Veränderte Wahrnehmung

Es ist noch nicht so lange her, da war das „neue“ Kreuzberg das Ziel milden medialen Spotts. Vor allem Bergmann- und Chamissokiez mit seiner etwas verschwurbelten grünen Bohème wurden ins publizistische Visier genommen, aber auch die allgegenwärtige Protest- und Kampfbereitschaft gegen jedwede echte oder eingebildete Ungerechtigkeit. Initiativen und bürgerliches Engagement wurden als putzige folkloristische Auswüchse einer eigentlich untergegangenen Kultur belächelt, die ihren „Oberkrainer Ernst Mosch“ in Rio Reiser selig gefunden hatte. Doch auf einmal wendet sich das Blatt buchstäblich. Der Tagesspiegel widmet dem Kotti in der Sonntagsausgabe seine Seite zwei, und am Mittwoch wird das Engagement in der Düttmann-Siedlung in einer ganzseitigen Seite-Drei-Reportage gewürdigt. Zeitgleich erscheint die Zitty mit einer Titelgeschichte über den Kotti. Diese Geschichten gäbe es nicht, wenn sich nicht Menschen für ihren Nachbarschaft engagieren würden. Offensichtlich hat bürgerschaftliches Engagement dann doch nicht so viel mit Folklore, sondern mit Einsicht in die Notwendigkeit und gesundem Menschenverstand zu tun.

Parteifreunde

Der Kotti ist wieder im Gespräch, Zeitungen ist er große Reportagen wert, andere Medien stellen tiefschürfende Reflexionen an. Interessant dabei ist der Auslöser. Da haben Anwohner mal wieder gegen die Fixer-Szene aufbegehrt. Das Problem ist in den letzten Jahren größer geworden und wird auch nicht kleiner, wenn nun eine Drückerstube in der Dresdener Straße geschlossen wird. Auf der Suche nach einer Lösung verfiel Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz auf die – zumindest parteiintern wahnwitzige – Idee, das ganze Päckchen einfach vor der Türe seines Bundesvorsitzenden Cem Özdemir abzulegen, und zwar buchstäblich. Ein kurdisches Café, unmittelbar in Özdemirs Nachbarschaft an der Kottbusser Straße, macht dicht, und da könnte die Drückerstube ja unterkommen, meinte der Bezirksbürgermeister. Was Schulz, gewollt oder ungewollt, übersah: Es gibt bereits einen Nachmieter. Das musste ihm ausgerechnet der Grünenchef erst mal sagen. Blöd ist jetzt nur, dass sein Parteifreund Özdemir so dasteht, als unterlaufe er nun die Drogenpolitik des Bezirks und sei nur darauf bedacht, Probleme von seiner Heimstatt fernzuhalten. Dächte Özdemir so, hätte er auch in den Chamissokiez ziehen können. Ist das nicht putzig: Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl stellt ein grüner Bezirksbürgermeister im einzigen grünen Wahlkreis der Republik den Bundesvorsitzenden der Grünen ohne Not bloß. Fragt sich eigentlich nur, was Hans-Christian Ströbele dazu sagt. Der will schließlich im Herbst wieder gewählt werden. Ach ja, sein Wahlkreisbüro liegt übrigens direkt am Kotti.

…wie das Kind vom Dreck

Schmutzfinken kommen nun an der Pranger – zumindest in Pankow. Im Internet lässt sich nachlesen, wie es mindestens 37 Wirte mit der Hygiene angeblich nicht so genau nehmen – und auch, was sie sich zuschulden kommen ließen. Geht es nach der Gesundheitssenatorin Karin Lompscher, dann wird das Beispiel bald in ganz Berlin Schule machen.
Etliche Wirte, die am Internetpranger stehen, beteuern, sie hätten sämtliche Mängel beseitigt und eine Neuprüfung beantragt. Der Bezirk hatte auch zeitnahe Nachprüfungen zugesagt. Nur – passiert sei nichts und sie stünden noch immer auf der geschäftsschädigenden Liste. Tatsächlich finden sich auf der Liste Unternehmen, die ein einziges Mal im Mai 2008 geprüft wurden. Dabei wurden so unerhörte Verstöße festgestellt wie: „Portionierung und Verkauf von Käse erfolgte auf einem Tisch im Laufbereich der Kundschaft“.
Da wird seit fast einem Jahr geprüft, und dann laufen die Prüfer weg, wie das Kind vom Dreck. Moralisch gesehen ist das auch nicht gerade hygienisch. Fast noch schlimmer als der Pranger ist die Positivliste: Die umfasst drei Altersheime, das Café Paula und das Pfefferwerk Stadtkultur. Dafür gibt es einen Smiley-Button an die Tür. Fünf Läden! Davon drei Pflegeeinrichtungen! Wenn das der Standard für durchschnittliche Kneipen sein soll, dann geht es offenbar darum, die Kleingastronomie zu hygienischen Hochsicherheitstrakten zu machen.