Fanny-Hensel-Kiez-Bewohner bangen um ihre Wohnungen
Und ganz am Schluss fällt dann doch noch ein Wort, auf das viele gewartet haben: Verfassungsbeschwerde. Die Pressekonferenz, zu der Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz (Grüne) geladen hatte, offenbarte nicht nur die derzeit beklagten Missstände in der Fanny-Hensel-Siedlung, sondern auch einen schwindelerregenden Abgrund, in den bald noch viel, viel mehr Mieter blicken könnten. Nach dem Auslaufen der Anschlussförderung für den sozialen Wohnungsbau, der schon 2003 beschlossen wurde, zeigen sich nun für viele Mieter die dramatischen Folgen. Ihre Miete kann nun von einem Tag auf den anderen drastisch steigen. Mieterhöhungen können rückwirkend eingefordert werden, und Mieter, die nicht bezahlen können, müssen innerhalb von zwei Wochen die Wohnung räumen.
Dabei müssen die Besitzer die Miete nicht unbedingt bei jedem und alle Mieten gleich erhöhen. Der Sprecher der Mietervertretung der Fanny-Hensel-Siedlung, Sebastian Jung, beobachtete, dass im Haus 5 und 5a in den Wohnungen über 90 Quadratmeter nur türkische und arabische Mitbewohner von den teils drastischen Mieterhöhungen betroffen waren, Bewohner mit deutschen und polnischen Namen hingegen nicht. Als sich Jung bei dem Vermieter nach dieser Merkwürdigkeit erkundigte, flatterte auch ihm eine bedeutende Mieterhöhung ins Haus, mit dem Verweis darauf, dies sei doch der beste Beweis dafür, dass die Mieterhöhungen nichts mit der Herkunft des Mieters zu tun hätten.
Vom Senat und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften ist entgegen großmundiger Ankündigung nichts zu erwarten. Weil nun 23 Parteien aus dem Siedlungsteil I ausziehen müssen, sollte die städtische Wohnungsbaugesellschaft entsprechende Angebote unterbreiten. Diese sollten nur zwei Bedingungen erfüllen: Sie sollten einigermaßen ortsnah gelegen sein und vor allem bezahlbar, weil viele der Betroffenen von ALG II leben. Bekanntlich bezahlt das Jobcenter die Miete von ALG-II-Empfängern nur bis zu einer gewissen Höhe. Diese Bedingung erfüllte nur eines von 34 Angeboten. Acht Angebote lagen in anderen Bezirken, eines sogar in einem anderen Bundesland.
Alles in allem sind 28.000 Mieter in ganz Berlin von den explodierenden Mieten bedroht, weiß Reiner Wild vom Mieterverein Berlin. Er weist darauf hin, dass hier eine eklatante Lücke im Mieterschutz klafft.
Helfen könnte hier nur der Senat, doch statt Hilfe sieht Franz Schulz nur Ablehnung: »Die Senatverwaltung verweigert sich einem Runden Tisch«, erklärt er. Er spricht von einer »sozialpolitischen Schweinerei.«
Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2010.