Wer kommt in den Bundestag?

Kiez und Kneipe lädt zu öffentlichen Redaktionsgesprächen ein

Eine gute Gelegenheit, die Direktkandidaten kennenzulernen: Kiez und Kneipe lädt zu öffentlichen Redaktionsgesprächen ein.

Die Bundestagswahl naht und wie vor jedem bundesweiten Urnengang lädt die Kiez und Kneipe Kreuzberg auch dieses Mal wieder die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien ein.

Die Redaktion entwickelte das Format 2005. Jeder Kandidat wird seither einzeln in einer Kneipe befragt. Nach einem etwa dreiviertelstündigen Interview haben dann Gäste die Möglichkeit, Fragen an den Gast des Abends zu stellen.

Der scheidende Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele war nach seinem eigenen Bekunden immer ein großer Fan dieses Formates. »Normalerweise treffen wir Kandidaten uns vor der Wahl immer  auf einem Podium. Am Ende könnte jeder auch die Argumente der anderen heruntersagen«, sagte der Grüne einmal nach einer Veranstaltung im Too Dark. Zudem schätze er, dass jeder Kandidat in anderthalb Stunden ausreichend Zeit habe, seine Standpunkte ausführlich zu erläutern.

Hans-Christian Ströbele wird nicht mehr antreten. Ihn will Canan Bayram beerben, die sich am 22. August im Heidelberger Krug den Fragen der KuK stellt. Einen Tag später kommt die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe ins Valentin. Den Auftakt macht Timur Husein für die CDU am 15. August im Dodo. Pascal Meiser geht am 21. August im backbord für die Linke in den Ring.

Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 19:30 Uhr und dauern etwa 90 Minuten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2017.

Ein zu kurzes Leben für die Kunst

Marianne Latsch 2. Oktober 1967 – 9. Juni 2017 Foto: kappa-photo

Marianne Latsch stirbt mit 49 bei Wohnungsbrand

Aber Dienstag! Dienstag blieb dann Zeit für die Kunst. „Da bin ich malen“, erklärte sie kategorisch, wenn irgend jemand an diesem Tag etwas von ihr wollte. Und was war auch gut so, denn die restlichen sechs Tage war sie die Hilfsbereitschaft in Person, das wußten viele, vielleicht sogar zu viele.

Nach Berlin war sie in den 90er Jahren gekommen, erst nach Steglitz, später nach Kreuzberg. Doch eigentlich stammte sie aus Mudersbach, einem kleinen Ort nahe Siegen. Dem blieb sie auch bis zum Ende verbunden. Die „Mudersbacher Kirmes“ Anfang Oktober war für sie Plichttermin und Geburtstagsgeschnek in einem. Hier tankte sie Kraft, Kraft, die sie für ihr Großstadtleben brauchte, denn die Metropole war ihre eigentliche Bestimmung. Austellungen, Galerien, Vernissagen, Finissagen, Modeschauen, Modemessen, das waren ihr Leben und ihre Leidenschaft – und das bot ihr so nur Berlin.

Studiert hat Marianne Modedesign. Das half ihr weiter, als sie eine Anstellung bei der UFA in Babelsberg fand. Da ging es allerdings oft weniger um Haute Couture, als mehr um handfestere Dinge. Nicht ohne Stolz erzählte sie die Geschichte, wie sie „Tausend Russen angezogen“ habe. Gedreht wurde Jean-Jacques Annauds „Duell – Enemy at the Gates“ mit Jude Law und Ed Harris in den Hauptrollen. Erzählt wird eine Geschichte während der Schlacht von Stalingrad. Und dazu brauchte es unter anderem 1000 Statisten, die russische Soldaten darstellten – und nun war es Mariannes Aufgabe, die Kleindarsteller möglichst authentisch einzukleiden.

Vor sechs Jahren schließlich landete Marianne bei Kiez und Kneipe. Gekannt hat man sich schon seit vielen Jahren und dann hatte es sich schließlich ergeben, dass sie mit ins Team einstieg und sich fortan um das Anzeigengeschäft kümmerte. Sie machte das so, wie sie fast alles anging, mit viel Charme und noch mehr Herzlichkeit. Ein anderes Beispiel: Als sie vor fast zwei Jahren gebeten wurde mit den Bewohnern des House of Life in der Blücherstraße einen Kalender zu gestalten, war sie sofort dabei. Sie kleidete die Bewohner ein und brachte sie in die beste Pose. Es wurde ein wunderbarer Kalender.

Und dann kam jener verhängnisvolle Abend. Im „Backbord“ in der Gneisenaustraße hatte sich die „Beergroup Tempelhofer Vorstadt“ getroffen, ein lockerer Kreis, zu dem auch sie gehörte. Sie verabschiedete sich gegen Mitternacht. Spätestens am Montag sollte sie beim „Pubquiz“ im Bad Kreuzberg wie jeden Monat die „bezaubernde Assistentin“ geben. Sie traf sich danach noch mit einem Freund in SO36. Als sie schließlich zu Hause in der Reichenberger Straße ankam, brach wenig später zwei Stockwerke unter ihr ein Feuer aus. Sie rief noch einmal bei dem Freund an und verlor während des Telefongesprächs das Bewußtsein. Als die Feuerwehr sie schließlich fand, versuchten die Retter sie noch einmal ins Leben zurück zu holen. Vergeblich.

Das ganze KuK-Team ist unendlich traurig. Marianne, wir alle vermissen Dich.

Peter S. Kaspar

In eigener Sache

Die Kollegen unserer Ausgabe in Neukölln haben sich entschieden, im Rahmen ihrer Vorberichterstattung über die Bundestagswahl 2017 auch eine Veranstaltung mit dem Kandidaten der AfD zu organisieren. Die Kiez und Kneipe Kreuzberg wurde daraufhin von verschiedenen Seiten dazu aufgefordert, sich von ihrer Schwesterzeitung in Neukölln zu distanzieren.

Dazu nehmen wir wie folgt Stellung:

Die KuK-Ausgaben in Kreuzberg und Neukölln verbinden die gleichen Werte und beide Blätter sind in ihren Grundüberzeugungen und journalistischen Vorstellungen ähnlich aufgestellt. Allerdings entscheidet jede Redaktion für sich, ohne eine Einmischung der anderen Redaktion befürchten zu müssen. Schon aus diesem Grunde steht es uns gar nicht zu, die Kollegen für ihr Format zu maßregeln.

Auch wir haben in der Kreuzberger Redaktion lange darüber diskutiert, wie wir mit der AfD grundsätzlich und während des Wahlkampfes speziell umgehen sollen und sind dabei zu einem anderen Ergebnis gekommen. Wir werden die AfD weder zu einer Diskussionsveranstaltung einladen, noch irgendwelche Pressemitteilungen veröffentlichen oder Anzeigen annehmen. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass es sich um eine rechte Partei handelt, der wir kein Forum bieten wollen. Wir stehen auf dem Standpunkt: Wenn eine Partei die Presse allgemein (und die KuK übrigens auch schon direkt) als »Lügenpresse« beschimpft, dann sollte man dieser Partei auch ersparen, in irgendeiner Form in dieser Lügenpresse in Erscheinung zu treten. Im Übrigen werden wir zur Bundestagswahl nur mit Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien sprechen.

Trotzdem haben wir vor der Entscheidung der Kollegen in Neukölln großen Respekt. Sie zeugt durch und durch von demokratischer und journalistischer Überzeugung, überparteilich jeden Vertreter einer Partei zu Wort kommen zu lassen, die es in einer demokratischen Wahl in eine Volksvertretung geschafft hat. Das ist bei der AfD im Abgeordnetenhaus und der BVV Neukölln nun leider mal der Fall. Der Weg, den die Kollegen gehen, ist kein leichter. Mancher hat sich bei dem Versuch, die Rechten zu demaskieren, schon böse Schrammen geholt. Aber es ist nichts, aber auch gar nichts Unehrenhaftes dabei, diesen Versuch zu wagen. Im Gegenteil: Wer die Kollegen dafür im Vorfeld bereits kritisiert, hat alle Gründe, sein eigenes demokratisches Verständnis und sein Verhältnis zur Freiheit der Presse zu hinterfragen.

Peter S. Kaspar

Chefredakteur Kiez und Kneipe Kreuzberg

Kehren vor der eigenen Tür

Putzaktion für Toleranz in der Gneisenaustraße

Putzaktion Gneisenaustraße: Reinemachen als Toleranzkonzept. Foto: psk

Unter dem Moto: »Frühjahrsputz zum Kennenlernen« hatte die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« an die U-Bahnstation Gnei­se­nau­straße eingeladen. Nachbarn aus dem Kiez und die Gruppe jener Methadonpatienten, die sich bei kühlem Wetter im U-Bahnhof treffen, sollten gemeinsam die Grünanlagen des Mittelstreifens säubern und sich dabei kennenlernen.

Schon im Vorfeld hatte es für diese Aktion große Unterstützung gegeben. Das Bezirksamt hatte unbürokratisch geholfen, die BSR stellte Reinigungsmaterial zur Verfügung, und aus der Nachbarschaft gingen zahlreiche Sachspenden zum gemeinsamen Verzehr ein. Selbst an die Hunde wurde gedacht. Passanten brachten Leckerlis für die Vierbeiner vorbei. Für den ständigen Kaffee-Nachschub sorgte das »backbord«. Das neu eröffnete »Nonne & Zwerg« überraschte die fleißige Truppe mit mediterranen Schnittchen. »Getränke George« sowie »Nah und gut« be­tei­lig­ten sich mit Getränkespenden, ebenso wie viele andere Privat- und Geschäftsleute, wie zum Beispiel Blumen-Heidi oder die Bäckerei in der Mittenwalder, die alle zum Gelingen dieses Tages irgendwie beitrugen.

Nur das Wetter schien zunächst nicht richtig mitzuspielen. Regen- und Graupelschauer sowie Temperaturen unter zehn Grad ließen nicht darauf schließen, dass sich am Ende insgesamt mehr als 50 Menschen an der Putzaktion beteiligten. Am Nachmittag besuchte auch der stellvertretende Bezirksbürgermeister und Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler den Ort des Geschehens und zeigte sich beeindruckt von diesem Beispiel des nachbarschaftlichen Miteinanders »für einen lebens- und liebenswerten Kiez«, wie es in einem Flyer der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« hieß.

Mit diesem Flyer versuchten Mitglieder der Initiative und der Gruppe von U-Bahnhof auch mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Ziel war es, Verständnis für die soziale Situation der Methadonpatienten zu wecken und klar zu machen, dass von der Gruppe weder Gewalttätigkeiten noch sonst eine Gefahr ausgehe.

»Trittbrettfahrer« sorgen für Verunsicherung

Meist stießen sie damit auf Verständnis. Doch nicht immer. Es gab allerdings manchmal auch harte Diskussionen und unüberbrückbare Gegensätze. Dann wurde die Gruppe zum Störfaktor erklärt und sie auch schon mal kriminalisiert.

Die Vorurteile schienen sich ausgerechnet wenige Tage nach der sehr gelungenen Veranstaltung zu bestätigen, als die Polizei gleich zwei Mal anrückte.

Tatsächlich hatten sich zwei harte Junkies unter die Gruppe gemischt, die es aber nicht zulassen wollte, dass hier gefixt wurde. Es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen und es war schließlich ein Vertreter der Gruppe, der die Polizei alarmierte.

Der Vorfall sorgte anschließend für zahlreiche Spekulationen, die von »reiner Zufall« über »Trittbrettfahrer« bis hin zu »geplanter Provokation« reichten. Trotzdem hält die Gruppe auch weiter an ihrem Plan fest, sich möglichst bald als Verein zu konstituieren, um die Situation langfristig zu verbessern. Dafür haben das Bezirksamt und die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« ihre Unterstützung zugesagt.

Zudem sind auch weitere Projekte angedacht. So steht zum Beispiel ein Modell zum Thema »Nachbarschaftshilfe« zur Diskussion.

Mit der Putzaktion, so glauben die Vertreter der Initiative, ist eine gute Grundlage für künftige Aktionen gelegt. Sylvia Zepfel, Kopf der Initiative, erklärte: »Mein Fazit ist, wir brauchen noch mehr solcher Aktionen und Toleranz, um diese Probleme zu lösen. Ich freue mich schon auf das nächste Miteinander.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2017.

Letzter Vorhang für Mänix

Manfred »Mänix« Wilhelm *1960 †2017 (Foto: phils)

»Es gibt Staatsschauspieler an staatlichen Bühnen, Stadtschauspieler an städtischen Bühnen und ich bin eben ein Bezirksschauspieler«, sagte Mänix einmal, mit seinem unverwechselbaren Humor, über sich selbst. Er reihte sich damit ein in das Heer jener Schauspieler, die ihrem Engagements über die »Zentrale für Bühne und Film« bekamen, meist ABM- oder MAE-Maßnahmen. Seiner Leidenschaft tat das keinen Abbruch. Häufig war die Kneipe seine Bühne. Zum Beispiel das legendäre »Mrs Lovell« in der Gneisenaustraße. Jeden Donnerstag gab er dort seinen »Stroganoff« zum Besten, jenes Gedicht von Friedrich Holländer, das die Legende über die Entstehung des Bœuf Stroganoff zum Inhalt hat. Die meisten Stammgäste kannten den Stroganoff irgendwann auswendig, und so ergab sich schließlich ein stimmungsvolles Wechselspiel, das sich Woche für Woche wiederholte.

Geld war damit nicht verdient, aber viel Applaus. Für den Lebensunterhalt mussten andere Engagements her, wie in Cottbus bei der Theaterinitiative C. In Neukölln verkörperte er den legendären Neuköllner Ermittler Borscht in Echtzeitfällen. Auch auf der Bühne des Straßenfestes in der Mittenwalder Straße trat er auf. Dann endlich schien sich das Blatt zum Guten zu wenden. Er wurde vom Spandauer Volkstheater Varianta engagiert und feierte mit dem Stück »Weihnachten sind wir alle wieder zu Hause« Erfolge. Doch sehr lange sollte das Glück nicht von Dauer sein. Eine Krebsdiagnose beendete seine Laufbahn endgültig. Mänix ging sehr offen mit seiner Krankheit um und zeigte nach außen hin dabei einen bewundernswerten Gleichmut. Mänix hat in seinem Leben vielen Menschen viel Freunde gemacht und am Ende einigen vielleicht auch Mut.

Ein ausführlicher Nachruf folgte in der April-Ausgabe der KuK

Peter S. Kaspar

Kreuzberg wehrt sich

Initiative gegen Initiative gegründet

Am 12. Februar titelte der Tagesspiegel: »Kreuzberger wollen Drogenabhängige vertreiben«. Dahinter verbirgt sich die Initiative einer Anwohnerin. Ihr missfällt eine Gruppe von Leuten, die sich täglich auf dem U-Bahnhof Gneisenaustraße trifft. Es handelt sich dabei um ehemalige Drogenabhängige, die in einem Methadonprogramm untergekommen sind. Die Ausgabestelle des Substituts ist in der Heimstraße. Es sind also Leidensgenossen, die sich dort treffen. Die Anwohnerin will, dass die Substituierten verschwinden. Sie verlangt auch die Schließung der Methadonausgabestelle. Unter anderem soll sie auch schon mit Flugblättern auf das Problem ausmerksam gemacht haben.

Unterdessen hat sich aber eine zweite Initiative gegründet, die eben nicht will, dass die Menschen von dort vertrieben wären. Die allerdings wären auch gerne woanders. Doch sie haben schlechterdings keine Möglichkeit, sich andernorts zu treffen. Die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« will die Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße nun unterstützen und erst Mal eine Vertreibung vom Bahnhof verhindert. In einem nächsten Schritt will sie mit allen beteiligten Lösungsmöglichkeiten für die verschiedenen Probleme erarbeiten. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: Tolerantes Kreuzberg

Am Donnerstagabend wurde diese Initiative offiziell aus der Taufe gehoben. Tags darauf kommt dann auch schon die erste Pressemitteilung heraus:

Initiative wirbt für Tolerantes Kreuzberg
Über 100 Unterstützer stärken der Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße den Rücken
»Tolerantes Kreuzberg«, diesen Namen hat sich eine neue Bürgerinitiative in Kreuzberg gegeben. Auslöser für die Gründung der Initiative waren Berichte über eine andere Initiative, die versucht, 15 bis 20 Methadon-Patienten, die sich tagsüber am U-Bahnhof Gneisenaustraße treffen, von dort zu vertreiben. Erstmals traf sich die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« am Donnerstagabend im »Backbord« in der Gneisenaustraße. Mit dabei waren auch zwei der Betroffenen, die die Situation am U-Bahnhof aus ihrer Sicht schilderten. Dabei stellte sich heraus, dass die Gruppe sich nur deshalb dort trifft, weil sie sonst keine gar keine andere Möglichkeit habe.
Gemeinsam wollen nun die Initiative und die Gruppe vom U-Bahnhof Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Eine der ersten Maßnahmen der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« wird eine Einladung zu einem Gespräch sein, die an den Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler geht und an die Initiative, die die Gruppe vom U-Bahnhof entfernen will. Der Verein Kiez-Community will dafür Räume in House of Life zur Verfügung stellen. Nach Vorstellung der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« soll dieses Gespräch in der zweiten Märzwoche stattfinden.
Die Resonanz auf die Initiative im Kiez rund um den U-Bahnhof ist groß. In weniger als 48 Stunden hatten bei einer schnell improvisierten Unterschriftenaktion sich 100 Menschen solidarisch erklärt. »Vertreibung aus unserem Kiez geht gar nicht«, war dabei einer der Sätze, die die Unterschriftensammler am häufigsten zu hören bekamen. Auch die Nachbarschaftsvereine Kiezcommunity und mog61 sagten der neuen Initiative jegliche Unterstützung zu.

Bitte beachten Sie die Gegendarstellung zu diesem Artikel.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2017.

Ordnungsruf der Spaßpartei

Es sind ja nicht nur unverbesserliche Konservative, die die Wahl von Spaßparteien in Parlamente sehr kritisch sehen. Dass man mit diesen eigenwilligen Volksvertretern sehr entspannt umgehen kann, bewies der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD) in einem überaus amüsanten Schlagabtausch mit Martin Sonneborn (PARTEI). Dabei erfüllen Gruppierungen wie die Partei »Die PARTEI« durchaus einen sinnvollen Zweck, halten sie dem üblichen Parlamentsbetrieb bisweilen doch einen ganz lehrreichen Narrenspiegel vor. Was jedoch am Montag in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) der Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg passierte, hat noch einmal eine ganz andere Qualität. Da waren es ausgerechnet die Vertreter einen sogenannten »Spaßpartei«, die den Etablierten nicht nur den Spiegel vorhielten, sondern sie auch noch sehr energisch – und offenbar effektiv – zur Ordnung riefen. Dass Linke und SPD die Vorsteherin des Gremiums, Kristine Jaath (Grüne) beim ersten Versuch über die Klinge springen ließen, war schon sehr verwunderlich. Noch kurz zuvor hatten sich die drei Parteien gegenseitig heilige Eide geschworen, gegen die drohende Gefahr von rechts zusammenzuhalten. Die unmittelbar darauffolgenden Muskelspiele hatten dann aber mehr mit einem Kindergarten, als mit vernünftiger Lokalpolitik zu tun. Als dann Riza Cörtlen von der Fraktion »Die PARTEI« in die Bütt stieg, kehrte offenbar die Vernunft wieder zurück. Tatsächlich drohte der BVV bis zum Januar die Handlungsunfähigkeit. Die hat die PARTEI mit Cörtlens Kandidatur verhindert. Schon alleine dafür haben es die angeblichen Spaßpolitiker verdient, in die BVV gewählt worden zu sein. Das mag auch als Warnung für die Zukunft gelten. Wenn sich die großen Drei wieder zu unnötigen Kraftmeiereien hinreißen lassen, besteht nun immer die Gefahr, dass sie von einer kleinen Fraktion der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Danke Frank Henkel! Danke AfD!

Die eigentliche Gewinnerin der Berlin-Wahl heißt Monika Herrmann. Oft angefeindet vom politischen Gegner und auch in den eigenen Reihen bisweilen misstrauisch beäugt, wird sie nun eine gefragte Gesprächspartnerin sein. Ihre Erfahrungen als erprobte Moderatorin einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit sind von großem Nutzen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen und die daraus vermutlich resultierende Koalition. Sie selbst hat stets beteuert, keinem Ruf in die Landesregierung zu folgen. Dazu sei sie zu sehr Kommunalpolitikerin. Es wäre auch unlogisch, denn mit einer neuen Regierung kann sie die Früchte ihrer Arbeit ernten. Mit Sicherheit wird es unter einem neuen Innensenator zu einem vernünftigen Sicherheitskonzept am Kotti kommen, auch die gescheiterte Null-Toleranz-Politik um den Görli eines mindestens ebenso gescheiterten Frank Henkel wird ein Ende haben. Monika Herrmanns Lieblingsprojekt – die Coffee-Shops – werden wieder auf der Agenda erscheinen. Sie bilden den Gegenentwurf zu Henkels kaputtem Görli-Plan. Es drängt sich bei einer R2G-Koalition geradezu auf, es mit der Methode Herrmann zu versuchen. Das ist doch mal ein fettes Dankeschön an den scheidenden Innensenator wert.

Dank gilt auch der rechtsnationalkonservativen Zusammenballung namens AfD. Die sorgt nämlich dafür, dass das notorisch zerstrittene linke Lager auf einmal zusammenrückt. Wenn das gelingen sollte, dann hätte das geradezu historische Dimensionen. Wer heute die Nazi-Keule über der AfD schwingt, sollte nämlich nicht vergessen, dass der Auftieg der Nazis auch dem Umstand geschuldet war, dass sich Sozialdemokraten und Kommunisten spinnefeind waren. Wenn die AfD Grüne, Linke und SPD zusammenschweißt, dann könnte es auf Jahre hinaus eine stabile linksliberale Mehrheit geben. Abgesehen davon ist das bürgerlich-rechte Lager, das in Berlin jetzt auf 38 Prozent kommt, so heterogen, wie es das linke Lager über Jahrezehnte war. Eine Zusammenarbeit von AfD und CDU ist auf lange Sicht nur schwer vorstellbar. Eine FDP, die sich gerade so berappelt hat, wird die Rechtspopulisten nicht einmal mit der Feuerzange anfassen, falls sie nicht erneut politischen Suizid begehen will. Das heißt, so ärgerlich die Existenz der AfD in den Bezirksparlamenten und im Abgeordnetenhaus ist, so sehr garantiert sie R2G eine lange und stabile Regierungszeit, in der sehr viel möglich ist. Eigentlich können sich die künftigen Koalitionäre nur selbst ein Bein stellen.

Das Ende des gallischen Dorfes

Die Wahlanalyse: Vom Schmuddelkind zum Vorzeigeobjekt

bvv-sitzebvv-prozent Sitzverteilung und Stimmverteilung in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Grafik: kuk

Natürlich war in Friedrichshain-Kreuzberg wieder alles ganz anders, als im Rest von Berlin, sonst wäre der Bezirk ja auch nicht das chaotische Epizentrum dieser Republik. Die Grünen erreichten in absoluten Stimmen gerechnet ein besseres Ergebnis als vor vier Jahren. Die Linken zog triumphal an der SPD vorbei. Die AfD hatte hier nicht den Hauch einer Chance und sieht sich in der BVV umringt von anderen Exoten wie der Partei »Die PARTEI«, den Piraten oder der FDP. Gerechtigskeitshalber muss man auch noch die CDU dazu zählen. Deren Schmuddelwahlkampf am Ende dürfte den Grünen noch einige Stimmen hinzugespült haben. Nicht einmal mehr acht Prozent erreicht die Truppe um Kurt Wansner. Acht Parteien teilen sich nun die 55 Sitze im Bezirksplenum. Das verheißt heitere Sitzungstage.

R2G bleibt unter sich

Im Rathaus hatten sich am Wahlabend ausnahmslos Mitglieder und Anhänger von Grünen, SPD und Linken im Sitzungssal eingefunden, um die Bekanntgabe der Ergebnisse mit zu verfolgen. Kein Pirat ließ sich sehen, und für die CDU ist das Kreuzberger Rathaus in der Yorckstraße sowieso Feindesland. Und dort machte sich auch schnell eine gewisse R2G-Stimmung breit, so das inzwischen immer häufiger genutze Kürzel für eine rot-rot-grüne Koalition, die sich in Berlin nun fast zwangsläufig anbahnt. Es ist nicht die erste in der Republik. In Thüringen funktioniert dieses Bündnis unter dem ersten Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ganz ordentlich.

Zusammenarbeit ist schon fünf Jahre alt

Trotzdem schielen viele Berliner Politiker nun deutlich eher nach Kreuzberg und Friedrichshain, als nach Erfurt, denn faktisch haben rot-rot-grün im Bezirk die letzten Jahre eigentlich schon zusammengearbeitet, auch wenn immer wieder mal die Funken stieben und die beiden roten Teile dem grünen bisweilen die »Arroganz der Macht« vorwarfen. Am Sonntagabend war das vergessen und die Akteure wurden nicht müde, sich gegenseitig zu versichern, dass man ja in den letzten fünf Jahren ganz gut zusammengearbeitet habe.

Alles zielt aufs Grüne Rathaus

Im Bezirksamt hat das in der Tat ganz gut geklappt. Das scheint auch logisch, denn für die Große Koalition war das einzige Grün regierte Rathaus natürlich auch die logische und ideologische Zielscheibe aller Angriffe auf die kommunale Politik. In allen anderen Rathäusern saßen entweder rote oder schwarze Bürgermeister. Es war doch völlig klar, dass dann hier alle ein wenig enger zusammen rückten – wenigstens jene, deren Herz eher auf der linken Seite schlägt.

Und plötzlich Vorzeigeobjekt

stimmungHans-Christian Ströbele (2 v.l.) verfolgt die eingehenden Wahlergebnisse. Foto: psk

»Das ist jetzt das Ende des gallischen Dorfes«, sagte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann am Wahlabend. Die Zeiten des »Allein gegen alle« sind nun vorbei. Es ist jetzt davon auszugehen, dass Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr der Quell allen Übels auf dieser Welt ist, sondern ganz plötzlich zum Vorzeigeprojekt mutiert. Mit Volker Beck, Kerstin Müller und Hans-Christian Ströbele schaute auch ausgewiesene Grüne Parteiprominenz am Wahlabend im Kreuzbeger Rathaus vorbei. Nur Zufall? Auch wenn nach dem Zweitstimmenanteil die Grünen in einer R2G-Koalition nur drittstärkste Kraft wären, so bringen sie doch Pfunde in den Preußischen Landtag mit. Zum einen werden in Zukunft wohl zwei Rathäuser von den Grünen beherrscht, außerdem verfügen die Grünen über eine so solide Wählerschaft, wie keine andere Partei. Ein Zeichen dafür ist auch der sensationell hohe Sieg von Katrin Schmidberger, die mit 44,1 Prozent das beste Erststimmenergebnis in der ganzen Stadt einfuhr. Auch ihre Mitstreiter in den anderen Wahlkreisen des Bezirks holten – mit einer Ausnahme in Friedrichshain – ihre Wahlkreise mit großen Vorsprüngen.

schmidbergerKatrin Schmidberger holte so viele Stimmen, wie sonst kein Kandidat in Berlin. Foto: psk

Die künftigen Koalitionäre tun gut daran, den Erfahrungsschatz aus Kreuzberg und Friedrichshain schon für die Verhandlungen zu nutzen. Das gilt für die positiven, wie die negativen Erfahrungen, die hier gemacht wurden. Denn eines ist allen Beteiligten klar: Wenn im Stadtstaat Berlin eine rot-rot-grüne Landesregierung das Ruder übernimmt und diese Koalition zu einer Erfolgsgeschichte machen sollte, dann werden auch die Karten bundespolitisch noch einmal völlig neu gemischt. Und wo hat diese Entwicklung begonnen? In einem kleinen »Gallischen Dorf« im Herzen von Berlin.

Kommentar: Danke Frank Henkel! Danke AfD!

Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Wahlkreise wurden geschrumpft

Grüne schielen in Kreuzberg auf alle Direktmandate bei der Abgeordnetenwahl

Die wichtigste Neuerung bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus betrifft die Wahlkreise. Gab es bisher drei für Friedrichshain und drei für Kreuzberg, gibt es nun mehr fünf. Den spreeübergreifenden Wahlkreis 2 teilen sich nun beide Teilbezirke und er reicht von der Stralau in Friedrichshain bis zum Kotti im Herzen Kreuzbergs. Ein kleines Stück des nördlichen Graefekiezes ist ebenfalls noch dem Wahlreis 2 zugeschlagen worden. Im Süden Kreuzbergs liegt der Wahlkreis 1, der vom Chamissoplatz bis in den Graefekiez reicht. Aus dem massiven Block ist ein fast quadratisches Stück herausgeschnitten und dem Wahlkreis 3 zugeschlagen worden. Es wird von Gneisenau-, Zossener, Baerwald- und Johanniterstraße begrenzt.

In Friedridrichshain-Kreuzberg treten SPD, CDU, FDP, ÖPD, Bergpartei und die Violetten mit Bezirkslisten an, alle anderen Parteien gehen mit Landeslisten ins Rennen. Favorit sind, wie bereits bei den letzten Wahlen, die Grünen. Sie eroberten vor fünf Jahren fünf von sechs Wahlkreisen.

Grüne

Die Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut Altug (WK3).

Fotos: Grüne / Erik MarquardDie Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne
Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut
Altug (WK3). Fotos: Grüne / Erik Marquard

Der »Tagesspiegel« titelte: »Grüner wird’s wirklich nicht«. In der Tat scheint der neue Zuschnitt der Wahlkreise die Grünen nicht gerade zu benachteiligen. Es hat sich allerdings einiges getan. Mit Heidi Kosche und Dirk Behrendt, die nicht mehr antreten, verlieren die Grünen in Kreuzberg zwei echte Zugpferde. Behrendt hatte für die Grünen sogar das beste Ergebnis überhaupt eingefahren.

Trotzdem, diejenigen Kandidaten, die in Kreuzberg diekt antreten, sollten auch alle das Duell gegen die Mitbewerber gewinnen.

Dr. Turgut Altug (WK3), Katrin Schmidberger (WK1) und Marianne Burkert-Eulitz (WK2) sitzen alle bereits im Abgeordnetenhaus und würden auch gerne in der nächsten Legislatur dabei sein. Abgesichert über die Landesliste ist hier keiner. Es sollte trotzdem reichen.

SPD

Die Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3).

Fotos: SPD Berlin/Joachim GernDie Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3). Fotos: SPD Berlin/Joachim Gern

Die SPD ist in ihrer einstigen Hochburg inzwischen klar und ungefährdet die Nummer zwei. Björn Eggert kandidiert für den Wahlkreis 1 und dürfte es hier sehr schwer haben, sich gegen Katrin Schmidberger durchzusetzen, ihm bleibt die Hoffnung auf die Bezirksliste. Das gilt auch für Sevim Aydin, die im Wahlkreis 3 antritt. Sven Heinemann kandidiert im neugebildeten Wahlkreis 2.

Auch für ihn wird es nicht leicht. Immerhin hat die SPD in Friedrichshain vor vier Jahren ein Direktmandat gewonnen, dass sich Susanne Kitschun auch diesmal wieder holen möchte.

Linke

Direktkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3).

Fotos: Linke BerlinDirektkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3). Fotos: Linke Berlin

Für die Linke ist es klar, dass sie ihre Position als dritte Kraft verteidigen will, und sie stützt sich dabei natürlich auch auf ihre traditionelle Stärke in Friedrichshain. Doch auch in Kreuzberg sind die Linken längst angekommen und profitieren vor allem von zwei Dingen: Einerseits betreibt die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak ein sehr engagiertes Bürgerbüro am Mehringplatz, andererseits verfügt sie mit Knut Mildner-Spindler auf kommunaler Ebene über einen rührigen Bezirksstadtrat. Trotzdem wird es für das Trio um den Kreisvorsitzenden Pascal Meisner, der selbst im Wahlkreis 2 antritt, sehr schwer werden. Er und Jiyan Durgun (WK3) müssten schon direkt durchkommen. Gaby Gottwald muss auf Platz 25 der Landesliste schon auf ein sehr gutes Abschneiden der eigenen Partei hoffen, um ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Piraten

Es war leider ein recht kurzes Intermezzo, das die Piraten im Preußischen Landtag gegeben haben. Immerhin sorgten sie dort für viel Unterhaltung – und mit dem Vorsitz im BER-Untersuchungsausschuss prägten sie auch die Legislatur entscheidend mit. Der bekannteste Bezirkspirat ist Fabio Reinhard, der im Wahlkreis 3 antritt.

Rest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. StadlerRest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. Stadler
Der Ewige Wansner Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: pskDer Ewige Wansner
Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: psk

CDU

Dass die Kreuzberger Christdemokraten eher eine Splitterpartei im Bezirk darstellen, wissen sie selbst am besten. Trotzdem hat es für den ewigen Kurt Wansner über die Liste ins Abgeordnetenhaus gereicht. Er führt die Bezirksliste an, und so sollte der streitbare Handwerksmeister, der angeblich schon selbst die Kanzlerin zur Weißglut getrieben hat, seinen Platz in der letzten Bankreihe der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus verteidigen zu können.

FDP

Vielleicht sorgt ja die FDP für eine Überraschung. Landesweit kämpft sie derzeit um die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte sie die überschreiten, dann ist ein FDP-Abgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg nicht wahrscheinlich, aber denkbar.

AfD

Ganz undenkbar scheint vielen im multikulturellen und weltoffenen Kreuzberg, dass ein AfD-Abgeordneter den Bezirk verteten könnte. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Stimmen kämen dann auch nicht, wie man sich zwischen Kotti und PladeLü dann gerne einreden würde, nur aus Friedrichshain. Auch in Kreuzberg gibt es Ecken, wo man die AfD gar nicht so schrecklich findet. Wer mal ein wenig in die Luisenvorstadt zwischen Linden- und Alexandrinenstraße reinhört, wird da Erstaunliches vernehmen.

Und der Rest …

Bunt ist die Mischung wie immer bei Wahlen in Friedrichshain-Kreuzberg, wenngleich der Exoten weniger sind. Für die Bergpartei geht zum Beispiel der gelernte Grabredner Jan Theiler ins Rennen, der als Beruf Clown angibt. Zudem treten im Wahlkreis 3 auch noch zwei Einzelkandidaten an.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Brief an einen Schulfreund

Peter S. KasparPeter S. Kaspar

KuK-Chefredakteur Peter S. Kaspar hat einen alten Schulfreund, der politisch so ganz anders tickt, als er selbst. Nun hat er ihm einen sehr langen Brief geschrieben – aus dem linksversifften Kreuzberg an den beschaulichen Hochrhein.

Update: Dieter hat sich gemeldet. Hier geht es direkt zu seiner Antwort.



Lieber Dieter

Verdammt lang her

Wir haben ein Jahr lang das Arbeitszimmer und den Schlafsaal im Internat geteilt, haben zusammen gegessen, getrunken und Fußball gespielt. Du warst damals schon ziemlich konservativ und ich so etwas wie ein linker Exot (sozialliberal, gibt’s heute auch nicht mehr). Mehr als 30 Jahre später hatten wir uns auf Facebook wiederentdeckt. Du lebst am Hochrhein und ich im Sündenpfuhl Berlin-Kreuzberg.

Als wir unsere Facebook-Freundschaft begannen, hatte gerade ein Wirtschaftsprofessor namens Bernd Lucke die AfD gegründet, was Du für eine blendende Idee gehalten hast. Ich war inzwischen, wie ein anderer Professor der AfD sagen würde, im linksversifften Millieu angekommen. Aber dazu später mehr. Vielleicht erinnerst Du Dich, dass ich damals der Meinung war, dass die AfD vielleicht gar keine so schlechte Idee und ein gutes Sammelbecken für all die verstörten CDU-Wähler sei.

Was uns eint

Seither hat sich eine Menge geändert. Der Wirtschaftsprofessor wurde aus der AfD rausgeekelt, Olaf Henkel hat die AfD unter einem großen Getöse verlassen und die ganze Partei ist unzweifelhaft sehr nach rechts gedriftet. Den Grund dafür hat Alexander Gauland ja trefflich als „Gottesgeschenk für die AfD“ beschrieben, nämlich die Flüchtlingskrise.

Ich glaube aber das greift ein wenig zu kurz. Und nun kommen wir zu einem Punkt der Dich möglicherweise sehr überraschend wird: Wir sind und in vielen grundlegenden Dingen völlig einig. Ich glaube auch, dass es ein großes systemische und europaweites, so sogar weltweites Versagen der verantwortlichen Politiker gibt. Ich glaube auch, dass in den europäischen Institutionen zu viel entschieden wird und zu wenig demokratisch legitimiert ist. Wir sind beide der Meinung, dass Fluchtursachen beseitigt werden müssen. Ich teile ganz bestimmt deine Meinung, dass die Polizei massive gegen kriminelle Antänzergruppen und ähnliches vorgehen muss und ich hab auch gar nichts dagegen, dass solche Figuren abgeschoben werden. Bei längerem Hinsehen wird es sicher noch das ein oder andere geben, was uns eint.

Es wird sicher Leute aus meinem Umfeld geben, die empört aufheulen, dass ich mich „mit so einem Nazi wie Dir“ überhaupt auseinandersetze. Denen sage ich natürlich, dass Du eben kein Nazi bist, ebenso wenig wie die meisten AfD-Wähler. Aber es gibt eben Nazis bei der AfD und unter ihren Wählen. Das ist genau so wie bei den Nordafrikanern. Da gibt es auch Antänzer und Drogendealer. Aber die absolut überwiegende Mehrheit gehört eben nicht dazu. Du siehst an dem Beispiel, dass mit die Nazi-Keule meiner linken Freunde manchmal ganz schön auf den Wecker geht.

Was mich irritiert

Aber eines gibt es, dass mich ein Deiner Haltung enorm irritiert. In Deinen wirtschaftspolitischen Betrachtungen gehst Du sehr genau und analytisch vor. Inhaltlich stimme ich damit zwar nicht immer überein, aber ich finde es häufig gut durch argumentiert, gut analysiert und vor allem gut recherchiert. Und genau darum verstehe ich nicht, wie Du für eine Partei eintreten kannst, dessen stellvertretende Parteivorsitzende vollmundig verkündet, dass sie für die Abschaffung der Vermögenssteuer kämpfen wird. Was soll das? Will ich das politische Schicksal der Nation in die Hände einer Partei legen, die Steuern abschaffen will, die es gar nicht gibt? Ist Frau von Storch nur dumm oder verfolgt sie damit einen Zweck? In der gleichen Sendung sagt diese Frau, dass sie gegen die explodierenden Lebensmittelpreise kämpfen wird. Was sagt mir ein wirtschaftspolitisch gebildeter Mensch wie Du dazu? Weiß die Frau nicht, dass Deutschland die niedrigsten Lebensmittelpreise aller großen Industrienationen hat? Ist das demagogische Absicht oder Unkenntnis? Beides ist natürlich ein Grunde auf keinen Fall die AfD zu wählen. Gerade die bei Frau von Storch ließe sich die Liste der unqualifizierten Zitate noch deutlich verlängern. Mit treiben ja schon die Politiker der etablierten Parteien zur Verzweiflung, aber diese Frau toppt nun wirklich alles.

Es gibt natürlich klügere Köpfe als Frau von Storch in dieser Partei. Dass Frauke Petrys Lebensgefährte sie sogar „diabolisch“ nennt, sollte uns hier nicht interessieren. Dass sie nach außen hin ein ganz anderes Familienbild verkauft, als sie selbst lebt, ist eine andere Geschichte und hätte Dich – handelte es sich um eine Grüne Politikerin – sicher schon längst zum ein oder anderen bissigen Kommentar hingerissen. Vielmehr geht es mir um etwas ganz anderes. Sie fordert allen Ernstes, dass sie Waffengesetze gelockert werden sollen. Du und ich wissen beide ganz genau, dass Länder in denen Waffengesetze liberaler sind, als in Deutschland, die Rate der Schwerst- und Gewaltkriminalität um ein vielfaches höher ist. Will Frau Petry die Kriminalitätsrate in Deutschland in die Höhe treiben?

Im Selbstbedienungsladen

Du hast Dich oft über die Selbstbedienungsmentalität in der Politik aufgeregt. Auch das ist so ein Punkt, an dem wir nicht so weit auseinanderliegen. Mit recht hast Du Dich in diesem Zusammenhang auch über die unsägliche Frau Hinz von der SPD geäußert.

Die AfD leistet sich in Baden-Württemberg jetzt zwei Fraktionen. Das heißt, es gibt zwei Fraktionsvorsitzende, die höhere Bezüge kassieren, zwei Fraktionsgeschäftsführer etc. etc. Summa summarum kommen wir auf, ich meine etwa 83.000 Euro Mehrkosten im Monat für den Steuerzahler. Das macht dann jedes Jahr eine Million, nur weil sich die AfD-Fraktion intern nicht einig ist. Das ist meines Erachtens in der deutschen Politiklandschaft ziemlich einmalig, dass der Steuerzahler für den parteinternen Streit in einer Fraktion bezahlen muss. Auch aus diesem Grunde wäre diese Partei für mich nicht wählbar.

Wie attraktiv ist der deutsche Pass?

Über Herrn Höckes: „Die Deutsche Staatbürgerschaft muss wieder ein Luxusgut werden“, haben wir uns ja schon mal unterhalten. Ich hab da noch einmal darüber geschlafen. Im Grunde hat der Höcke ja recht. Wenn man sich die Zahlen des statistischen Bundesamt anschaut, dann ist es eigentlich beschämend, wie wenig Menschen, die das Anrecht hätten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, dieses auch tun. Die Ausschöpfungsquote bei den Türken liegt bei 1,6 Prozent. Selbst bei den wirklich armen gebeutelten Griechen liegt die Ausschöpfungsquote bei 1,1 Prozent. Wo sind denn die Heerscharen von Ausländern, die alle auf den deutschen Pass geiern? Wenn von 300.000 in Deutschland lebenden Griechen, die die Voraussetzung erfüllen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, gerade mal 3000 von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, kann man doch nicht von einem Luxusgut sprechen. Das ist Unfug. Jemand, der so trefflich wie Du mit Zahlen zu jonglieren weiß, sollte das doch auf den ersten Blick erkennen. Stattdessen gibst Du Höcke 100 Prozent recht. Aber ich erwähnte ja, dass ich ihm im Grunde auch recht gebe. Allerdings wohl nicht in seinem Sinne. Ein Luxusgut ist etwas Erstrebenswertes. Offensichtlich will keine Sau die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Und das sollte uns nachdenklich machen. Das sind die alarmierenden Zahlen. Unser soziales Netz, das Deiner Meinung nach so erstrebenswert ist, ist offensichtlich 99 Prozent der Griechen und 98,4 Prozent der Türken scheißegal. Wäre es bei diesem Zahlen nicht vernünftiger, sich darüber Gedanken zu machen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit attraktiver gemacht werden könnte?

Ärzte aus Pakistan, Pfarrer aus Afrika

Ich weiß nicht, wann Du das letzte mal (ich hoffe, lang ist es her) ein Krankenhaus von innen gesehen hast? Es ist schon erstaunlich, wie viele Ärzte inzwischen aus Nordafrika, Pakistan oder Indien kommen. Warum wohl? Weil sich kaum noch junge deutsche Ärzte den Stress und die miese Bezahlung einer Klinik antun wollen. Nach der Assistenzzeit soll es doch so schnell wie möglich eine eigene Praxis sein. Die Pflege im Krankenhaus – aber auch in Altenheimen – ist ohne Kräfte aus Südosteuropa und aus Asien gar nicht mehr leistbar. Es ist ebenfalls verwunderlich, wie viele Pfarreien auf dem Land inzwischen mit Priestern aus Afrika besetzt sind, das ist übrigens ein heißes Thema in der DBK. Es finden sich einfach nicht mehr genügend deutsche Pfarrer. In der Eifel wird gerade eine Freiwillige Feuerwehr in ihrem Bestand durch Flüchtlinge gerettet. Ich kenne hier etliche kleine Ausbildungsbetriebe im Handwerk, die zwei bis vier Ausbildungsstellen anbieten. Da bewirbt sich nicht mal jemand. Unglaublich, wie ausländerfreundlich die plötzlich sind. Unser langjähriger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner, ein erzkonservativer Knochen vor dem Herrn, der gerne alles und jeden ausweisen würde, hat vor einiger Zeit in seiner Eigenschaft als Handwerksmeister an die Handwerkskammer Berlin-Brandenburg einen Brief geschrieben. Darin hat er sich bitterlich darüber beschwert, dass so viele junge Türken, die man hier mühsam ausgebildet habe, jetzt einfach alle in die Türkei abhauen würden und ob man dagegen nicht etwas unternehmen könne. Und glaub mir – ein Kurt Wansner steht Dir politisch hundert Mal näher als ich.

Ich hab von Dir auch schon den zynischen Kommentar gelesen – oder vielleicht war es auch von Michael – wo denn nun die ganzen gut ausgebildeten Ärzte seien unter all den Flüchtlingen. Ich glaube nicht, dass uns eine syrische Ärzteschwemme sehr glücklich machen würde. Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir sehr unglücklich wären, wenn plötzlich alle ausländischen Ärzte aus deutschen Krankenhäusern abgezogen würden.

Angst vor dem Islam

Und nun lass uns zu einem Deiner (und meiner) Lieblingsthemen kommen – ein Thema das auch die AfD enorm befeuert hat. Und da bin ich dann auch wieder einigermaßen fassungslos, wie man diesen Rattenfänger folgen kann – und hier wird es wirklich gefährlich. Erstaunlicherweise haben wir beide auch hier eine gemeinsame Ausgangslage. Dass dem IS das Handwerk gelegt werden muss, ist klar. Wir sind auch sicher einer Meinung, dass der Islamismus bekämpft werden muss. Und genau hier liegt das Totalversagen, das brandgefährliche Totalversagen der AfD: In der Gleichsetzung des Islam mit dem Islamismus und der Verteufelung einer ganzen Religion. Das ist nicht nur empörend, das ist auch genagelt dumm. Es ist doch so, dass die weitaus größte Zahl der Terroropfer von Islamisten nun mal Moslems sind. Die größten Leidtragenden des Islamismus sind die Moslems. Ich hab selbst vor drei Jahren erlebt, was das für ein Jubel und für eine Befreiung war, als in Ägypten Mursi und seine Islamisten-Sippschaft verjagt wurden. Ein ganzes Land hat gefeiert, dass sie die Scheiß-Islamisten endlich los sind. Die größten, verlässlichsten und wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Islamismus sind nämlich Moslems selbst. Aber wie soll man da ein vernünftiges Bündnis schmieden, wenn schon die Diktion jegliche Gesprächsgrundlagen zerstört und der mögliche Verhandlungspartner unter Generalverdacht steht? Die AfD verprellt auf der Jagd nach Wählerstimmen den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Ist leider so – und das halte ich für dumm und gefährlich.

Patrioten, die Deutschland schaden

Bleibt bei der AfD noch ihre so sehr zur Schau gestellte patriotische Gesinnung. Ich halte es zumindest nicht für einen Ausweis von großem Patriotismus, wenn man das eigene Land nachhaltig schädigt. Und das tut die AfD ausgiebig.

Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland hatte sich ja vor einem Jahr sehr erstaunlich gewandelt, nach Merkels: „Wir schaffen das“. Jetzt mal völlig unabhängig davon, ob sie recht hatte oder nicht – das ist eine Diskussion, die wir gerne ein andere mal führen können – der Spruch hatte für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Der Kern der Kritik klang etwas so: „Merkel hat mit diesem Satz alle nach Deutschland eingeladen“, und damit den Flüchtlingsstrom, nach Deutschland befeuert. Auf der anderen Seite wird im Ausland sehr wohl registriert, wie und mit welchen Sprüchen die AfD Wählerstimmen gewinnt. Wenn im Ausland der Eindruck entsteht, dass Deutschland ein Land von Xenophobikern ist, das Gastfreundschaft nicht sonderlich groß schreibt, denn werden wir in den nächsten Jahren nicht nur auf Pfarrstellen und Ärzteposten in Krankenhäusern Probleme bekommen. Wir beide gehören zu den letzten der Babyboomer-Generation und danach geht es bergab. Wir brauchen die Zuwanderung dringend, gerne auch ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, meinetwegen auch nach Kanadischem Muster. Aber uns wird das schönste Zuwanderungsgesetz nichts nützen, wenn keiner kommt, weil alle unser Land so ekelig finden. Ich bin mal gespannt, was Herr Höcke sagt, wenn er eines Tages im Krankenhaus liegt und kein indischer Arzt da ist, der ihn operiert und keine philippinische Schwester die ihn pflegt. Das schüren von Fremdenfeindlichkeit schadet der deutschen Wirtschaft, schadet Kunst und Kultur und es schadet vor allem der Wissenschaft. Schon jetzt haben wir ganz große Probleme unsere eigenen Spitzenwissenschaftler zu halten. Wir sollen wir da im internationalen Wettbewerb mithalten, wenn sich Wissenschaftler aus dem Ausland nicht hier her trauen oder schlicht unwohl fühlen. Meinst Du, es macht einem indischen Wissenschaftler Spaß, in einem Dresdner Institut zu forschen, wenn es von draußen skandiert: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus?“ Okay, dann geht er halt nach Stanford oder Cambridge (ach nee, eher nicht, da kann ihm ähnliches passieren) oder Stockholm.

Schlechtes durch noch Schlechteres ersetzen?

Nun schreibe ich schon eine gute Stunde an dem Brief und Du siehst, dass mich dein Seelenheil umtreibt. Aber ich denke, es wird nun Zeit für ein Resümee. Ich kann verstehen, dass man die ganze herrschende Politikerkaste von Links bis Rechts (oder was davon noch übrig ist) von Herzen verabscheut. Was ich nicht verstehen kann, ist dass man schlechtere Politiker unbedingt durch noch schlechtere ersetzen will. Jemand wie Du, der viele Dinge gründlich recherchiert und gut analysiert, teilt ungeprüft den letzten Mist und preist ihn dann auch noch als der Weisheit letzter Schluss. Vielleicht liegt das ja auch an der Verlockung des Mediums Facebook. Manchmal fühle ich mich auch persönlich gekränkt. Wenn Du etwa aus der Basler Zeitung zitierst und das ganze als unabhängige und neutrale Sicht des Auslandes anpreist. Das ist es natürlich nicht. Hey, ich merk das, ich bin Journalist! Du weißt selbst, dass die BaZ ein Sprachrohr von Christoph Blocher ist. Natürlich findest Du Blocher deutlich besser als ich. Doch wenn jemand auf eine Wahlniederlage mit den Worten reagiert: „Die Mehrheit war gegen den Willen des Volkes“, dann macht mir so etwas Angst und diese Angst sollte jeder aufrechte Demokrat teilen. Und wenn Blochers Kumpel Brabeck-Lethmate sagt: „Wasser ist kein Menschenrecht“, deren gemeinsamer Kumpel Roger Köppel darüber schwadroniert, dass in Afrika die Fluchtgründe beseitigt werden müssen, aber den Nestlé-Wasserklau nicht mit einem Wort erwähnt, sollte das einen stutzig machen, finde ich. Man kann nicht einerseits sagen, ich will keine Flüchtlinge mehr aber andererseits Afrikanern buchstäblich das Wasser abdrehen. Wenn man das tut, dann kommen die nämlich hierher. Die Zwangsläufigkeit dieses Prozesses ist wohl nicht schwer zu erkennen.

Gruß aus dem linksversifften Kreuzberg

Ich finde übrigens die Wortwahl linksversifft für einen Professor einigermaßen irritierend, aber nun ja. Wenn ich Dir aus dem linksversifften Kreuzberg eine Empfehlung geben darf: Bleib ein aufrechter Konservativer, das braucht dieses Land derzeit dringender denn je. Aber zu den konservativen Werten gehören Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit. Von beidem hat die AfD herzlich wenig bis nichts zu bieten. Im Grunde genommen weißt Du das auch. Im Moment gibt sie Dir einfach eine Projektionsfläche für Deine Wut und Deinen Frust über die herrschenden Parteien. Aber für mich ist die AfD eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz. Mit jeder dummdreisten Lüge kommen die Typen durch.

Nein, bleib widerständig, aber doch nicht mit der AfD. Gründe meinetwegen eine eigene Partei oder probiers nochmal mit der CDU. Gerade dort unten seid ihr doch aufmüpfig genug. Ich erinnere mich noch, als Ende der 70er Anfang der 80er der „Schlafwagenwahlkreis“ WT an einen CDU-Granden gehen sollte und ihn der Kreisverband hat auflaufen lassen. Das war ein Spaß.

Vielleicht magst Du mir mal antworten. Es müssen ja nicht gleich 16.000 Zeichen sein. Anderswo bekomme ich für diese Schreibleistung viel Geld.

Ich hoffe, es kommt was von dem an, was ich Dir geschrieben habe. Es würde mich sehr freuen. Es gibt sicher auch für Dich noch Alternativen zur Alternative für Deutschland.

Viele Grüße aus dem linksversifften Kreuzberg an den schönen Hochrhein

Dein ehemaliger Mitschüler

Peter

Berlin, den 9. September 2016

Update: Zwischenzeitlich hat Dieter sich gemeldet. Hier ist seine ausführliche Antwort:

Lieber Peter,

auch wenn meine Zeit knapp ist und ich trotz viel Schreibarbeit im Geschäft wohl nicht so leicht formuliere wie Du, möchte ich Dir antworten. Zunächst einmal ist es mir wichtig, dass Du weißt, wie ich auf die AfD aufmerksam geworden bin.

Schon lange bin ich in der Finanzbranche tätig und habe hier eine solide Ausbildung durchlaufen. Diese machte es mir möglich, schon sehr früh (so etwa Ende der 80er Jahre) Entwicklungen und Abläufe in der Welt der Finanzen – nicht nur mikro-, sondern auch makroökonomisch verstehen und beurteilen zu können. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis auf einen Leserbrief von mir (SÜDKURIER und Badische Zeitung), in welchem ich schon 1992 (!) darauf hingewiesen habe, dass der vorgesehen Vertrag von Maastricht zu einem Betrug an den Deutschen führen wird, weil er den Eindruck erweckt, dass der Euro eine solide Konstruktion würde, die die Konstruktion der D-Mark und insbesondere der Bundesbank als Vorbild hätte. Schon damals war mir völlig klar, dass die Deutschen keine Chance haben würden, die Solidität der D-Mark und des mit ihr verbundenen deutschen volkswirtschaftlichen Systems im Euro-System aufrecht zu erhalten. Exakt genau so ist es dann auch gekommen. In diesem Zusammenhang lege ich Dir das Buch „Die Target-Falle“ von Hans-Werner Sinn ans Herz, der darin sehr gut verständlich und detailliert den Betrug offenlegt, mit dem man über den Vertrag von Maastricht und den Euro einem massiven Raubzug gegen das hart erarbeitete Vermögen der Deutschen Tür und Tor geöffnet hat. Allen voran unser damaliger Bundeskanzler Kohl, der in seinem Einheitsrausch und angesichts der verlockenden Perspektive, in die Geschichte als Kanzler der Wiedervereinigung eingehen zu können, jede Vorsicht und Skepsis (insbesondere gegenüber Interessen der angelsächsischen Hochfinanz) hat fallen lassen.

Bereits beim Platzen der Blase der „New Economie“ (bei uns „Neuer Markt“), im Zuge derer Millionen Deutsche mit manipulierten Börsennachrichten und Luftnummern um wahrscheinlich Billionen gebracht worden sind, hat die angelsächsische Hochfinanz sich um Unsummen bereichert. Ich kenne mich ganz ordentlich in der Welt der Rating-Agenturen, der Börsen und der Kapitalmärkte aus. Mein Arbeitgeber – eine Sparkasse – ist vermutlich die sozialste Bank der Welt; denn sie gehört den Bürgern ihrer Gewährträgergemeinden, hat als (öffentlichen) Auftrag die Pflicht, Bürger und Unternehmen ihres Tätigkeitsgebiets mit solide Finanzdienstleistungen zu versorgen und schüttet ausnahmslos alle Gewinne (meist in Form von Spenden, Sponsoring oder sonstigen Zuwendungen) niemals an Private aus, sondern stets an öffentliche Einrichtungen wie Vereine, kulturelle Einrichtungen, soziale Einrichtungen etc.

Die von Margret Thatcher und später Clinton in den 90ern durchgeführte massive Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte hat dazu geführt, dass hier ein enormer und weitestgehend unkontrollierter Wildwuchs entstanden ist, bei dem die Akteure der Hochfinanz das Kleinvieh der Privatanleger, das in Toto ja gleichwohl enorme Volumina generiert, nach Belieben über den Tisch gezogen hat: Durch clevere, sehr häufig aber auch hochkriminelle Manipulationen der Börsen und Märkte. Möglich war das durch die unangefochtene Machtposition der drei US-Rating-Agenturen, die Privaten gehören, sich nicht in die Grundlagen ihrer Ratings hereinschauen lassen, keinerlei wirksamer Kontrolle unterliegen und – jetzt kommt das Beste – keinerlei juristische Konsequenzen für falsche Ratings zu befürchten haben, weil ihre Ratings – wie praktisch – juristisch als Meinungsäußerungen gelten und damit – im Gegensatz zu Testaten von Wirtschaftsprüfern – nicht justiziabel sind. Und die Ratings dieser Agenturen entscheiden über Wohl und Wehe von Firmen, Holdings, Fonds und ganzen Volkswirtschaften. Wie praktisch.

Man bewegte riesige Volumina, beeinflusste massiv die Informationsdienste, arbeitete mit algorithmischen, selbst handelnden Computersystemen (70% des Handelsvolumens an der Wall Street wird im rein technischen sogenannten Hochgeschwindigkeitshandel abgewickelt), nutze Insiderinformationen, hatte mitten im System Zeitvorsprünge und handelte über Banken, die alles im Blick und Griff hatten nach Belieben in einem völlig unkontrollierten Bereich: Ein Eldorado für skrupellose Moneymaker! Und zu Lasten des „Kleinviehs“, dessen „Mist“ man sich munter unter den Nagel riss.

Dieses völlig enthemmte System hatte in Deutschland in den öffentlich-rechtlichen Sparkassen einen Gegner, der auf dem sehr attraktiven deutschen Markt nicht in den Griff zu bekommen war. Deshalb wurden die Sparkasse so etwas ab 2002 massiv auf der politischen Ebene angegriffen, indem man versuchte, die öffentlichen Institute zu privatisieren und für die Hochfinanz käuflich zu machen. Dazu sollte man wissen, dass der deutsche Bankenmarkt der weltweit am härtesten umkämpfte ist und dass vor allem die Sparkassen, aber auch die Volksbanken dafür sorgten, dass die Deutschen flächendeckend und zu akzeptablen Preisen Zugang zu allen Finanzdienstleistungen hatten. 2005 habe ich im Rahmen einer Verwaltungsratssitzung beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband in Berlin auf die unfassbare Position der Rating-Agenturen hingewiesen – und nur verständnislose Blicke geerntet.

Warum erzähle ich Dir das alles?

Ich kenne das angelsächsische Finanzgebaren zur Genüge. Ich kennen die Gier, die Skrupellosigkeit und auch die kriminelle Energie, die hier am Werke ist, um immer mehr Weltvermögen auf immer weniger Mächtige zu konzentrieren.

Deutschland hatte bei der Einführung des Euro keine Freunde; nur „Partner“, die die Stärke der D-Mark torpedieren und Deutschlands Wirtschaftsmacht eingrenzen und für sich maximal nutzbar machen wollten. Thatcher und Mitterand willigten nur unter der Voraussetzung in die Wiedervereinigung ein, dass Deutschland zu Gunsten des Euro die D-Mark aufgibt. Von Mitterand stammt sinngemäß denn auch das Zitat: „Der Vertrag von Maastricht ist wie der Vertrag von Versailles – nur ohne Krieg“.

Die Amerikaner hatten andere Interessen. Ihnen ging es vor allem darum, den Euro schwach zu halten. Denn ein starker Euro mit einer prosperierenden europäischen Wirtschaft könnte die Stellung des Dollar als Welt-Leitwährung gefährden – eine Horrorvorstellung für die Amerikaner mit Ihrem regelmäßig horrenden Handelsbilanzdefizit. Deshalb sorgten sie über geschickte Manöver der „Gottes Werk“ verrichtenden Bank Goldman Sachs dafür, dass mit Griechenland ein Kukucksei den Weg in den Euro fand, das diesen nachhaltig schwächen würde. Die Aufweichung der Konvergenzkriterien und der Bruch relevanter Gesetze (No-Bail-Out, Staatsfinanzierungen über die Notenpresse etc.) gaben dem Euro den Rest und führten zu einer nachhaltigen Schwächung der Volkswirtschaften Europas. Aus diesem Grund torpedieren die Amerikaner übrigens auch jede Annäherung zwischen Deutschland / Europa und Russland, die Putin in seiner Rede 2001 vor dem Deutschen Bundestag (ein sehr authentischer und wie ich überzeugt bin ehrlicher Putin) angeboten hatte. Deutsch-europäisches Know-how OHNE russische Bodenschätze ist für die Amis kein Problem. Russische Bodenschätze OHNE deutsch-europäisches Know-how auch nicht. Deutsch-europäisches Know-how kombiniert MIT russischen Bodenschätzen ist für die Amis aber eine Horrorvorstellung, für deren Verhinderung sie meiner festen Überzeugung nach zu jeder Sauerei fähig wären; würde dies doch ihre Vormachtstellung in der Welt massiv gefährden! Wesentliche Doktrin jeder US-Administration ist es denn auch, eine europäisch-russische Annäherung mit allen Mitteln zu verhindern. Damit ist man bislang – auch über das Vehikel NATO – auch durchaus erfolgreich.

Wenn man nun die mit gefälschten Beweisen begründeten völkerrechtswidrigen Kriege der USA, das Agieren von Organisationen wie der CIA oder NSA oder die Skrupel- und Gesetzlosigkeit im Umgang mit „Freunden und Partnern“ und die sozialen Zustände in den USA noch im Kontext mit dem Finanzgebaren der USA sieht, versteht man das Misstrauen und die Ablehnung, mit der ich amerikanisch dominierter Politik und Ausbeutungs- und Beherrschungsinstrumenten wie TTIP oder Ceta gegenüberstehe (Du hattest mich kürzlich auf meine TTIP-Gegnerschaft angesprochen).

Diese Politik gegen Deutschland und seinen hart erarbeiteten Wohlstand ist mir schon lange ein massiver Dorn im Auge! Immer mehr habe ich gehofft, dass die Merkel-Regierungen diesem Treiben Einhalt gebieten würden; und immer mehr stellte sich heraus, dass dies nicht nur nicht der Fall war, sondern dass unsere eigene Regierung dem Raubzug gegen Deutschland Tür und Tor öffnete. Dann kam nun Lucke und thematisierte exakt das, was mir hier unter den Nägeln brannte. Für mich war sofort klar, dass ich das unterstützen würde – zumal der Mann exzellent argumentierte. So bin ich zum Anhänger der AfD geworden.

Die anderen, nicht wirtschaftlichen Themen kamen dann später. Aber auch hier war es so, dass die AfD die einzige Partei war, die dem „alternativlosen“ Treiben Merkels entschieden – und wie ich überzeugt bin, absolut zu recht – entgegen trat. Ich habe schon mehrfach detailliert beschrieben, in welch völlig inakzeptablen Maß – und dieser Meinung sind ja auch namhafte Verfassungsrechtler und aufrechte Publizisten – die Merkel-Regierungen in nahezu ständigem Einklang mit allen übrigen Altparteien Recht und Gesetze aller Art, bis hin zum Grundgesetzt, nach Belieben brachen und brechen. Und ich habe Dir auch schon geschrieben, dass ich das auf keinen Fall länger akzeptieren will und dass ich manche Kröte zu schlucken bereit bin, wenn nur jemand kommt, der den Altparteien hier ordentlich dazwischen grätscht. SO KANN UN DARF ES AUF KEINEN FALL WEITERGEHEN!

Nun möchte ich in der Folge noch auf einige Anmerkungen von Dir eingehen, die Du in Deinem offenen KuK-Brief an mich gemacht hast.

Du schriebst: „Ist Frau von Storch nur dumm oder verfolgt sie damit einen Zweck?“

Ich sage dazu: Ich bin überhaupt kein Fan von Frau von Storch! Mich nervt ihre vorlaute Art und mich nerven Politiker, die schlecht vorbereitet in Talk-Shows gehen. Mich nerven aber auch Typen wie Ralf Stegner, die völlig inakzeptabel gegen eine demokratische AfD hetzen und kein Problem haben, wenn AfD-Mitglieder von staatlich unterstützten Antifa-Sturmtrupps angegriffen und verletzt werden, AfD-Wahlveranstaltungen von der Antifa mit SA-Methoden verhindert werden oder wenn Wahlwerbung der AfD in bundesweit großem Stil von linkem Abschaum beschädigt oder entfernt wird.

Du schriebst: „Der Wirtschaftsprofessor wurde aus der AfD rausgeekelt, Olaf Henkel hat die AfD unter einem großen Getöse verlassen und die ganze Partei ist unzweifelhaft sehr nach rechts gedriftet.“

Ich sage dazu: Der Wirtschaftsprofessor hat den Fehler gemacht, ins Europa-Parlament einzuziehen. Dadurch verlor er den Kontakt zur AfD-Basis. In einer noch sehr jungen und chaotischen Partei ist das ein schwerer Fehler! Diesen Fehler wollte er korrigieren, indem er eine alleinige Vormachtstellung in der AfD anstrebte, was in einer Partei, die den Respekt vor dem Bürgerwillen und Meinungspluralismus auf ihren Fahnen hat, nicht gut ankommt. Von Alleinherrschern hat man in der AfD die Schnauze voll; das war ja auch ein Grund für das Entstehen der AfD! Zu Henkel ist zu sagen, dass er überall und nirgends daheim ist. Er hat nie zum Establishment der AfD gehört und war schon immer da zu finden, wo er seine Eitelkeit am besten befriedigen konnte. Und dass die AfD „nach rechts gedriftet“ ist, mag sein. Gleichwohl steht sie mit ihrem Grundsatzprogramm da, wo die CDU 2004 gestanden ist. Das Problem liegt also nicht in der Rechtsdrift der AfD, sondern in Merkels Linksdrift, mit der sie die SPD schon links überholt hat und nun drauf und dran ist, das auch bei den Grünen zu machen.

Du schriebst: „Es wird sicher Leute aus meinem Umfeld geben, die empört aufheulen, dass ich mich „mit so einem Nazi wie Dir“ überhaupt auseinandersetze.“

Ich sage dazu: Hoffentlich hast Du nicht allzu viele Leute um Dich, die mich aufgrund der Kenntnisse, die sie von mir haben, als Nazi bezeichnen. Denn das sind Leute, die sich von Vorurteilen leiten lassen und deren Gehirne ideologieverseucht sind. Viel geistig Wertvolles kommt von solchen Leuten selten. Ich passe in überhaupt keine Schublade. Denn ich bin ein leidenschaftlicher Freidenker, der Ideologie und Politische Korrektheit verabscheut und stets ausschließlich an der Wahrheit interessiert ist. Aber so gut wirst selbst Du mich nicht mehr kennen. 😉

Du schriebst: „Aber es gibt eben Nazis bei der AfD und unter ihren Wählern.“

Ich sage dazu: Das ist leider richtig. Aber zeige mir eine Partei, die nur vorzeigbare Mitglieder hat. In der CDU gab und gibt es Betrüger und Steuerhinterzieher (Kohl, Schäuble), Hochstapler (Guttenberg, Schavan), Säufer (Schockenhoff), Meineider und Rechtsbrecher (Merkel), in der SPD gab und gibt es Leute, die Menschen an kommunistische Mörder verraten haben (Wehner), Hetzer (Stegner), Pädophile (Edathy), Hochstapler (Hinz) und Sonnenkönige (Schulz), bei den Grünen Pädophile (Cohn-Bendit), Inzest-Befürworter (Ströbele), Körperverletzer (Prügel-Joschka), Korrupte (Özdemir) und Drogensüchtige (Beck), bei der Linken Flüchtlingsschlepper (Dehm), Stasi-Denunzianten (Gisi), bei der FDP Karrieristen (Bangemann), Hostapler (Koch Mehrin), Spezialisten für „pfiffige“ Geschäfte (Möllemann) etc. etc.. Selbst SPD-Fan Günter Grass war wohl irgendwann mal ein Nazi! Was ich insgesamt für Leute in der AfD wahrnehme, macht mir auf alle Fälle nicht mehr Sorgen als das Pannenpersonal, das die Altparteien zu bieten haben! Und wenn einzelne Personen oder dumme Aussagen für Dich ein Grund sind, die AfD nicht zu wählen, darfst Du definitiv überhaupt keine Partei mehr wählen!
Du schriebst: „Dass Frauke Petrys Lebensgefährte sie sogar „diabolisch“ nennt, sollte uns hier nicht interessieren.“

Ich sage dazu: Rhetorisch clever, man benennt etwas, tut aber gleichzeitig so, als wolle man es nicht. (Aber Hauptsache, man hat es eben doch erwähnt!). Und wenn Herr Pretzell Frau Petry tatsächlich „diabolisch“ findet, hat das für mich überhaupt keine Relevant. Genauso wenig, wie wenn Frau Kauder ihren Mann vielleicht „neckisch“ findet. Was soll das also?

Du schriebst: „Sie fordert allen Ernstes, dass sie Waffengesetze gelockert werden sollen. Du und ich wissen beide ganz genau, dass Länder in denen Waffengesetze liberaler sind, als in Deutschland, die Rate der Schwerst- und Gewaltkriminalität um ein vielfaches höher ist. Will Frau Petry die Kriminalitätsrate in Deutschland in die Höhe treiben?“

Ich sage dazu: Zunächst einmal ist es so, dass nur ein schlechter Staat Angst vor bewaffneten Bürgern haben muss. Ein guter Staat nicht! Dann stellst Du den Umstand vieler Waffen in einen direkten Zusammenhang mit Gewalt. Leider ist das nicht nur falsch, sondern auch ungründlich gedacht. Denn wenn dem so wäre, müssten in der Schweiz, die weltweit mit Abstand die höchste Waffendichte im Volk hat, ja Mord und Totschlag herrschen. Dem ist bekanntlich nicht so! In den USA liegen die Gründe für die hohe Gewaltrate nicht im Waffenbesitz, sondern in der wirtschaftlichen Ungleichheit, den extremen sozialen Missständen und dem schlimmen Rassismus unter den Ethnien. Es ist nicht die Waffe, die tötet, sondern der Mensch. Wundert mich, dass das bei Dir noch nicht angekommen ist. Und wenn Dich die Frage tatsächlich quält: Ich bin absolut davon überzeugt, dass in der AfD niemand ein Interesse daran hat, in Deutschland die „Kriminalität nach oben zu treiben“! Die AfD will – wenn ich das Grundsatzprogramm richtig verstanden habe – ganz im Gegenteil die Kriminalität wesentlich stärker bekämpfen, als die Altparteien.

Du schriebst: „Die AfD leistet sich in Baden-Württemberg jetzt zwei Fraktionen. (…) Summa summarum kommen wir auf, ich meine etwa 83.000 Euro Mehrkosten im Monat für den Steuerzahler. Das macht dann jedes Jahr eine Million, nur weil sich die AfD-Fraktion intern nicht einig ist.“

Ich sage dazu: Dich hätte ich hören mögen, hätte Meuthen angesichts des Antisemiten Gedeon nicht konsequent gehandelt. Dass das nun zu dieser auch von mir als äußerst unglücklich empfundenen Situation geführt hat, ist diesem konsequenten Handeln geschuldet. Die AfD ist leider immer noch eine sehr junge Partei, die die eben klassischen Probleme einer jungen Partei noch einige Zeit „ausschwitzen“ muss. Im Moment bin ich davon überzeugt, dass ihr das gelingen wird. Darin bestärkt sehe ich mich, wenn ich an die Grünen denke, die in der 80er erstmals den Bundestag bevölkert haben. Damals haben auch viele geglaubt, die Welt ginge unter. Und für die gesetzlichen Gegebenheiten im Landtag von BW kann die AfD nun wirklich nichts.

Du schriebst: „Ich weiß nicht, wann Du das letzte Mal (ich hoffe, lang ist es her) ein Krankenhaus von innen gesehen hast? Es ist schon erstaunlich, wie viele Ärzte inzwischen aus Nordafrika, Pakistan oder Indien kommen. Warum wohl? Weil sich kaum noch junge deutsche Ärzte den Stress und die miese Bezahlung einer Klinik antun wollen.“

Ich sage dazu: Schon mein ganzes Leben lang bin ich in meinem nächsten Umfeld mit zahlreichen schweren Erkrankungen konfrontiert. Mein Vater war Augenarzt im Krankenhaus, mein Bruder ist anästhesiologischer Oberarzt in einem Krankenhaus und leitender Notarzt im unserem Landkreis. In diesem Feld kenne ich mich sicher wesentlich besser aus, als Du. Der Grund dafür, dass wir immer mehr ausländische Ärzte in deutschen Krankenhäusern haben, liegt zum einen am Problem der Demographie und zum anderen daran, dass exzellent ausgebildete deutsche Ärzte in Ländern wie z.B. England und der Schweiz wesentlich bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Dafür haben wir es hier in den deutschen Kliniken mehr und mehr mit Ärzten zu tun, die deutlich schlechter ausgebildet sind, deutschen Standards immer weniger genügen und die sich mit ihren Kollegen und den Patienten kaum noch verständigen können, was zu teilweise horrenden Situationen bis hin zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen mit allen Folgen führt. Glaube mir: Auf diese Kollegen würden die deutschen Ärzte gerne verzichten… Was die generelle Pflegesituation betrifft, gebe ich Dir recht. Ohne ausländische Kräfte wäre hier Schicht im Schacht.

Du schriebst: „Und genau hier liegt das Totalversagen, das brandgefährliche Totalversagen der AfD: In der Gleichsetzung des Islam mit dem Islamismus und der Verteufelung einer ganzen Religion.“

Ich sage dazu: Ich gebe Dir insofern recht, als auch ich glaube, dass die überwiegende Mehrzahl der hier lebenden Muslime in Frieden und Freiheit leben will. Fakt ist aber auch, dass unsere Gesellschaft systematisch und in Salamitaktik von äußerst aggressiven, intoleranten und demokratiefeindlichen muslimischen Strömungen unterwandert wird. Ich nennen hier natürlich den IS, aber auch salafistische Gruppen, Gruppen wie die von der sich radikalisierenden Türkei unterstütze Ditib und viele weitere. Fakt ist: Alle Muslime, die z.T. exorbitante Gewalt ausüben, berufen sich auf den Koran. Der Koran gibt alle diese Dinge vor, wenn man die richtigen Stellen zitiert. Die Militanz und Menschenfeindlichkeit des IS wird uns noch über Dein und mein Leben hinaus erheblich beschäftigen. Und sie ist nach meiner festen Überzeugung mindestens so gefährlich, wie die Nazi-Ideologie. Ich lehne Gruppen grundsätzlich ab, die Toleranz, Weltoffenheit und Freundlichkeit als Schwäche bewerten. Leider ist das bei sehr vielen Muslimen der Fall. Und auch wenn diese keine Mehrheiten stellen, werden sie trotzdem problemlos in der Lage sein, uns größte Schwierigkeiten zu bereiten – und das auch tun! Hier sind aus meiner Sicht also Selbstbewusstsein und Stärke angezeigt. Nicht das wachsweiche Herumgeeiere unserer Regierung. Ergänzend noch Zitate von Erdogan und dem SPD-Mitglied und ehemaligen SPD-Europaabgeordneten Öger.

Zunächst Erdogan: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Vural Öger: „Das, was Kamuni Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen, verwirklichen.“

Du kennst die Geschichte von Troja. Wir sollten auf der Hut sein!

Du schriebst: „Wenn im Ausland der Eindruck entsteht, dass Deutschland ein Land von Xenophobikern ist, das Gastfreundschaft nicht sonderlich groß schreibt, denn werden wir in den nächsten Jahren nicht nur auf Pfarrstellen und Ärzteposten in Krankenhäusern Probleme bekommen.“

Ich sage dazu: Fast im gesamten Ausland ist der Eindruck entstanden, das Merkel und ihre Regierung nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Merkel ist in Europa ebenso gescheitert, wie isoliert. Gelobt wird sie aus dem Ausland nur noch von Leuten mit Bahnhofsklatschermentalität, welche die Folgen der merkelschen Chaospolitik nicht auszulöffeln und daher gut Reden haben.

Du schriebst: „Das Schüren von Fremdenfeindlichkeit schadet der deutschen Wirtschaft, schadet Kunst und Kultur und es schadet vor allem der Wissenschaft. Schon jetzt haben wir ganz große Probleme unsere eigenen Spitzenwissenschaftler zu halten. Wir sollen wir da im internationalen Wettbewerb mithalten, wenn sich Wissenschaftler aus dem Ausland nicht hier her trauen oder schlicht unwohl fühlen.“

Ich sage dazu: Ich kann nicht erkennen, dass die AfD nennenswert Fremdenfeindlichkeit schürt. Durch das Ansprechen von erkennbaren Missständen schürt man keine Fremdenfeindlichkeit. Diese Behauptung ist in meinen Augen ein Produkt der willfährigen Merkel-Presse. Und der Umstand, dass wir hier Probleme mit Wissenschaftlern haben (was durch entsprechende Programme mittlerweile stark zurückgegangen ist) liegt nicht daran, dass die Wissenschaftler Angst vor Fremdenfeindlichkeit hätten. Die ist in anderen Ländern mindestens genauso ausgeprägt. Es liegt ganz einfach daran, dass die Wissenschaftler in anderen Ländern, insbesondere den USA mit ihrer ausgeprägten Elitenförderung – viel stärker hofiert werden und viel bessere und großzügigere Arbeitsbedingungen vorfinden. Das solltest Du eigentlich auch wissen!

So, lieber Peter, abschließend stelle ich fest:

  • Es gibt immer noch so viele gemeinsame Ansichten von uns, dass wir uns den Schädel nicht einschlagen müssen!
  • Ich habe Deine 16.000 Zeichen mit 22.658 Zeichen getoppt
  • Ich habe dafür geschlagene 3 Stunden gebraucht
  • Ich kann und werde das so schnell nicht wiederholen
  • Ich hoffe, dass meine Antwort auch in KUK erscheint und dass ich davon Kenntnis bekomme

Ich grüße Dich freundlich aus Süddeutschland als Dein alter konservativer Schulkamerad Dieter

Die Sorgen des Südens

Die Kreuzbergerin Carolina Sachs nahm als Delegierte für Attac Deutschland am Weltsozialforum in Montreal teil. Dort hat sie eine Menge von den Sorgen erfahren, die der globale Süden mit sich trägt. Vor allem in diesem Licht gewinnt die Diskussion um CETA und TTIP noch einmal eine völlig neue Dimension. Auch da hat Carolina einige überraschende Erfahrungen gemacht. Darüber berichtet sie im Interview mit Peter S. Kaspar.

Zum Tod von Margit Haßdenteufel

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Die frühere Bermuda-Wirtin Margit ist am 23. Juni gestorben. Sie wird am Donnerstag, den 28. Juli um 12 Uhr auf dem Georgen-Parchial II Friedhof in der Landsberger Allee 48 beigesetzt. Danach gibt es ein Treffen in Kreuzberg in der Burgerbar 61 in der Mittenwalder Straße 13.

Kiez und Kneipe würdigt Margit in der August-Ausgabe mit einem ausführlichen Nachruf.