endlich wieder ins Amtszimmer des Bürgermeisters einziehen durfte und dann noch mit einer satten Mehrheit der Grünen im Rücken. Da kann man auch mal großzügig sein und jemanden ohne Parteibuch in die Verwaltungsspitze holen. Er holte eine ausgewiesene Expertin in das Ressort, das er so lange verwaltet hatte. Jutta Kalepky, Vorstandsmitglied in der Architektenkammer, Koordinatorin bei der Internationalen Bauausstellung und Gastprofessorin in Kassel. Dumm nur, dass diese Expertin soviel nicht zu sagen hatte, weil Schulz ja eigentlich auch Gefallen an den Aufgaben des Baustadtrates gefunden hatte – immerhin ein sehr kreatives Ressort. Wieviel sie tatsächlich zu sagen hatte, zeigte sich bald. Während sie noch mit dem Runden Tisch über die künftige Nutzung des ehemaligen Kasernengeländes hinter der Reinhardswaldschule als Jugendzentrum verhandelte, hatte Schulz das Gelände hinter ihrem Rücken bereits einem merkwürdigen Kunstverein zugeschlagen. Beim Streit um die Admiralbrücke war sie es, die die Kastanien aus dem Feuer holen sollte und sich dabei die Finger verbrannte. Zuletzt wurde ihr vorgeworfen, sie sei im Urlaub gewesen, als in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sekundarschule im Graefekiez der Baunotstand ausbrach. Immerhin stand zwei Tage später ihre Kollegin Monika Herrmann mediengerecht auf der Baustelle vor den rbb-Kameras und ließ an der Bezirksamtskollegin kein gutes Haar. Vielleicht hat Jutta Kalepky Fehler gemacht, vielleicht sogar viele oder gar haarsträubende. Trotzdem bleibt bei der Personalie ein merkwürdiges Gefühl zurück. Es scheint so, als habe sie von Anfang an im Bezirksamt die Rolle der Watschenfrau übernehmen müssen. Dank eines übermächtigen Bezirksbürgermeisters waren ihre Handlungsspielräume gering, aber um Prügel einzustecken war sie dann noch noch gut genug.

Jutta Kalepky tritt zurück

Die parteilose Baustadträtin Jutta Kalepky tritt zum 14. Dezember von ihrem Amt zurück. Dies teilte sie Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz, wie aus einer Pressemitteilung des Bezirksamtes hervorgeht, heute mit.

Die parteilose Architektin war 2006 auf dem Ticket der Grünen ins Bezirksamt eingezogen. Dort erbte sie von ihrem neuen Chef, dem Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz, das Bauamt. Allerdings hatte Schulz aus dem Ressort wesentliche Teile herausgeschnitten und seinem eigenen Amt zugeschlagen.

Zuletzt war Jutta Kalepky massiv in die Kritik geraten, als sich die Baumaßnahmen in der neuen Friedrich-Ludwig-Jahn-Sekundarschule so massiv verzögert hatten, dass für die Schüler zu Schuljahresbeginn Ausweichquartiere gesucht werden mussten.

Ob ihr Rücktritt damit zusammenhängt, ist unklar. Jedenfalls begründete Jutta Kalepky ihren Rückzug aus dem Rathaus mit dem mangelnden Vertrauen in ihre Arbeit.

Am 15. Dezember tritt die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg wieder zusammen. Dann soll auch ein neuer Baustadtrat gefunden werden. Nach dem Parteienproporz steht dieses Amt den Grünen zu, die in der BVV über die Mehrheit verfügen.

Die Einschläge kommen näher

Eigentlich gibt es ja gute Nachrichten vom rechten Rand. Korruptionsaffären und Führungskämpfe schwächen die Neonazis. Seit ihr wichtigster Geldgeber gestorben ist, scheint auch der Geldhahn zu zu sein, und von der heftigen Intergrationsdebatte können sie auch nicht profitieren.

Aber es gibt auch sehr schlechte Nachrichten. Die braunen Trupps wagen sich nun immer öfter dahin, wo für sie früher eine echte No-Go-Aerea war: Nach Kreuzberg SO 36. Natürlich tun sie es nachts und sie tun es feige, aber sie tun es. Die Einschläge kommen offenbar immer näher.

Vielleicht hat ja das eine mit dem anderen zu tun. Wenn die Führungsstrukturen erodieren, dann wird die Basis unberechenbar. Vielleicht zeigen die Anschläge im autonomen Herzen Kreuzbergs die wahre Verzweiflung der Neonazis. Doch wenn sie wirklich ihre letzte Schlacht schlagen, dann könnte es in den nächsten Wochen und Monaten eher schlimmer als besser werden.

Brückenbauer

Mediation ist jedem Rechtsstreit vorzuziehen und Bürgerbeteiligung ist allemal eine feine Sache. Allerdings setzt Mediation voraus, dass es wenigstens zwei Konfliktparteien gibt. Genau da liegt doch das eigentliche Problem. Während des Bundestagswahlkampfs hatte sich der damalige SPD-Kandidat Björn Böhning klar gegen die allabendliche Fiesta am Landwehrkanal ausgesprochen – mit einer interessanten Begründung. Das habe ja nichts mit dem Kreuzberger Lebensgefühl zu tun, sondern sei eine Erfindung vom Reiseführer »Lonely Planet«.

Wenn erlebnishungrige Backpacker aus Dublin oder Valencia abends an der Admiralbrücke ihre Klampfe auspacken, wird eine Mediation wohl ebenso erfolgreich sein, wie ein Schild, auf dem das Wort »Schallüberträger« steht.

Insofern ist ein Ideenwettbewerb vielleicht noch das beste, was man in der Situation machen kann. Schließlich ist Kreuzberg ja die Kreativmetropole Deutschlands. Vielleicht hat ja jemand eine geniale Idee.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2010.

Gute Idee bringt bares Geld

Mediatorinnen loben Preis für Admiralbrückenbefriedung aus

Kommt nun Bewegung in den Streit um die Admiralbrücke? Im Mai wurde »Streit Entknoten – Büro für Mediation und Interkulturelle Kommunikation« vom Bezirksamt eingeschaltet, nachdem sich der Bezirk darauf geeignet hatte, den Konflikt durch eine Mediation zu lösen.

Sosan Azad und Doris Wietfeldt sollen nun erst einmal herausfinden, wo die Konfliktlinien verlaufen und wo Gespräche sinnvoll geführt werden können.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation ist strikte Neutralität. Mediatoren sind dazu da, zwei Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen, die bislang im gegenseitigen Umgang sprachlos waren.

Der Streit um die Admiralbrücke schwelt nun schon seit mehr als zwei Jahren. Zum ersten Mal drang er ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als Stadträtin Jutta Kalepky ein Schild an der Admiralbrücke anbringen ließ. Darauf bat sie die Brückenbesucher höflich darum, die Brücke sauber zu halten, den Müll selbst zu entsorgen, ab 22 Uhr die Nachtruhe der Anwohner zu beachten und auf das Musizieren zu verzichten. Sie begründete dies mit dem denkwürdigen Satz: »Wasser ist ein guter Schallüberträger«. Das Schild hing nicht besonders lange.

Spätestens nun wurde jedem klar, dass die Admiralbrücke an lauen Sommerabenden eine der angesagtesten Feierlocations der Stadt ist.

Die Anwohner wehrten sich gegen Krach und Müll auf der Brücke, doch je höher sich der Streit aufschaukelte, desto mehr zog die eiserne Brücke im Jugendstil junge Leute zum abendlichen Sonnenuntergangs­spektakel mit Musik an. Inzwischen vergeht kaum eine Woche, an der nicht irgendein Fernsehteam an der Brücke auftaucht, um junge Menschen zu interviewen.

Einerseits ist hier eine Art Touristenattraktion entstanden, andererseits klagen die Anwohner ihr Recht auf Nachtruhe ein. Und hier wollen Sosan Azad und Doris Wietfeldt nun einen Weg finden.

Sie wählen nun eine für eine Mediation vielleicht etwas ungewöhnliche Methode: Sie haben einen Ideen-Wettbewerb ausgeschrieben. Wer glaubt, eine Methode zu kennen, den Frieden zwischen Anwohnern und Brückenbesuchern herzustellen, kann sich daran beteiligen. Die fünf besten Vorschläge werden mit 100 Euro prämiert. Das Geld kommt aus dem Resort von Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD), der »Streit Entknoten« mit der Mediation beauftragt hat. Sechs Monate soll das Mediationsverfahren dauern.

Die Vorschläge können formlos bis zum 31. August eingereicht werden. Alle Informationen zu den Teilnahmebedingungen gibt es auf der Webseite des Mediationsbüros.

Die Mediatorinnen hoffen auf eine rege Beteiligung. »Mit dem Ideenwettbewerb haben Sie die Möglichkeit, sich für ein konfliktfreies Miteinander auf der Admiralbrücke einzusetzen und das Leben im öffentlichen Raum mitzugestalten. Die Brücke soll als Ort der Begegnung bewahrt und der verantwortungsvolle Umgang soll gefördert werden«, heißt es in einer Mitteilung der Mediatorinnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2010.

Landet ooch in Tempelhof

Sportmaschine muss im neuen Park notlanden

Socata TB 10 landete in TempelhofErlebnispark Tempelhof. Foto: Felix Passenberg

Es ist ja nichts passiert, aber dem einen oder anderen Radler oder Skater ist dann doch ein wenig das Herz in die Hose gerutscht, als neben ihm an diesem strahlenden Sommertag eine einmotorige Socata TB 10 niederging. Die einen halten es für unerhört, mit einer Sportmaschine mitten in einem belebten Park zu landen, andere finden, dass es eine glückliche Fügung des Schicksals ist, dass es auf dem ehemaligen Cityairport Tempelhof noch intakte Landebahnen gibt.

Der Pilot der einmotorigen TB 10 hatte drei Passagiere an Bord und war mit ihnen zu einem 15minütigen Rundflug von Tegel aus gestartet. Als der Motor beim Pflichtmeldepunkt Echo 2 über Neukölln aus nicht geklärten Gründen zu stottern begann, landete der 31jährige, nach Absprache mit der Flugsicherung in Schönefeld auf der südlichen Landebahn des ehemaligen Flughafens.

Vorsichtshalber wurde die Feuerwehr in Marsch gesetzt, die jedoch nicht eingreifen musste. Die Polizei sperrte die Maschine ab.

Die ungeplante Landung fand bei den Besuchern der Parks ein unterschiedliches Echo. Die einen beschimpften den Flieger als »bescheuert«, eine andere fühlte sich gar an den Fliegerstreich von Mathias Rust erinnert, der vor 23 Jahren mit einer Cessna neben dem Roten Platz in Moskau landete.

Nun ist der Rote Platz definitv kein Flughafen, das Tempelhofer Feld war es aber bis vor kurzem. Viele Parkbesucher hatten dennoch gemerkt, dass es sich bei dieser unplanmäßigen Landung um einen Notfall gehandelt hatte.

Wenn die Maschine repariert und gecheckt ist, könnte sie theoretisch wieder abheben und zurückfliegen. So einfach ist das aber nicht, denn um abheben zu dürfen braucht der Pilot eine Sondergenehmigung vom Senat. Bekommt er die nicht, muss die Maschine mit einem LKW abtransportiert werden. Ohnehin dürfte sich die Reparatur des Motorschadens mangels Werkstatt schwierig gestalten.