Wo Bächlein durch Straßen fließen

Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren

Ein Bächlein, das die Straße aufhübscht, scheint eine ziemlich revolutionäre Idee. Ist sie das? In Freiburg im Breisgau wurden die »Bächle«, die heute zum Stadtbild gehören, vor exakt 800 Jahren zum ersten Mal urkundlich erwähnt, sind tatsächlich aber schon knapp 1000 Jahre alt. Im Gegensatz zur Kreuzberger Bergmannstraße, wo der kleine Wasserlauf nur ein paar hundert Meter lang sein soll, plätschern in Freiburg die Bächlein fast 16 Kilometer durch Freiburgs Straßen.

In der Bergmannstraße soll mit den Wasserelementen »Regenwasser gefiltert, die lokale Temperatur geregelt und Lebensraum für Insekten geschaffen werden«.

Auch in Freiburg sollten die Bächle die Lebensqualität verbessern. Sie sollten Schmutz- und Regenwasser (aber kein Abwasser) ableiten und dienten im Zweifel auch als Quelle für Löschwasser bei Bränden.

Den Freiburgern sind ihre Bächle heilig. Sie gelten ebenso als Wahrzeichen wie das Münster oder das Martinstor. Ein Aprilscherz der Badischen Zeitung über die Zuschüttung der Bächle löste am gleichen Tag eine Bürgerinitiative aus.

Wenn das Bächlein erst mal hier fließt, sollte man die Freiburger Ratsverordnung aus dem 16. Jahrhundert beherzigen: »Und soll nymandt dhein mist, strow, stain in die bäch schütten«.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Zukunft Bergmannkiez

Ausstellung zur Neugestaltung

Der Bezirk hat alle Bürger, die sich für die Neugestaltung des Bergmannkiezes interessieren, zu einer Ausstellung eingeladen, die allerdings schon am 2. Oktober endete – zumindest im Rathaus in der Yorckstraße.

Doch wer keine Lust auf Mundschutz oder Treppensteigen hat (die Ausstellung ist im ersten Stock), der kann sie sich auch in den Schaufenstern des Stadtteilausschusses Kreuzberg e.V. in der Bergmannstraße ansehen. Es geht sogar noch etwas einfacher, nämlich auf der Webseite zum Modellprojekt.

In einer sehr kompakten Form wird die Ausstellung mit dem Titel: »Zukunft Bergmannkiez – Öffentlicher Raum, Mobilität, Lebensqualität« auch in fünf Filmen wiedergegeben, die ebenfalls im Internet abrufbar sind.

Die Ausstellung beschreibt minutiös den Weg bis zur jetzigen Entscheidung, stellt die Ergebnisse und auch die Streitpunkte des Verfahrens vor. Alle fünf Teile ergeben eine Gesamtlänge von etwas mehr als einer halben Stunde. Fast die Hälfte ist dem Film 4 gewidmet, der sich mit der zweiten Phase der Bürgerbeteiligung beschäftigt.

Insgesamt ist es eine spannende Dokumentation über einen Prozess, der den ganzen Kiez nun viele Jahre in Atem gehalten hat – zumindest für die, die mit Herzblut dabei waren.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Wildwest in der Körtestraße

Der Kampf um die Fahrradstraße

Absperrung in der KörtestraßeDurchfahrt verboten? Viele Autofahrer interessiert das einfach nicht. Foto: psk

Das Bild im Newsletter des Tagesspiegels entbehrte nicht einer gewissen Dramatik. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann stellte sich mitten in der Nacht in der Körtestraße einem BMW in den Weg. Tatsächlich muss es an jenem Abend zu dramatischen Situationen gekommen sein, als das Bezirksamt auf sehr unkonventionelle Art und Weise das neue Durchfahrtsverbot durch die Körtestraße durchsetzen wollte. Es hatte schon den Hauch eines Showdowns im Wilden Westen.

Zur Vorgeschichte gehört, dass die Körtestraße bis vor kurzem eine der wichtigen Querspangen zwischen den Hauptmagistralen Urban- und Gneisenaustraße war. Doch seit sie zur Fahrradstraße umgewidmet wurde, ist der Autoverkehr eigentlich nur noch für Anlieger gestattet. Doch Schilder alleine, so eine bittere Erkenntnis, machen noch keine Fahrradstraße. Bis zum 15. August hoffte der Bezirk noch auf die Einsicht der Autofahrer. Eine Beinahekatastrophe änderte alles. Gegen 20 Uhr raste damals ein weißer Audi R8 durch die Körtestraße Richtung Urbanstraße. Die Einmündung von der Körte- in die Fichtestraße wurde dem Raser zum Verhängnis und um ein Haar auch einer mehrköpfigen Familie, die beinahe von dem Sportwagen erfasst worden wäre. Dafür nietete das Auto »nur« zwei Verkehrsschilder um. Der 22-jährige Fahrer war ohne Führerschein und auf der Flucht vor der Polizei.

Trotzdem war der Unfall der Anlass für das Bezirksamt, in der Körtestraße auf ganz andere Art und Weise Gas zu geben. So sollen Autofahrer in Zukunft nicht nur mit Schildern ausgebremst werden. Eine breite Barriere bestehend aus Blumenkübeln, Absperrbaken und Schildern auf Höhe der Freiligrathstraße soll den Autofahrern die Lust an der Durchfahrt nehmen. Doch die Fahrer zeigen sich widerspenstig.

Bauliche Veränderungen bewegen bislang wenig

Selbst die baulichen Veränderungen haben kaum etwas an der Situation geändert. Schließlich schritt Monika Herrmann höchstpersönlich zur Aufhaltemission. Gemeinsam mit Felix Weisbrich vom Straßen- und Grünflächenamt versuchte sie, die Autofahrer über die neue Situation aufzuklären. Statt Einsicht ernteten die beiden häufig »Hass, Drohungen und Ignoranz«, wie ein Augenzeuge auf Twitter berichtete.

Auch die KuK hat sich wenige Tage später die Situation angesehen, allerdings bei Tag. Das Ergebnis ist ganz ähnlich: Manchmal umfuhren fünf Wagen hintereinander die Sperre in sportlichem Schlenker, um sich am Südstern in die Schlange an der roten Ampel einzureihen. Anlieger? Definitiv nein. Beim Versuch, die Verkehrssituation zu fotografieren, tritt ein Fahrer beherzt aufs Gaspedal. Die obszöne Geste bleibt an diesem Tag kein Alleinstellungsmerkmal.

Auch die neuen Markierungen auf der Straße machen jetzt jedem Autofahrer deutlich, dass er sich auf einer Fahrradstraße befindet und damit als Verkehrsteilnehmer nachrangig ist. Manche Radler nutzen das und fahren bewusst nebeneinander. Sie bilden sozusagen ein rollendes Verkehrshindernis. Doch möglicherweise braucht es noch mehr als das.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.

Karstadt wird Pop-up-Kaufhaus

Dritter Stock bietet ein halbes Jahr Gebrauchtwaren an

Karstadt am HermannplatzEin halbes Jahr lang gibt es im dritten Stockwerk vom Karstadt am Hermannplatz Gebrauchtwaren. Foto: rsp (Archiv)

Ist Signa ein Segen oder ein Fluch für den Karstadt am Hermannplatz? Für die Fraktion der Grünen, der Linken und der PARTEI in der BVV ist das eine klare Angelegenheit. Sie wollen nicht, dass das Unternehmen Signa den Bau am Hermannplatz abreißt und nach historischem Vorbild wieder neu baut.

Der Einfluss der Bezirksverordnetenversammlung ist indes sehr beschränkt, denn seit der Senat das Verfahren an sich gerissen hat, bleibt nicht viel mehr als eine Resolution zu verabschieden. Und die wurde mit 17 zu 11 Stimmen noch nicht einmal mit einer überwältigenden Mehrheit angenommen.

Derweil arbeitet das Unternehmen des österreichischen Investors René Benko unbeirrt weiter an einer Charmeoffensive, die im vergangenen Jahr ihren Anfang nahm. Damals wurde durch den Hinterhof des Kaufhauses eine Radstraße als Verbindung zwischen Hasenheide und Ur­ban­stra­ße angelegt. Hinzu kamen Radparkplätze und eine Fahrradwerkstatt. Signa signalisierte damit, dass es hinter der Verkehrswende steht.

Am 9. September folgt eine weitere Neuerung. Das dritte Stockwerk wird für ein halbes Jahr für eine ziemlich ungewöhnliche Aktion freigeräumt. Zum ersten Mal bietet dann ein Kaufhaus in Deutschland auf einer ganzen Etage Gebrauchtwaren an.

Federführend ist bei dieser Aktion der neugegründete Verein Re-Use Berlin. Es werden nicht nur gebrauchte Dinge verkauft, es wird auch Workshops geben, ein Repaircafé und ein Reparaturnetzwerk unterstützt.

Verkauft werden kann aber nur, was da ist. Die Initiatoren sammeln in der ganzen Stadt auf Ökomärkten Geschirr, Bücher, CDs, LPs, Modeschmuck, Kleidung und Textilien, Spiele und Spielsachen. In guten Zustand muss alles allerdings noch sein, ehe es an die Frau oder den Mann gebracht wird.

Umweltsenatorin Günther freut sich über die Aktion: »Mit dem Pop-up-Store werden wir gut erhaltene Gebrauchtwaren für noch mehr Menschen einfach zugänglich machen. Deshalb gehen wir dorthin, wo die Menschen einkaufen: ins Kaufhaus. So kann jeder schnell prüfen, ob das Gesuchte auch gebraucht erhältlich ist. Das lohnt sich doppelt, weil es Geld spart und die Umwelt schützt. Mit dem Begleitprogramm zum Pop-up-Store wollen wir das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und umweltfreundliches Einkaufen stärken.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.

Siggi mit der Hupe

Peter S. Kaspar denkt zurück an den KuK-Mitarbeiter Siegfried von Trzebiatowski

Und dann war er eines Tages da – unüberhörbar. Die drei Stufen zur Eingangstür der Redaktion waren für Siggi und seinen E-Rolli eigentlich unüberwindbar. Doch er wusste sich bemerkbar zu machen. Seine durchdringende Ballonhupe am Rollstuhl war sein akustisches Markenzeichen im ganzen Kiez. Schon von Ferne war klar: Jetzt kommt Siggi.

Siggi (rechts) beim Sommerfest der KuK in der Ritterburg Foto: phils

Sein Besuch vor der Redaktion hatte einen bestimmten Grund: »Warum berichtet die KuK nie über die Friedrichstadt?« Und er hatte recht. Im Grunde endete die Welt für uns am Kanal. Die Betonwüsten hinter dem Halleschen Tor hatten sicher nichts zu bieten, was für Kiez und Kneipe in irgendeiner Weise interessant wäre.
Da hat uns dann Siggi eines Besseren belehrt. Er hatte nämlich ganz und gar nicht vor, es bei dieser Rüge zu belassen. Er erbot sich auch, den Mangel zu beheben. Und so wurde Siggi praktisch zum Statthalter von Kiez und Kneipe in der Friedrichstadt. Sein Revier reichte von der Stresemannstraße bis zur Prinzenstraße, vom Checkpoint Charlie bis zum Halleschen Tor und darüber hinaus. Und das allumfassend. Er wollte nicht einfach nur Berichterstatter sein, sondern kümmerte sich auch um Anzeigen und sogar um den Vertrieb in seinem Reich.
Doch das war noch nicht alles. Jahrelang hatte Siggi, stets auf Seite sieben, seine eigene Kolumne. »So sieht’s Siggi« hieß sie und sollte ursprünglich unseren Lesern einen Blick auf die Welt vermitteln, den die meisten von uns nicht haben: Wie sieht die Welt für jemanden aus, der im Rollstuhl sitzt?
Siggi hat das oft sehr eindrücklich, manchmal auch beklemmend beschrieben. Es passierte auch immer wieder, dass manche Leser die kalte Wut packte, wenn sie durch Siggis Artikel erfuhren, wie schlampig oft geplant wurde und manches Etikett, auf dem »barrierefrei« stand, nichts anderes als ein Schwindel oder vielleicht die pure Unwissenheit war.
Und so entwickelte er die Kolumne weiter, über den Rollstuhl hinaus, und wurde zu einer Art Kummerkasten für seine Nachbarschaft. Er gab dem sprichwörtlichen »kleinen Mann« rund um das Hallesche Tor eine Stimme.
Mit dem »kleinen Mann« identifizierte er sich, zählte sich selbst dazu, obwohl er einst nicht schlecht verdient hatte. Nachdem er aus Nauen in den Westen gekommen war, arbeitete er erst als Kellner, dann als Koch, zuerst in Süddeutschland, auf der Alb, rund um Stuttgart und in der Baar. Er kam wieder nach Berlin und machte nun selbst Läden auf. Privat hatte er weniger Glück. Eine erste Ehe endete schon nach kurzer Zeit mit der Scheidung, die zweite, als seine Frau 1993 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Sie stammte aus Thailand, und er selbst hatte das einstige Siam ins Herz geschlossen. Er betrachtete es als zweite Heimat.
Doch dann kamen die Krankheiten, die ihn schließlich an den Rollstuhl fesselten. Reisen kam nicht mehr in Frage, seiner Arbeit konnte er auch nicht mehr nachgehen. Doch unterkriegen ließ er sich nicht. Er machte immer einen fröhlichen Eindruck und fast immer hatte er etwas dabei, was auch andere fröhlich machen sollte. »Hol mal da aus der Tasche …« war ein stehender Spruch, und wenn man dann in der Tasche an der Rollstuhllehne kram­te, hatte man schnell zwei kleine Schnapsfläschchen in der Hand.
Markant war auch seine raue Stimme. Stimmbänder und Kehlkopf hatten ihm schon lange Probleme bereitet. Und dann kam der Kehlkopfkrebs. Es folgten immer wieder Operationen. Im Juni hätte die nächste folgen sollen, doch das war dem ewigen Optimisten am Ende zu viel. Er verzichtete auf eine weitere Behandlung und zog ins heimische Nauen ins Hospiz. Dort starb er am 5. Juli im Alter von 76 Jahren.
Wir von der KuK werden ihn vermissen.

Der Tresen bleibt tabu

Kneipen sind wieder offen

Leerer Tresen im unterRock (2018)So gemütlich und gewohnt es sein mag: Am Tresen sitzen ist erst einmal nicht erlaubt. Foto: rsp

Jetzt ging alles dann doch ganz schnell. War Mitte Mai noch nicht einmal absehbar, wann die Kneipen wieder öffnen, hieß es gegen Ende des Monats, dass der 21. Juni angepeilt sei. Doch dann kam der 28. Mai. Die Pressemitteilung des Senats umfasst eine Seite, auf der neun Punke zur Lockerung der Maßnahmen gegen die Verbreitung des SARS-Cov-2-Virus aufgeführt sind. Der vorletzte Punkt schließlich ließ den Wirten ganze Felsbrocken von den Herzen fallen: »Reine Schankwirtschaften (Gäste dürfen nur an Tischen bedient werden), Rauchergaststätten, Shisha-Gaststätten, Shisha-Bars dürfen ab dem 2. Juni 2020 geöffnet werden (bis 23 Uhr).«

Allerdings gelten auch für Kneipen strenge Auflagen, ähnlich wie für Restaurants. Es gilt ein strenges Hygienekonzept, an das sich Wirte und Gäste zu halten haben. Dazu gehört auch, dass der Tresen tabu bleibt.

Tasächlich war die unterschiedliche Behandlung von Restaurants und Kneipen nun ebenso schwer vermittelbar, wie noch im März, als am 14. die Kneipen schließen mussten und die Restaurants erst einige Tage später folgten.

Als nun die Restaurants unter Auflagen wieder öffnen durften, die Kneipen aber nicht, erhob sich unter den Wirten von Schankwirtschaften lauter Protest. Sie sahen sich einerseits ungerecht behandelt und fürchteten andererseits um ihre Existenz, sollten die Schließungen noch länger andaueren.

Es erinnerte ein wenig an die Situation mit der Einführung des Rauchverbotes vor rund zehn Jahren. Damals mussten sich viele Kneipen entscheiden, entweder auf das Rauchen oder das Angebot von zubereiteten Speisen zu verzichten. Ähnlich wie damals reagierten nun einige Kneipen, die kurzerhand das Rauchen verboten und stattdessen Speisen anboten.

Dass die Wiedereröffnung der Kneipen nun doch so schnell verfügt wurde, kam für die meisten überraschend. Wenige Tage zuvor stand sogar der ursprünglich angedachte Termin vom 21. Juni noch auf der Kippe. Vor allem der Vorfall im ostfriesischen Leer, als sich bei einer Restaurant-Eröffnung über 20 Menschen infiziert hatten, ließ Zweifel aufkommen.

Die langen Nächte enden um elf

Aber auch die Tatsache, dass die Reproduktionszahl in Berlin drei Tage hintereinander über den kritischen Wert bis auf 1,3 gestiegen war, galt als Warnzeichen. Inzwischen ist der Wert auf 0,4 gesunken und liegt im grünen Bereich.

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass in den Kreuzberger Kneipen wieder unbeschwert gefeiert werden kann. Dazu sind die Auflagen noch zu streng. Die sprichwörtlich langen Nächte fallen zunächst einmal deutlich kürzer aus. Um 23 Uhr ist der Kneipenabend zu Ende. Bislang galt für die Restaurants, die seit 15. Mai wieder geöffnet haben, dass sie um 22 Uhr schließen mussten.

Die drangvolle Enge, die für viele Kneipen so typisch ist, wird es zunächst auch nicht geben. Natürlich gilt auch in Kneipen der Sicherheitsabstand. Und es heißt – zunächst – von lieben Gewohnheiten in der Kneipe Abschied nehmen. Wer seinen Stammplatz bislang am Tresen sah, wird sich in Zukunft einen Tisch suchen müssen, der auch noch über ausreichenden Abstand zum Nachbartisch verfügt. Zu eng darf es nicht werden.

Auch die Zahlungsmodalitäten werden sich für manchen ändern. Wer es gewohnt war, seine Rechnung direkt am Tresen zu begleichen, muss sich in Zukunft gedulden, bis er direkt am Tisch abkassiert wird.

Immerhin, das Bier darf dann ohne Mundschutz getrunken werden, aber bei Gang aufs stille Örtchen wird die Mund-Nasen-Abdeckung dann wieder fällig.

Wie sich das dann alles im realen Leben abspielen wird, bleibt noch abzuwarten. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hat jedenfalls schon mal weiteren Gesprächsbedarf in Sachen Hygienekonzept bei der Gastronomie angemahnt.

Kommentar: Auf Bewährung in die Kneipe?

Auf Bewährung in die Kneipe?

Wenn alles gut geht, wird es irgendwann mal heißen: »Corona dauerte vom 14. März bis zum 2. Juni 2020«. Für viele begann die wirkliche Wahrnehmung der Pandemie in dem Moment, als die Kneipen schlossen. Aber machen wir uns nichts vor. Corona gab’s schon vorher. Die ITB wurde zum Beispiel schon vorher abgesagt – und die Krise endet auch nicht am 2. Juni. Es gibt nicht wenige, die die Öffnung der Kneipen für voreilig halten. Allerdings ist fraglich, was in vier Wochen noch hätte öffnen können. Natürlich ist es wichtig, dass man nun auch den Wirt seines Vertrauens unterstützt, sonst kommt vielleicht doch noch das Aus.

Allerdings bedeutet die Öffnung auch, dass sich alle Gäste einer Kneipe darüber klar sein müssen, dass sie für sich und andere Verantwortung tragen und die Regeln, die jetzt gelten, auch befolgen. Sonst ist die Kneipe bald wieder zu.

»Wir werden nicht da weitermachen, wo wir aufgehört haben«

BVV nimmt die Arbeit bald wieder auf

Die Bezirksverordneten-Versammlung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg hat sieben Wochen nicht getagt. Auch Ausschüsse und Fraktionssitzungen hat es in dieser zeit nicht gegeben. Am 29. April tagt die BVV erstmals wieder, allerdings verschlankt, mit Gesichtsmasken und in einer Turnhalle. Kiez und Kneipe hat den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Oliver Nöll gefragt, wie es nun weitergeht.

Corona blockiert den letzten Weg

Zurzeit sind keine Urnenbestattungen möglich

Aussegnungskapelle an der BergmannstraßeFür trauernde geschlossen: In der Aussegnungskapelle an der Bergmannstraße dürfen keine Trauerfeierlichkeiten mehr abgehalten werden. Derzeit sind nur Erdbestattungen und die nur in kleinem Rahmen möglich. Foto: psk

Man könnte in diesen Zeiten auf den leicht makaberen Gedanken kommen, dass es ja doch noch Corona-krisensichere Berufe geben müsste, etwa Bestatter. Doch überraschenderweise ist auch diese Branche von der Covid-19-Krise direkt betroffen. Schnell bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man hört, was Kiezbestatter Klaus-Uwe Mecklenburg zu berichten hat.

»Aktuell habe ich noch drei Urnenbestattungen«, sagt er. »Aber Urnenbegräbnisse sind zur Zeit verboten.« Für die Angehörigen sei das zwar eine Belastung, jedoch hätten sie immerhin die Möglichkeit, sich bei der Einäscherung zu verabschieden. Hier begegnen die Angehörigen der Situation auch mit einem gewissen Verständnis.

Ganz anders liegt der Fall bei Erdbestattungen. Die sind erlaubt, jedoch mit sehr strengen Auflagen. So gibt es zum Beispiel keine Trauerfeier in der Aussegnungshalle. Die ist nämlich geschlossen. Außerdem muss eine Erdbestattung in einem sehr kleinen Rahmen gehalten werden, denn auch hier gelten die Kontaktbeschränkungen. Mit einer Erdbestattung einfach zu warten, sei auch keine Möglichkeit, denn die Kosten für die notwendige Kühlung des Leichnams seien sehr hoch.

Wenn sich die Corona-Krise noch weiter verschärfen sollte und die Zahl der Todesopfer plötzlich sprunghaft steigt, könnte die Situation für die Hinterbliebenen sogar noch schlimmer werden. Im schlimmsten Fall würde, wie in Italien, das Militär dann die Bestattungen übernehmen.

Allerdings wurde auch schon ohne solch ein Horrorszenario in der zweiten Märzhälfte die Situation deutlich verschärft. Da wurden die Friedhöfe sogar für drei Tage komplett geschlossen. Bestattungen gab es gar keine mehr.

Der Grund lag allerdings nicht in einer direkten Bedrohung durch das Corona-Virus, sondern in einem ziemlich erschütternden und pie­tätlosen Verhalten von einigen Friedhofsbesuchern. Klaus-Uwe Mecklenburg nennt zwei Beispiele, die sich auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße zugetragen hatten, kurz nachdem die Kinderspielplätze geschlossen worden waren. »In einem Fall«, so berichtet er, »spielten fünf Väter mit ihren Söhnen mitten auf dem Friedhof Fußball.« Nicht weniger erschütternd ist ein anderer Fall. Da schleppten Eltern eine komplette Sandkiste für ihren Nachwuchs im Kita-Alter auf den Friedhof. »Und da begannen sie dann mit Buddelspielen«, zeigt sich Kiezbestatter Mecklenburg noch immer ziemlich fassungslos.

Ähnliche Vorfälle hat es offenbar in ganz Berlin gegeben. Das veranlasste die Verwaltung der evangelischen Friedhöfe, alle ihre 42 Gottesäcker kurzerhand komplett zu schließen. Das allerdings ließ sich dann doch nicht auf Dauer durchsetzen, Drei Tage später waren sie wieder geöffnet, und seither gibt es auch wieder Bestattungen, mit all den bereits genannten Einschränkungen allerdings.

Klaus-Uwe Mecklenburg trifft die Krise übrigens doppelt. Er betreibt neben seinem Bestattungsunternehmen auch den K-Salon in der Bergmannstraße. Doch wann es in dem kleinen Saal wieder Kultur zu sehen und zu hören gibt, ist nicht abzusehen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

»House of Life« wird geschlossen

Ende Juni ist Schluss / 80 Bewohner und 65 Mitarbeiter betroffen

Das »House of Life« in der Blücherstraße wird zum 30. Juni dieses Jahres geschlossen. Das teilte der Betreiber FSE in einer Pressemitteilung mit.

»Die mangelhafte Bausubstanz mit einem enormen Instandsetzungsbedarf, zwingt uns, den Standort aufzugeben«, erklärte der Geschäftsführer der FSE-Gruppe Christian Mannewitz, der die Situation als »sehr traurig« bezeichnete.

Die Schließung des 2006 eröffneten Hauses trifft 80 Bewohner und 65 Mitarbeiter. Ursprünglich hatte das »House of Life« eine Kapazität von über 100 Plätzen. In der Vergangenheit war jedoch bereits ein komplettes Stockwerk geschlossen worden. Tatsächlich hatte es immer wieder Berichte über Mängel gegeben. So sei zum Beispiel der Aufzug regelmäßig ausgefallen, heißt es aus dem Umfeld.

Mit dem »House of Life« schließt die bundesweit einzige Pflegeeinrichtung für jüngere Erwachsene. Menschen, die in jüngeren Jahren zum Pflegefall werden, können normalerweise nur in Altenpflegeheimen untergebracht werden. Auch die jetzigen Bewohnern, von denen viele unter 40 sind, etliche sogar unter 30, werden nun auf verschiedene Einrichtungen der FSE-Group verteilt, das heißt in Altenpflegeheimen. Das Unternehmen versichert allerdings, an dem Konzept einer Einrichtung für jüngere pflegebedürftige Menschen festhalten zu wollen. Nach einem geeigneten Stadort in Berlin werde bereits gesucht.

Zu Kündigungen soll es im Zusammenhang mit der Schließung nicht kommen. Den 65 Beschäftigten würden innerhalb der FSE-Group neue Arbeitsplätze angeboten

Das Ende der Lenau-Schule

Zusammenlegung, Abriss, neuer Name, Neubau

Lenau-Grundschule in der NostitzstraßeDie Lenau-Schule wird wegen Asbestbelastung nach dem Schuljahr abgerissen. Die Schüler kommen in der Lina-Morgenstern-Schule unter. Foto: psk

Die Lenau-Schule ist Geschichte. Nach Ende des Schuljahres werden die Bagger in die Nostizstraße kommen und das Gebäude abreißen, das einem Neubau weichen muss. Notwendig wurde die Maßnahme wegen der Asbestbelastung. Eine Sanierung wäre teurer gekommen, als eben ein Neubau.

Und was wird mit den rund 400 Schülern, die derzeit die erste bis sechste Klasse besuchen?

Sie werden ab August mit der Lina-Morgenstern-Schule in der Gneisenaustraße zu einer Gemeinschaftsschule zusammengelegt. Miteinbezogen in die Kooperation wird auch die Ferdinand-Freiligrath-Oberschule in der Bergmannstraße.

Die neue Gemeinschaftsschule wird dann etwa 1000 Schüler umfassen. Was im ersten Moment sehr dramatisch klingt, ist aber aus einem ganz bestimmten Grund nötig geworden, wie Schulstadtrat Andy Hehmke der Berliner Morgenpost gegenüber erklärte. Sowohl bei der Lina-Morgenstern- als auch bei der Freiligrath-Schule liegen die Aufnahmezahlen deutlich hinter den möglichen Kapazitäten zurück. Die Zusammenlegung bringe weitere pädagogische Kontinuität in das Schulkonzept, betonte der Stadtrat.

So ist es zum Beispiel einfacher, die Schulzeit in der gymnasialen Oberstufe fortzusetzen, wenn sich Lehrer in einer Gemeinschaftsschule mit den Kollegen der vorherigen Schulstufe austauchen können.

Mit der Zusammenlegung ist auch das Ende der Lenau- und der Lina-Morgenstern-Schule gekommen. Die Gesamtschule wird einen neuen Namen erhalten. Verwiesen die bisherigen Namen noch auf bestimmte Personen, so wird die neue Gemeinschaftsschule einen Namen tragen, der eher auf den Ort und nicht mehr auf eine bestimmte Person hinweisen soll. Wie der jedoch lautet, ist noch nicht klar. Darüber müssen sich erst die beiden Schulkonferenzen einigen.

Ist das dann tatsächlich das Ende von Lenau- und Lina-Morgenstern-Schule? Ja und Nein, die Namen verschwinden zwar, aber es wird in der Nostizstraße ein Neubau errichtet. In den ziehen 2023 die Schüler der ersten bis sechsten Klasse der neuen Gemeinschaftsschule. Und dann ist es fast wieder so wie früher.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.

Wie echt ist van Gogh?

Erster Kunst-Krimi von Leif Karpe

»Würde uns die ‚Sternennacht‘ weniger interessieren, wenn sie nicht von Vincent van Gogh wäre?« Die Frage steht auf der Rückseite des Covers von Leif Karpes erstem Roman »Der Mann, der in die Bilder fiel«. Derjenige, der da fällt, ist der New Yorker Kunsthistoriker und Detektiv wider Willen Peter Falcon, der eigentlich nur seinen kleinen Comic-Laden am Leben erhalten will.
Der Auftrag des großen Auktionshauses Chrosebys, nach Europa zu reisen, um dort ein berühmtes Gemälde auf seine Echtheit zu überprüfen, kommt ihm da gerade recht – trotz seiner Flugangst.
Was wie eine Routineangelegenheit aussieht, entpuppt sich als rasanter Kriminalfall, der Peter Falcon quer durch Paris und die halbe Provence führt, immer auf der Spur der großen Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts.
Peter Falcon kommt dabei eine einzigartige Fähigkeit zu Hilfe. Er kann sich nämlich in die Bilder der großen Impressionisten und Expressionisten hineinleben. Alles um ihn wird plötzlich so real, dass er, und damit auch der Leser, den großen Künstlern direkt begegnet. Diesen Kniff des Autors umweht zwar ein Hauch des Esoterischen, doch er entpuppt sich auch als genial, wenn all die Monets und van Goghs die reale Geschichte voranantreiben.
Angenehm ist, dass bei einem Krimi nicht Mord und Totschlag im Zentrum des Geschehens stehen müssen, sondern dass das Thema Fälschung nicht weniger spannend sein kann.
In der Tat ist gerade die Frage »Was ist ein echter van Gogh?« seit Jahren ein heiß umstrittenes Thema. Es liegt daran, dass van Goghs Arzt Dr. Gachet selbst künstlerische Ambitionen verspürte. Er ließ sich von van Gogh mit Bildern honorieren. »Das Porträt des Dr. Gachet« war eine Zeitlang das teuerste Gemälde der Welt.
Doch ist so mancher vermeintliche van Gogh nicht in Wirklichkeit ein Gachet? Der Arzt und seine Nachkommen galten immerhin als sehr begabte Kopisten, manche würden Fälscher sagen.
In einer Zeit, in der für einen van Gogh zwei-, ja bald dreistellige Millionen-Beträge bezahlt werden, ist die Herausforderung für die wichtigen Auktionshäuser noch größer geworden, das Richtige vom Nachgemachten zu unterscheiden.
So tut sich dem Leser, der in der Kunstbranche weniger beheimatet ist, eine völlig neue Welt auf, in der es um Täuschen und Tarnen, um Illusion und Realität geht. Diese Welt ist der Hintergrund eines sehr spannenden und rasanten Krimis, bei dem der Leser auch noch eine Menge lernen kann – und eine bezaubernde Reise durch Frankreich erlebt.
Und die Reise geht weiter. Der Verlag Nagel & Kimche will mit den Peter-Falcon-Krimis das Genre Kunst-Krimi etablieren.
Peter S. Kaspar

Leif Karpe: Der Mann, der in die Bilder fiel, 272 Seiten, ISBN 978-3-312-01161-2, 22 Euro

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Aktenaffäre wird nun untersucht

SPD wirft Florian Schmidt Manipulation vor

Florian SchmidtFlorian Schmidt. Foto: psk

Hat er, oder hat er nicht? Die Frage, ob Baustadtrat Florian Schmidt Akten manipuliert hat oder nicht, ist nicht nur in Kreuzberg ein Aufreger. Selbst die in München erscheinende Süddeutsche Zeitung widmet dem derzeit vermutlich bekanntesten Kommunalpolitiker der Republik eine ganze Reportage.

Darin erfährt der Leser, dass in Schmidts Büro eine ihn selbst zeigende Karikatur im Stile Che Guevaras hängt. Damit scheint geklärt, mit wem sich der Stadtrat eher vergleicht: Mit Che oder mit Robin Hood. Als solchen hat ihn der Regierende Bürgermeister Michael Müller bezeichnet, und ihm auch noch ein »Mini-« vorangestellt.

All das sind die Folgen jener Aktenaffäre, die nun so hochkocht, dass sich Schmidt Rücktrittsforderungen, Strafanzeigen und einer Untersuchung der Senatsverwaltung des Inneren gegenüber sieht.

Im Grunde hängt alles mit der unkonventionellen Art zusammen, mit der Schmidt seit Jahren versucht, den Immobilienspekulanten beizukommen. Das Mittel des Vorkaufsrechts hat schon einige Male gegriffen und auch schon Inves­to­ren in die Knie gezwungen. Das Problem bei diesem Konstrukt: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kann die Immobilien, für die er das Vorkaufsrecht geltend macht, gar nicht alle selbst kaufen. Also wird das Vorkaufsrecht an solche Investoren weitergegeben, die im Sinne des Bezirks investieren, etwa mit Blick auf die Kreuzberger Mischung, vor allem aber bezahlbaren Wohnraum.

Es war allerdings auch abzusehen, dass Schmidt diese Art von weißen Rittern irgendwann einmal ausgehen würde.

Mit der Gründung von »Diese eG« sollte Abhilfe geschaffen werden. Als die SPD nun Unterlagen zum Kauf von Wohnungen durch »Diese eG« in der Rigaer Straße einsah, fiel ihr auf, dass sie einerseits falsch paginiert waren und dass auch Teile fehlten.

In einer gemeinsamen Fraktionssitzung von Grünen, Linken und SPD räumte Florian Schmidt das zwar ein, sah darin aber keine Manipulation oder ein Versäumnis. »Er wollte verhindern, dass die Inhalte von Akten von CDU und FDP instrumentalisiert und von einem Redakteur des Tagesspiegels zur politischen Agitation genutzt werden«, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD.

In der gleichen Pressemitteilung von 17. Januar stellte die SPD dem Baustadtrat ein Ultimatum bis zum 27. Januar. Bis dahin solle er Einsicht in alle Akten geben, »sonst ist sein Rücktritt unvermeidbar.«

Allerdings wurde inzwischen die Senatsinnenverwaltung tätig. Innensenator Geisel verfügte die Bezirksaufsicht über den Baustadtrat.

Linke hält sich im Fall Florian Schmidt zurück

Konkret heißt das, dass die Vorgänge um die fehlenden Akten nun untersucht werden. Außerdem beschäftigt sich nun auch der Landesrechnungshof mit der »Diese eG«.

Die Grünen sprangen ihrem angeschlagenen Bezirksstadtrat natürlich bei. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sieht auch keinen Grund dafür, dass Schmidt zurücktreten müsse. Allerdings fanden auch einige Parteifreunde Schmidts Wortwahl in der gemeinsamen Fraktionssitzung ein wenig unglücklich.

Ist Schmidt nun nachhaltig gefährdet oder ist alles nur wieder so ein berühmter Sturm im Wasserglas?

Für Außenstehende ist das nur schwer einzuschätzen. Interessant ist deshalb ein Blick auf den Dritten im Bunde der grün-rot-roten Konstellation im Bezirksamt.

In den vergangenen Monaten waren es stets die Linken, die, vor allem im Falle Bergmannstraße, Florian Schmidt oft sehr hart angegangen sind. Aus ihren Reihen ist jetzt eher beredtes Schweigen zu hören.

Es gibt allerdings Ausnahmen. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Knut Mildner-Spindler gab jüngst der Berliner Morgenpost ein Interview, in dem er unter anderem auch zum Fall Florian Schmidt befragt wurde. Auf die Frage, ob er auch Dokumente vor einer Akteneinsicht herausnehmen würde, meinte Mildner-Spindler, dass das ein ganz normaler Vorgang sei, weil es ja auch um schutzwürdige Belange Dritter oder das öffentliche Interesse gehe. Aber man müsse dann vor Einsichtnahme darüber informieren. Allerdings kann sich Mildner-Spindler nicht erinnern, dass sein Kollege im Bezirksamt dagegen verstoßen hätte.

Das Ultimatum der SPD ist ausdrücklich nicht vom Tisch, obwohl es durch die Untersuchungen von Innenverwaltung und Landesrechnungshof im Grunde überflüssig geworden ist. Wird man nämlich an diesen Stellen fündig und erkennt gravierende Fehler Schmidts, wird er sowieso zurücktreten müssen. Wird er allerdings durch die Untersuchungen entlastet, spielt das Ultimatum der SPD auch keine Rolle mehr.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Ein Wohnturm für das Dragonerareal

Architektenwettbewerb abgeschlossen

Es sind die umstrittensten und vielleicht begehrtesten viereinhalb Hektar in Berlin: Das Dragonerareal. Nun, so scheint es, könnten die endlosen Auseinandersetzungen und Diskussionen ein Ende nehmen. Bei einem Architekturwettbewerb setzten sich die Büros »Smaq Architektur und Stadt« und »Man Made Land« durch. Ihr Entwurf beinhaltet so ziemlich alles das, was man sich von einer zentralen Bebauung im Herzen Kreuzbergs vorstellt.

Vorgesehen sind nach diesen Entwürfen 525 neue Wohnungen im bezahlbaren Segment. Gewerbe ist auf 21.000 Quadratmetern geplant. 14.000 davon sollen an sogenannte »störende Betriebe« gehen. Es geht dabei um Handwerksbetriebe wie Schreinereien oder Metallverarbeitung, die von Natur aus mit einer höheren Lärmentwicklung verbunden sind und daher immer mehr an der Stadtrand gedrängt werden.

Damit wird der klassischen Kreuzberger Mischung Rechnung getragen: Stätten für Wohnen und Arbeiten liegen eng beieinander.

Blickfang der ganzen Planung ist das Modell eines Wohnturmes, der 16 Stockwerke umfasst. Um ihn herum wird ein ganzes neues Stadtviertel geplant.

Derzeit sind viele kleine Unternehmen und Werkstätten auf dem Gelände untergebracht – zum Teil in denkmalgeschützen Gebäuden, wie den alten Remisen der Kaserne. Gerade das Gewerbe soll nicht vetrieben, sondern gehalten werden, um auch weiteres anzulocken.

Doch ausgerechnet an diesem Punkt stört sich die bislang einzige Kritik. Die ausgewiesenen Gewerbeflächen sind nämlich etwas geringer ausgefallen, als in der Aufgabenstellung vorgegeben. Das haben die Gewerbetreibenden vom Dragonerareal moniert.

Ob da noch nachjustiert wird, wird sich zeigen. Eines ist nämlich klar: Nichts ist die Stein gemeißelt. Doch die Bebauung wird sich im Großen und Ganzen an dem Siegerentwurf orientieren. Dass der sich dann in Details verändert, bis der erste Spatenstich getan ist, ist normal. Die Planung soll nächtes Jahr beginnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.