Verkehrssenatorin stoppt Radwegebau

Finanzierung »vorläufig« ausgesetzt

Radstreifen entlang der Zossener Straße (Höhe Heilig-Kreuz-Kirche) mit einem RadfahrerVermutlich »vorläufig« nicht gefährdet: Radstreifen in der Zossener Straße. Foto: psk

Update: Bezirk bezweifelt Rechtmäßigkeit des Stopps / Radweg in der Stallschreiberstraße wird gebaut (s.u.)

Es fing an mit ein paar E-Mails: Mitte Juni teilte die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) den Bezirken mit, dass die neue Hausleitung – also Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) – darum bitte, geplante Radwegeprojekte auszusetzen, sofern dafür auch nur ein einziger Parkplatz oder ein Fahrstreifen für Autos wegfiele.

Schon einen Tag später ruderte Schreiner zurück: »nicht mehr als zehn Parkplätze auf 500m« seien einer Pressemitteilung zufolge dann doch akzeptabel, sofern Wirtschafts- und Lieferverkehr nicht erheblich beeinträchtigt würden und, weiterhin, keine Fahrstreifen wegfielen. Alle anderen Projekte würden »überprüft und priorisiert«.

Doch »priorisiert« heißt in dem Kontext: erstmal gestoppt.

In den Bezirken herrscht seitdem erhebliche Unsicherheit. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg könnten mehr als zehn Projekte betroffen sein, teilte das Bezirksamt auf Anfrage mit, jedoch ließe »die Kommunikation der SenMVKU sehr viele Fragen offen«.

Bei Projekten wie der Stallschreiberstraße dürfte die von der Senatsverwaltung formulierte Ausnahme für Maßnahmen gelten, die die Schulwegsicherheit erhöhen. Tatsächlich hat die Senatsverwaltung den Stopp für diesen Radweg am Dienstag zurückgenommen. Anderswo jedoch, etwa in der Urbanstraße und der Oranienstraße, ist fraglich, welche Zukunft die­se Projekte haben. Hier läuft die Vorplanung teilweise bereits seit Jahren. Doch mit der »Bitte« der Senatsverwaltung sei auch ein vorläufiges Aussetzen der Finanzierungszusagen verbunden, erklärte Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne). Ein entsprechendes Schreiben war dem Bezirk am 20. Juni zugegangen.

1,5 Millionen Euro drohen zu verfallen

Allein im Bezirk geht es um Gelder in Höhe von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro, die jetzt auf der Kippe stehen. Darunter sind vor allem Fördermittel des Bundes, die zu verfallen drohen, wenn sie nicht noch dieses Jahr ausgegeben werden oder wenn die von Senatorin Schreiner an­ge­kün­dig­te Überprüfung der Projekte zu größeren Umplanungen führt.

Ende Juni fand eine Gesprächsrunde zwischen Bezirksstadträten und Senatorin statt – zur Frage, wie konstruktiv die lief, gibt es jedoch sehr unterschiedliche Einschätzungen. Zuletzt hatten Verkehrsstadträte aus mehreren Bezirken der Senatorin ein Ultimatum gestellt, den allgemeinen Projektstopp zurückzunehmen und für Planbarkeit zu sorgen.

Rechtsamt bezweifelt Rechtmäßigkeit

Bereits vor einigen Tagen hatte Friedrichshain-Kreuzberg sein Rechtsamt mit einer juristischen Überprüfung des Radwegestopps beauftragt. Bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am heutigen Mittwoch wurde jetzt das Ergebnis verkündet. Demnach bestünden seitens des Bezirks Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Senatsverwaltung. Eine temporäre Außerkraftsetzung der Mittelzusagen gäbe die Landeshaushaltsordnung nicht her. »Wir haben einen geltenden Haushalt«, betonte Rolfdieter Bohm, Leiter des Rechtsamts. Der Doppelhaushalt sei vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden und sei so auch vom Senat und den Bezirken zu beachten. Wenn darin Mittel für Fahrradwege vorgesehen seien, so die Argumentation, könnten diese nicht einfach vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.

Zudem bestünde bei laufenden Ausschreibungen die Gefahr, dass sich das Land Berlin regresspflichtig mache, wenn die Ausschreibung wegen eines Aussetzens der Finanzierung gestoppt werde.

Eine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit vor Gericht prüfen zu lassen gibt es allerdings nicht. Berlin ist eine sogenannte Einheitsgemeinde, sodass die Bezirke keine eigenen Rechtspersönlichkeiten sind, die etwa gegen »das Land Berlin« klagen könnten. Von dem Ergebnis der Prüfung durch das Rechtsamt verspricht man sich allerdings eine weitere Argumentationsebene gegen die Senatsverwaltung, denn auch die könne kein Interesse daran haben, gegen Recht und Gesetz zu handeln.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2023.

Am Ende bleiben tiefe Gräben

Mehrheit für die große Koalition spaltet die Genossen von der SPD

Hannah Lupper und Niklas Kossow (SPD) vor der Redaktion der Kiez und KneipeHannah Lupper und Niklas Kossow von den Kreuzberger Sozialdemokraten. Foto: psk

Katerstimmung herrsch­te bei den SPD-Genossen in Kreuzberg nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung zur großen Koalition in Berlin. Mit 54,3 Prozent stimmte die Basis für den Koalitionsvertrag. In Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich bei einer Kreisdelegiertenkonferenz eine Mehrheit gegen ein Bündnis mit der Union ausgesprochen.

»Das Ergebnis akzeptieren wir«, erklärte Niklas Kossow, Vorsitzender der Abteilung Südstern. »Das Ergebnis ist knapp. Die Partei hat sich mit der Entscheidung schwergetan.« Die Partei müsse sich nun neu aufstellen, um wieder zu­ein­an­der­zu­finden.

Doch das wird nicht einfach werden, wie die Vorsitzende des benachbarten Ortsvereins, der Abteilung Kreuzberg 61, meint. Hannah Lupper war in den letzten Wochen zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der NoGroKo-Kampagne in der Berliner SPD geworden. Sie sieht durch das knappe Ergebnis die Führung der Landes-SPD beschädigt. »Der Landesvorstand hat es geschafft, Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und sich gleichzeitig zur Disposition zu stellen.«

Im Vorfeld hatte Hannah Lupper beklagt, dass der Landesvorstand auf einzelne Mitglieder e­nor­men Druck ausgeübt habe. So sind tiefe Gräben zwischen der Landesspitze und einzelnen Kreis- und Ortsvereinen aufgerissen worden. Die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh hatten auf einer Pressekonferenz angekündigt, auf die unterlegene Seite zuzugehen. Allerdings hat Hannah Lupper Zweifel daran, ob das den beiden gelingen kann.

Für einen gewissen Vertrauensvorschuss warb dagegen Niklas Kossow, der glaubt, dass sich die neue Regierung nun beweisen müsse, und zeigen, dass sie zu einer progressiven Politik überhaupt in der Lage sei.

Was wird aus der Cannabis-Legalisierung?

Als Nagelprobe betrachten beide Ortsvereinsvorsitzende das Thema Cannabis-Legalisierung. Eine Enthaltung Berlins im Bundesrat könnte dieses neue Gesetz auf den letzten Metern zu Fall bringen. Das hätte gerade für Friedrichshain-Kreuzberg massive Folgen. Der Bezirk bereitet sich nämlich bereits darauf vor, als Modellprojekt diesen neuen Weg in der Drogenpolitik zu begleiten. »Es wäre ja ein Treppenwitz, wenn das neue Gesetz am Ende ausgerechnet an Berlin scheitern würde«, sagt Hannah Lupper.

Sie wird das Geschehen in der Bezirksverordnetenversammlung dann übrigens nur noch als einfaches Mitglied ihrer Fraktion verfolgen und nicht mehr als ihre Vorsitzende. Wenige Tage vor dem Abstimmungsende über den Koalitionsvertrag hatte die SPD-Fraktion in der BVV einen Wechsel der Fraktionsspitze bekanntgegeben. Tessa Mollenhauer-Koch folgt Hannah Lupper im Amt nach.

Schnell hatte das Gerücht die Runde gemacht, die bisherige Vorsitzende sei für ihre Opposition gegen den Koalitionsvertrag abgestraft worden. Sie selbst allerdings hat diesen Verdacht entkräftet. Der Wechsel sei schon länger besprochen gewesen. Nach zwei aufreibenden Wahlkämpfen innerhalb von anderthalb Jahren wolle sie nun einfach ein wenig kürzer treten. Abteilungsvorsitzende von Kreuzberg 61 will sie allerdings bleiben.

Immerhin gibt es in den nächsten dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Berlinwahl noch genug zu tun. So sind nicht nur innerhalb der SPD Gräben aufgerissen worden, auch zwischen SPD und Grünen herrscht nun Eiszeit. Wenn sie wieder ein politischer Partner werden wollen, »dann müssen wir die Gesprächskanäle offen halten«, erklärt Hannah Lupper.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2023.

Alter Wein in neuen Flaschen

Der Wein vom Kreuzberg soll einen neuen Namen bekommen

Weingläser und Weinflaschen der Sorte »Kreuz-Neroberger«Der »Kreuz-Neroberger« und der »Kreuz-Ingelberger« bekommen einen neuen Namen. Archivfoto: rsp

Auf einem Gelände in der Methfesselstraße 10, und damit genau an jenem Ort, an dem Konrad Zuse 1941 die Z3, den ersten binären Digitalrechner, erfand, wachsen am Hang des Kreuzbergs einige Hundert Rebstöcke der Sorten Riesling und Blauer Spätburgunder. Auch wenn am Kreuzberg schon im 15. Jahrhundert Wein angebaut wurde, geht der derzeitige Bestand jedoch auf Spenden der Partnerstädte Wiesbaden, Ingelheim und dem Kreis Bergstraße ab 1968 zurück. Folgerichtig firmierten die im Auftrag des Bezirks angebauten und gekelterten Weine bisher unter dem Namen »Kreuz-Neroberger« (Weißwein) bzw. »Kreuz-Ingelberger« (Rotwein).

Doch spätestens seit der Wein nicht mehr in den Partnerstädten, sondern in Brandenburg gekeltert wird, seien die Namen nicht mehr mit der aktuellen Rechtslage vereinbar, stellte das Bezirksamt fest, und machte bereits im April einen ersten Anlauf zur Umbenennung. Doch der neue Name »01001011«, der dem Binärcode des Buchstaben »K« entspricht und Zuses Erfindung ehren sollte, stieß auf Widerstand, insbesondere vonseiten der SPD-Fraktion, die auf Zuses zumindest fragwürdiges Verhältnis zum Nationalsozialismus verwies und zudem die fehlende Einbeziehung der Partnergemeinden kritisierte.

Im Oktober kündigte das Bezirksamt nun an, dass der neue Name für die Weine im Rahmen einer Art Bürgerbeteiligung gefunden werden soll. Vorschläge können bis Jahresende ein­ge­reicht werden – per Post, per E-Mail oder via Social-Media-Post unter dem Hashtag #xwein. »Partizipation hat für uns einen hohen Stellenwert«, ließ sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zitieren. Über den endgültigen Namen solle schließlich eine Jury entscheiden.

Partnerschaftsverein beklagt mangelnde Transparenz und Beteiligung

Doch zumindest Norbert Michalski, dem langjährigen Vorsitzenden des »Partnerschaftsvereins Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg e.V.«, der die innerdeutschen Städtepartnerschaften pflegt, geht die Partizipation nicht weit genug. 

Wenige Tage nach der Pressemeldung des Bezirks hat er eine Art Brandbrief verfasst, in dem er dem Bezirksamt mangelnde Transparenz vorwirft. Sein Verein sei durch die Pressemitteilung erstmalig in den Umbenennungsprozess miteinbezogen worden, die Partnerschaftsvereine und Verwaltungen der Partnerstädte seien bislang überhaupt nicht eingebunden oder beteiligt worden. Auch dass sein Verein – wenngleich ohne vorherige Absprache – einen Platz in der Jury haben solle, ändere daran nichts.

Zudem hegt Michalski Zweifel daran, dass eine Umbenennung der Weine tatsächlich erforderlich ist und fordert die Veröffentlichung des juristischen Gutachtens, auf das sich das Bezirksamt offenbar bezieht.

Dem scheidenden Bezirksamt wirft er vor, mit dem angestoßenen Bürgerbeteiligungs- und Umbenennungsprozess vollendete Tatsachen zu schaffen. Dass das neue Bezirksamt die Causa anders bewertet, scheint im Lichte der Wahlergebnisse indessen unwahrscheinlich.

Dem Zwist um die Umbenennung geht eine Änderung der Zuständigkeiten voraus: Bis 2019 wurde das kleine Weingut am Kreuzberg vom Partnerschaftsvereinsmitglied Daniel Mayer gepflegt und die Trauben zum Keltern in die Partnerstädte verbracht. Seit 2020 wird der Wein auf dem Weingut »17morgen« in Dobbrikow in Brandenburg hergestellt, um auf lange Transportwege zu verzichten. Im April hatte das Bezirksamt erklärt, dass mit der Gruppe bzw. einer noch zu gründenden Genossenschaft ein Pflegevertrag abgeschlossen werden soll, der auch die selbstständige Vermarktung des Weines durch die Brandenburger beinhaltet.

Mehr Informationen über den Bürgerbeteiligungsprozess zur Umbennung finden sich unter ­berlin.de/xwein.

Kommentar: Kein Zwist ohne Not

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2021.

»Rassismus« muss sichtbar werden!

Eine Analyse von mog61 e.V. in Kooperation mit Betroffenen / Zusammengetragen von Marie Hoepfner

Der gewaltsame Tod des US-Bürgers George ­Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis schockierte Menschen weltweit und löste zu Recht Debatten aus. mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. möchte mit diesem Beitrag am Diskurs teilnehmen. Obwohl wir Diskriminierungen aller Art ablehnen, widmen wir uns hier überwiegend dem Thema »Rassismus«, insbesondere gegenüber Schwarzen. Es geht darum, »Rassismus« sichtbarer zu machen und die Menschen zu sensibilisieren. Mit diesem Ziel haben wir Menschen anderer Hautfarbe, mit denen wir zu tun haben, gebeten, mit uns diese Doppelseite zu gestalten.

Die Menschen auf der Erde sind genetisch betrachtet fast gleich. Es gibt keine biologische Grund­lage für »Rassen«. Das Wort »Rassismus« setzen wir deshalb in Anführungszeichen.

»Rassismus« ist die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie »Rasse«, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt. So lautet die Definition der Europäischen Kommission.

Schwarz, Schwarze, Schwarzer oder Schwarzer Mensch sind Begriffe, die wir als Selbstbezeichnung gerne benutzen. Schwarz ist ein politisches Statement! Schwarz sein ist ein Stück Identität! »Schwarz sein« bedeutet, dass Menschen durch gemeinsame Erfahrungen von »Rassismus« miteinander verbunden sind und auf eine bestimme Art und Weise von der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Genau wie bei »Weiß« geht es bei »Schwarz« nie wirklich um die Farbe. Bezeichnet werden keine »biologischen« Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten. »Weiß« ist auch ein politischer Begriff. Er bezeichnet Menschen, die Privilegien, nämlich weiße Privilegien haben.

Wir benutzen auch die Selbstbezeichnung PoC (People of Color; Singular: Person of Color) und BPoC (Black and People of Color) oder BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Dazu zählen alle Farben und Schattierungen dieser Welt, auch Menschen aus Lateinamerika, Südafrika oder Asien.

»Rassismus« auch in Europa

In vielen EU-Ländern gibt es »rassistische« Diskriminierung. Dieser »Rassismus« ist viel mehr als die Äußerungen und Aktionen einzelner »Rassisten«, »Rassismus« ist Teil einer Struktur, einer systematischen, zum Teil auch unterschwelligen Diskriminierung. Er ist historisch gewachsen und institutionell verankert. Vier Beispiele:

• In Frankreich sind Übergriffe der Polizei auf afrikanische und arabische Jugendliche fast alltäglich. Der gewaltsame Tod des 24 Jahre alten Adama Traoré sorgt seit 2016 für Proteste. Vor ihm starben Amine Bentousi, Zyed Benna und Bouna Traoré, Amadou Kouné, Hocine Bouras, Lamine Dieng, Malik Oussekine.

• In Belgien kennen viele Kinder Leopold II. aus ihren Schulbüchern bis heute nur als Beschützer des Christentums und großen Modernisierer. Aber nirgendwo war die europäische Kolonialherrschaft so grausam wie im Kongo unter Leopold II.

• In Großbritannien werden seit 2018 Zuwanderer abgeschoben, die zwischen 1948 und 71 als Arbeitskräfte vor allem aus der Karibik auf die britische Insel kamen, die sogenannte »Wind­rush-Generation« – weil sie nie formal eingebürgert wurden.

• Auch in Deutschland hat »Rassismus« eine lange Geschichte – von Kant über Hegel, die den »rassistischen« Gedanken kultivierten, zu Kolonialismus, den Nazis und über die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart.

Klischees und Vorurteile

»Rassismus« hat viele Gesichter und reicht von subtilem Alltags-»Rassismus« über institutionellen »Rassismus« durch politische Entscheidungen bis zu rechter Gewalt. Viele Menschen leiden in der Schule, am Arbeitsplatz, im Bus, auf der Straße unter Beschimpfungen und Diskriminierung. Klischees und Vorurteile spielen dabei eine große Rolle. Das erleben wir oft in der U-Bahn, wenn sich Leute wegsetzen, weil Schwarze vermeintlich streng riechen oder das Portemonnaie klauen könnten. Ein/e Schwarz-Europäer*in wird in der Regel immer gefragt, wo er/sie ursprünglich herkommt. Das ist ein ständiger Hinweis, nicht »wirklich« dazuzugehören. Oder es heißt: »Du kannst bestimmt gut singen und tanzen! Ihr Schwarze habt den Rhythmus doch im Blut!«

Ob bei der Wohnungs- oder Jobsuche, in der Schule oder Universität, im Gesundheitswesen, vor Gericht oder bei Polizeikontrollen – in all diesen Bereichen leiden Minderheiten unter institutionellem »Rassismus«. Besonders einschneidend ist der Ausschluss von nicht anerkannten geflüchteten Menschen vom Arbeitsmarkt.

Auch »rassistische« Polizeigewalt ist ein Problem. Die Initiative »Death in Custody« hat seit 1990 177 Fälle recherchiert, bei denen BPoC in Gewahrsam ums Leben gekommen sind. Ein Bericht des Europarats vom März 2020 be­legt, dass »Rassismus« ein weit verbreitetes Phänomen in Deutschland ist. Es ist die Rede von zunehmendem »Rassismus«, Islamophobie, rechtsextremen Angriffen, Racial Profiling, zu wenig Vertrauen in die Polizei und viel zu wenig Aufklärungsarbeit. Ein bekannter Fall ist der Tod des Sierra-Leoners Oury Jalloh 2005 in Dessau, der nach 15 Jahren immer noch nicht aufgeklärt ist. Marie


Jahrelang angestaute Wut und Trauer

Die Protestbewegung »Black Lives Matter« (BLM) begann schon 2013 in sozialen Medien wie Twitter mit dem Hashtag #Black­LivesMatter als Reaktion auf den Freispruch des Mörders von Trayvon Martin, um gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. BIPoC zu protestieren. Und das ist auch gut so!

Vor allem von Rechten wird dem oft mit dem Slogan »All Lives Matter« (Alle Leben zählen) entgegengetreten – unter dem Vorwand, dass BLM ein Angriff gegen Weiße wäre. Damit soll diese Bewegung gegen »Rassismus« und Polizeigewalt zerredet werden.

BLM bedeutet nicht, dass das Leben von Schwarzen und Minderheiten mehr wert ist als das von anderen. Es heißt ja nicht »Only Black Lives Matter«! Wir wollen nur die Botschaft vermitteln, dass Schwarze Leben wichtig und wertvoll sind, genauso wie jedes andere Leben.

BLM ist ein aufrüttelnder Aufruf, der auf die Ungerechtigkeit hinweist und Raum für jahrelang angestaute Wut und Trauer gibt. Es geht um ein konkretes Problem, nämlich darum, dass Schwarze aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Es macht immer noch einen Unterschied, wenn man mit einer nicht-weißen Hautfarbe auf die Welt kommt. Es geht um Alltags-»Rassismus« und strukturellen »Rassismus«! Manu

Endlich breite Öffentlichkeit

Inzwischen gehen auch in vielen europäischen Ländern Menschen auf die Straße. Sie solidarisieren sich nicht nur mit den Demonstrant*innen in den USA, sondern setzen auch ein Zeichen gegen »Rassismus« im eigenen Land. Es macht uns Schwarze Menschen stolz, dass auch nicht Schwarze Menschen »Black Lives Matter« unterstützen.

Aber warum erreicht die Bewegung erst jetzt eine breite Öffentlichkeit? Vielleicht weil viele junge Weiße mitmachen, die »Fridays for Future«-Generation, die sich tatkräftig gegen Diskriminierung und für Chancengleichheit einsetzt. Auch die Corona-Pandemie hat ein Gefühl für Solidarität herbeigerufen. Erstmals wird über Polizeireformen und überall in Europa über strukturellen »Rassismus« nachgedacht! Marianna

Nicht nur im Osten unerwünscht

Als ich vor 42 Jahren nach West-Berlin zog, galt meine dunkle Haut als Indischstämmige nur als ungewöhnlich. Oft wurde ich auf der Straße gefragt, woher ich käme. Damals spürte ich reine Neugier, keine Ablehnung. Nach dem Fall der Mauer merkte ich rasch, dass eine dunkle Hautfarbe im Osten unerwünscht war. Es gab viele negative Reaktionen: aggressive Bemerkungen über Ausländer, ich wurde in Restaurants »übersehen« oder nicht bedient, in Warteschlangen absichtlich »herausgepickt«, um genauer kontrolliert zu werden.

Nach dem Zuzug vieler Flüchtlinge 2015 erlebe ich eine neue Welle der Feindseligkeit, nicht nur im Osten. In Berlin wiederholt sich nun die Ausgrenzung, die es in früheren Jahrhunderten in ganz Europa gab. Britt

Straßen erinnern an Gräueltaten

Immer noch erinnern einige Straßennamen in Berlin an das alte deutsche Kolonialreich in Afrika. Die Lüderitzstraße, die Petersallee und der Nachtigalplatz sollen umbenannt werden. Namen von Kolonialherren, die für schreckliche Gräueltaten in den deutschen Kolonien in Afrika verantwortlich sind.

Adolf Lüderitz (1834-1886) gilt als einer der Anstifter zum Genozid an den Hereros und Namas (1904-1907). Carl Peters (1856-1918) gründete durch Betrug und Brutalität die Kolonie Deutsch-Ostafrika. Gustav Nach­tigal (1834-1885) legalisierte als »Reichskommissar für Westafrika« die ungesetzmäßige Landnahme in Namibia, Kamerun und Togo. Die Straßen sollen Namen von afrikanischen Widerstandskämpfern bekommen: Hendrik Witbooi (1830-1905), Cornelius Fredricks (1864-1907) und Ana Mungunda (1932-1959).

In Mitte soll der U-Bahnhof Mohrenstraße umbenannt wer­den. Das Wort »Mohr« erinnert an die Verschleppung minderjähriger Afrikaner an den preußischen Hof in Berlin. Nun sollte der Bahnhof nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka heißen. Aber Glinka war wohl veritabler Antisemit. Otmane


Zwei Gedichte von Landouma Ipé

Landouma Ipé ist politische Aktivistin, SpokenWord-Künstlerin und Schwarze Feministin. Foto: privat

Wie befreiend das ist

nicht in diesem Ton / nicht auf die­se Art / nicht gerade jetzt / nicht vor Zuhörern
nicht übertreiben / nicht überreagieren / nicht überinterpretieren / nicht so eine Nichtigkeit
nicht so laut / nicht so radikal / nicht so direkt / nicht schon wieder das gleiche Thema
Umzingelt von dies nicht / und jenes nicht / erinnere ich mich
an den Moment / als ich / Deinen uralten Kerker für mich für immer verließ
an den Moment / als ich / von Deiner Verneinung ward / unabhängig
an den Moment / als ich / mein mich selbst wertschätzendes Ich / aus mir selbst gebar
Unabhängig von dies nicht / und jenes nicht / und wie befreiend das ist / wahrhaftig goldig

Black Lives Matter – An Avid Act

Weil Gewalt an unsren Körpern / für ein Gerücht gehalten wird / ein Gerücht
weil penible Beamte mich migrantisieren / mir einimpfen möchten mich zu integrieren / mich
weil mir täglich graut / vorm Grenzregime das Geschwistern / den Garaus macht gen Meeresgrund / den Garaus
weil deutsche Deals mir / meinen eigenen Vater vorenthielten / meinen Vater
darum ist dies Banner / »Black Lives Matter« / statt »FU Deutschland« / an avid act of anger management / an avid act

 

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2020.

Die KuK erscheint weiter

Geschrumpfte Notausgabe im April

Das Corona-Virus ist auch an der Kiez und Kneipe nicht ganz spurlos vorübergegangen. Zwar fühlen sich alle Mitarbeiter gesund und wohl, doch trotzdem produzieren wir diese Ausgabe nicht in den vertrauten Redaktionsräumen, sondern – mit einer Ausnahme – am heimischen Computer, und verbunden sind wir alle über das Netz.

Viele unserer Kunden und Geschäftsfreunde mussten ihre Läden schließen, so wie alle Kneipen und Restaurants in Kreuzberg. Für Kiez und Kneipe bedeutet das einerseits einen erheblichen Anzeigenrückgang. Dass wir überhaupt erscheinen können, verdanken wir all jenen, die der Krise aus unterschiedlichsten Gründen trotzen können und uns weiterhin unterstützen. Dafür an dieser Stelle ein ganz dickes Dankeschön.

Doch nicht nur die Anzeigen gingen zurück. Von ehemals 122 Verteilstellen in Kreuzberg, sind unter 20 geblieben. Dort und vor unserer Redaktion werden wir unser geschrumpftes Blatt nun verteilen. Geschrumpft heißt ganz konkret: zwölf Seiten und eine Auflage von 500 Exemplaren.Dieser Entscheidung gingen lange Diskussionen voraus. Wir debattierten auch darüber, die nächsten Ausgaben komplett ins Netz zu verlegen. Lohnt es sich denn wirklich, eine Kiezzeitung mit 500 Exemplaren zu veröffentlichen? Selbst die erste Ausgabe der KuK ging mit 1.000 Heften an den Start.

Die KuK liegt unter normalen Umständen nicht nur in Kneipen aus. Wir liefern auch in Einrichtungen der Pflege und Seniorenbetreuung, also genau dorthin, wohin Freunde und Bekannte aus einleuchtenden Gründen nicht mehr kommen dürfen.

Die KuK mag in diesen Zeiten dann vielleicht dem ein oder anderen nur ein kleines Fetzchen Normalität bedeuten. Aber schon dafür lohnt es sich, unser schlank gewordenes Magazin auch in der realen Welt unter die Leute zu bringen.

Wir hoffen, dass Sie die KuK im Juni, vielleicht auch erst im Juli oder August, in gewohnter Form wieder lesen können. Wir versuchen durchzuhalten. Bleiben Sie gesund!

Peter S. Kaspar und das ganze Team der KuK

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

»House of Life« wird geschlossen

Ende Juni ist Schluss / 80 Bewohner und 65 Mitarbeiter betroffen

Das »House of Life« in der Blücherstraße wird zum 30. Juni dieses Jahres geschlossen. Das teilte der Betreiber FSE in einer Pressemitteilung mit.

»Die mangelhafte Bausubstanz mit einem enormen Instandsetzungsbedarf, zwingt uns, den Standort aufzugeben«, erklärte der Geschäftsführer der FSE-Gruppe Christian Mannewitz, der die Situation als »sehr traurig« bezeichnete.

Die Schließung des 2006 eröffneten Hauses trifft 80 Bewohner und 65 Mitarbeiter. Ursprünglich hatte das »House of Life« eine Kapazität von über 100 Plätzen. In der Vergangenheit war jedoch bereits ein komplettes Stockwerk geschlossen worden. Tatsächlich hatte es immer wieder Berichte über Mängel gegeben. So sei zum Beispiel der Aufzug regelmäßig ausgefallen, heißt es aus dem Umfeld.

Mit dem »House of Life« schließt die bundesweit einzige Pflegeeinrichtung für jüngere Erwachsene. Menschen, die in jüngeren Jahren zum Pflegefall werden, können normalerweise nur in Altenpflegeheimen untergebracht werden. Auch die jetzigen Bewohnern, von denen viele unter 40 sind, etliche sogar unter 30, werden nun auf verschiedene Einrichtungen der FSE-Group verteilt, das heißt in Altenpflegeheimen. Das Unternehmen versichert allerdings, an dem Konzept einer Einrichtung für jüngere pflegebedürftige Menschen festhalten zu wollen. Nach einem geeigneten Stadort in Berlin werde bereits gesucht.

Zu Kündigungen soll es im Zusammenhang mit der Schließung nicht kommen. Den 65 Beschäftigten würden innerhalb der FSE-Group neue Arbeitsplätze angeboten

Ansporn und Motivation

Kiez und Kneipe feiert Geburtstag und geht optimistisch ins 16. Jahr

Dies ist eine ganz besondere Ausgabe der Kiez und Kneipe. Einerseits markiert sie unseren Geburtstag. Am 4. Dezember vor 15 Jahren erschien das Kreuzberger Lokalblättchen nämlich zum ersten Mal.

Dass wir nun in unseren 16. Jahrgang gehen, ist so selbstverständlich nicht. Wer in den letzten Wochen und Monaten die Berichterstattung in eigener Sache verfolgt hat, wird registriert haben, dass diese Ausgabe und damit auch der weitere Fortbestand der KuK zeitweise in den Sternen stand.

Mittlerweile hat sich einiges geändert. Getragen von einer Welle der Solidarität und aktiver Unterstützung, die uns überrascht und berührt hat, ist die Existenz der KuK für das kommende Jahr und hoffentlich darüber hinaus aus heutiger Sicht gesichert.

Wir sind sehr froh und all jenen dankbar, die mitgeholfen haben, dass dieses kleine journalistische und unabhängige Biotop weiter existieren kann – und dass es offensichtlich eine ganze Menge Leute gibt, die wollen, dass die KuK auch in Zukunft erscheint. Natürlich ist das für die Redaktion jetzt Ansporn und Motivation, unseren Lesern möglichst viel wieder zurück zu geben.

In den letzten Wochen haben wir mit den unterschiedlichsten Leuten gesprochen und diskutiert. Manche wünschen sich, dass die KuK wieder ein wenig wird wie früher, zu ihren Anfangszeiten, als viel direkt aus den Kneipen berichtet wurde, dafür aber damals noch weniger über die lokale Politik.

Anderen kommt gerade die Politik immer noch ein wenig zu kurz. Sie wünschen sich mehr härtere Themen und eine klare Kante.

Allen werden wir es gewiss nie recht machen können, doch die Redaktion wird sich auch in Zukunft darum bemühen, dass jeder wenigstens ein bisschen von dem wiederfindet, was er sich in seinem Kiezblatt erhofft.

In diesem Sinne möchte ich mich noch einmal im Namen der ganzen Redaktion bedanken und allen schöne Feiertage und ein erfolgreiches 2020 wünschen.

Herzlichst,
Peter S. Kaspar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.

Die KuK sucht Förderer

Neues Modell soll den Fortbestand sichern

Redaktion der Kiez und KneipeFreut sich über zahlreiche Unterstützer: KuK-Redaktion. Foto: kuk

In zwei Monaten, am 4. Dezember, jährt sich das erste Erscheinen von Kiez und Kneipe zum 15. Mal. Eigentlich sollte das ein Grund zum Feiern sein, doch das Jubiläum wird von großer Sorge um den Fortbestand unseres Magazins begleitet.

Es ist kein großes Geheimnis, dass das Umfeld für anzeigenfinanzierte Printmedien immer schwerer wird. Immerhin haben wir uns in den letzten Jahren in diesem Umfeld tapfer gehalten, trotz zurückgehender Einnahmen.

Allerdings erleben wir nun auch, dass sich immer mehr Kunden von uns verabschieden, nicht etwa, weil sie ihr Heil in Online-Medien suchen, sondern weil sie einfach verschwinden. Immer mehr Läden müssen schließen, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr tragen können. Andere sind so zum Sparen gezwungen, dass sie sich nicht einmal mehr die moderaten Anzeigenpreise der KuK leisten können.

Dass unser Blatt bis zum heutigen Tage durchgehalten hat, liegt unter anderem daran, dass die Redakteure von Kiez und Kneipe alle ehrenamtlich tätig sind. Mit einer auch nur zum Teil finanzierten Redaktion hätten wir schon längst unser Erscheinen einstellen müssen.

Trotzdem glauben wir daran, dass es weitergeht. Wenn das anzeigenfinanzierte Modell nicht mehr ausreicht, dann müssen wir andere Wege finden, um das monatliche Erscheinen des Blattes zu gewährleisten. Andere Blätter haben den Weg bereits bestritten und ihre Leser um Mithilfe gebeten. Diesen Weg wollen nun auch wir gehen.

Helfen soll uns dabei das Portal Steady, das auch zahlreiche andere Medien unterstützt, so etwa die Satiremagazine Postillon und Titanic, die Blogs des Medienjournalisten Stefan Niggemeier, aber auch lokale Medien zum Beispiel in Steglitz oder am Prenz­lauer Berg.

Gesucht werden Förderer, die bereit sind, mit einem monatlichen Betrag zur Finanzierung des jeweiligen Mediums beizutragen.

Wir hoffen, dass wir nach 15 Jahren genügend Unterstützer finden, die uns dabei helfen, auch in den nächsten 15 Jahren Kreuzberg in seiner ganzen bunten Vielfalt jeden Monat abzubilden.

Hier könnt Ihr uns unterstützen: Kiez und Kneipe bei SteadyHQ

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2019.

Justitia hat gesprochen

Teurer Spaß: Wegen eines Links zu einer anderen Zeitung muss die Kiez und Kneipe tüchtig blechen.

»Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand«, sagt ein Sprichwort. Wir haben zwar gewisse Zweifel an einer göttlichen Einmischung, sehen uns als Kiez und Kneipe nun aber leider doch mit den finanziellen Folgen eines verlorenen Gerichtsprozesses konfrontiert.

Was ist passiert? Im vergangenen Jahr hatte eine Leserin eine einstweilige Verfügung gegen uns erwirkt, weil wir auf unserer Webseite auf einen bestimmten Tagesspiegel-Artikel verlinkt hatten, deren Inhalt ihrer Ansicht nach rechtswidrige Äußerungen ent­hielt. Sofort hatten wir den Link entfernt und sogar eine Gegendarstellung veröffentlicht, obwohl das Gericht an unserer eigenen Berichterstattung gar nichts auszusetzen hatte.

Nachdem der Tagesspiegel seinerseits den Artikel entfernt und auch eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben hatte, waren wir davon ausgegangen, dass die Sache damit erledigt ist – zumal wir ja gar nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätten, erneut auf den Tagesspiegel-Artikel zu verlinken.

Trotzdem forderte uns die Gegenseite zur Abgabe einer sogenannten »Abschlusserklärung« und der Zahlung der dafür anfallenden gegnerischen Anwaltskosten auf. Ähnlich wie die Kosten einer Abmahnung sind diese erstattungsfähig, wenn die Erklärung im mutmaßlichen In­ter­esse des Beklagten ist. Da wir wegen der nicht vorhandenen Wiederholungsgefahr aber keinen kostspieligen Prozess vor dem Landgericht befürchten mussten, verweigerten wir die Zahlung.

Leider überzeugte unsere Argumentation die Richterin am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg nicht, so dass wir jetzt noch einmal insgesamt rund 1.000 Euro an Gericht und Gegenseite zahlen müssen. Bereits Abmahnung und einstweilige Verfügung schlugen mit knapp über 1.000 Euro zu Buche, die wir zum großen Teil aus Spenden bestreiten konnten. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an alle Leserinnen und Leser für Eure Unterstützung!

Umso mehr würden wir uns freuen, wenn Ihr uns noch einmal unter die Arme greift: Mit Geld, einer Anzeigenschaltung oder wenigstens netten Worten … Schreibt uns an info@kiezundkneipe.de oder spendet online.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2018.

Ein Link zu viel

Teurer Spaß: Wegen eines Links zu einer anderen Zeitung muss die Kiez und Kneipe tüchtig blechen.

Seit Dezember 2004 berichtet die Kiez und Kneipe monatlich aus dem Kiez. Da bleibt es nicht aus, dass unsere Berichterstattung auch mal auf weniger positive Resonanz stößt. Im März wurden wir nun das erste Mal in einen Rechtsstreit verwickelt, nachdem wir über Methadonpatienten am U-Bahnhof Gneisenaustraße berichtet hatten.

Eine Anwohnerin sah sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt und versuchte zunächst per Abmahnung und dann per einstweiliger Verfügung, uns zur Rücknahme und Vernichtung der März-Ausgabe zu zwingen. Die einstweilige Verfügung wurde in diesem Punkt abgeschmettert. Auch an unserer Berichterstattung hatte das Gericht nichts auszusetzen. Freiwillig haben wir uns zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung in der April-Ausgabe bereiterklärt. Wir brachten sie, obwohl wir erhebliche Zweifel daran hatten, dass sie den engen Formvorgaben des Landespressegesetzes entspricht.

Sieg auf ganzer Linie, könnte man meinen. Tatsächlich hat das Landgericht aber die Gerichts- und Anwaltskosten aufgeteilt. An uns bleiben demnach noch zwei Fünftel hängen, weil wir in der Onlineausgabe auf einen Tagesspiegel-Artikel verlinkt hatten, den das Gericht für rechtswidrig hielt. Zusammen mit den Kosten für die Abmahnung, die nur zum Teil angerechnet werden, sind wir damit schon im vierstelligen Bereich. Zusätzlich traktiert uns der gegnerische Anwalt mit weiteren Forderungen, die wir zwar für unberechtigt halten, die die Gesamtrechnung aber durchaus auch noch verdoppeln könnten.

Für ein Blatt, das seit zwölf Jahren vom ehrenamtlichen Engagement lebt und sich mehr oder weniger am Existenzminimum entlanghangelt, ist das eine Menge Geld.
Deshalb haben wir uns in diesem Fall entschieden, einen für uns ungewöhnlichen Weg zu gehen und Euch, liebe Leser, um Unterstützung zu bitten.

Auf der Sammelplattform Leetchi haben wir deshalb einen Spendenpool angelegt, über den Ihr uns mit kleineren und gerne auch größeren Geldbeträgen unterstützen könnt.

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Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2017.

In eigener Sache

Die Kollegen unserer Ausgabe in Neukölln haben sich entschieden, im Rahmen ihrer Vorberichterstattung über die Bundestagswahl 2017 auch eine Veranstaltung mit dem Kandidaten der AfD zu organisieren. Die Kiez und Kneipe Kreuzberg wurde daraufhin von verschiedenen Seiten dazu aufgefordert, sich von ihrer Schwesterzeitung in Neukölln zu distanzieren.

Dazu nehmen wir wie folgt Stellung:

Die KuK-Ausgaben in Kreuzberg und Neukölln verbinden die gleichen Werte und beide Blätter sind in ihren Grundüberzeugungen und journalistischen Vorstellungen ähnlich aufgestellt. Allerdings entscheidet jede Redaktion für sich, ohne eine Einmischung der anderen Redaktion befürchten zu müssen. Schon aus diesem Grunde steht es uns gar nicht zu, die Kollegen für ihr Format zu maßregeln.

Auch wir haben in der Kreuzberger Redaktion lange darüber diskutiert, wie wir mit der AfD grundsätzlich und während des Wahlkampfes speziell umgehen sollen und sind dabei zu einem anderen Ergebnis gekommen. Wir werden die AfD weder zu einer Diskussionsveranstaltung einladen, noch irgendwelche Pressemitteilungen veröffentlichen oder Anzeigen annehmen. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass es sich um eine rechte Partei handelt, der wir kein Forum bieten wollen. Wir stehen auf dem Standpunkt: Wenn eine Partei die Presse allgemein (und die KuK übrigens auch schon direkt) als »Lügenpresse« beschimpft, dann sollte man dieser Partei auch ersparen, in irgendeiner Form in dieser Lügenpresse in Erscheinung zu treten. Im Übrigen werden wir zur Bundestagswahl nur mit Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien sprechen.

Trotzdem haben wir vor der Entscheidung der Kollegen in Neukölln großen Respekt. Sie zeugt durch und durch von demokratischer und journalistischer Überzeugung, überparteilich jeden Vertreter einer Partei zu Wort kommen zu lassen, die es in einer demokratischen Wahl in eine Volksvertretung geschafft hat. Das ist bei der AfD im Abgeordnetenhaus und der BVV Neukölln nun leider mal der Fall. Der Weg, den die Kollegen gehen, ist kein leichter. Mancher hat sich bei dem Versuch, die Rechten zu demaskieren, schon böse Schrammen geholt. Aber es ist nichts, aber auch gar nichts Unehrenhaftes dabei, diesen Versuch zu wagen. Im Gegenteil: Wer die Kollegen dafür im Vorfeld bereits kritisiert, hat alle Gründe, sein eigenes demokratisches Verständnis und sein Verhältnis zur Freiheit der Presse zu hinterfragen.

Peter S. Kaspar

Chefredakteur Kiez und Kneipe Kreuzberg

Brief an einen Schulfreund

Peter S. KasparPeter S. Kaspar

KuK-Chefredakteur Peter S. Kaspar hat einen alten Schulfreund, der politisch so ganz anders tickt, als er selbst. Nun hat er ihm einen sehr langen Brief geschrieben – aus dem linksversifften Kreuzberg an den beschaulichen Hochrhein.

Update: Dieter hat sich gemeldet. Hier geht es direkt zu seiner Antwort.



Lieber Dieter

Verdammt lang her

Wir haben ein Jahr lang das Arbeitszimmer und den Schlafsaal im Internat geteilt, haben zusammen gegessen, getrunken und Fußball gespielt. Du warst damals schon ziemlich konservativ und ich so etwas wie ein linker Exot (sozialliberal, gibt’s heute auch nicht mehr). Mehr als 30 Jahre später hatten wir uns auf Facebook wiederentdeckt. Du lebst am Hochrhein und ich im Sündenpfuhl Berlin-Kreuzberg.

Als wir unsere Facebook-Freundschaft begannen, hatte gerade ein Wirtschaftsprofessor namens Bernd Lucke die AfD gegründet, was Du für eine blendende Idee gehalten hast. Ich war inzwischen, wie ein anderer Professor der AfD sagen würde, im linksversifften Millieu angekommen. Aber dazu später mehr. Vielleicht erinnerst Du Dich, dass ich damals der Meinung war, dass die AfD vielleicht gar keine so schlechte Idee und ein gutes Sammelbecken für all die verstörten CDU-Wähler sei.

Was uns eint

Seither hat sich eine Menge geändert. Der Wirtschaftsprofessor wurde aus der AfD rausgeekelt, Olaf Henkel hat die AfD unter einem großen Getöse verlassen und die ganze Partei ist unzweifelhaft sehr nach rechts gedriftet. Den Grund dafür hat Alexander Gauland ja trefflich als „Gottesgeschenk für die AfD“ beschrieben, nämlich die Flüchtlingskrise.

Ich glaube aber das greift ein wenig zu kurz. Und nun kommen wir zu einem Punkt der Dich möglicherweise sehr überraschend wird: Wir sind und in vielen grundlegenden Dingen völlig einig. Ich glaube auch, dass es ein großes systemische und europaweites, so sogar weltweites Versagen der verantwortlichen Politiker gibt. Ich glaube auch, dass in den europäischen Institutionen zu viel entschieden wird und zu wenig demokratisch legitimiert ist. Wir sind beide der Meinung, dass Fluchtursachen beseitigt werden müssen. Ich teile ganz bestimmt deine Meinung, dass die Polizei massive gegen kriminelle Antänzergruppen und ähnliches vorgehen muss und ich hab auch gar nichts dagegen, dass solche Figuren abgeschoben werden. Bei längerem Hinsehen wird es sicher noch das ein oder andere geben, was uns eint.

Es wird sicher Leute aus meinem Umfeld geben, die empört aufheulen, dass ich mich „mit so einem Nazi wie Dir“ überhaupt auseinandersetze. Denen sage ich natürlich, dass Du eben kein Nazi bist, ebenso wenig wie die meisten AfD-Wähler. Aber es gibt eben Nazis bei der AfD und unter ihren Wählen. Das ist genau so wie bei den Nordafrikanern. Da gibt es auch Antänzer und Drogendealer. Aber die absolut überwiegende Mehrheit gehört eben nicht dazu. Du siehst an dem Beispiel, dass mit die Nazi-Keule meiner linken Freunde manchmal ganz schön auf den Wecker geht.

Was mich irritiert

Aber eines gibt es, dass mich ein Deiner Haltung enorm irritiert. In Deinen wirtschaftspolitischen Betrachtungen gehst Du sehr genau und analytisch vor. Inhaltlich stimme ich damit zwar nicht immer überein, aber ich finde es häufig gut durch argumentiert, gut analysiert und vor allem gut recherchiert. Und genau darum verstehe ich nicht, wie Du für eine Partei eintreten kannst, dessen stellvertretende Parteivorsitzende vollmundig verkündet, dass sie für die Abschaffung der Vermögenssteuer kämpfen wird. Was soll das? Will ich das politische Schicksal der Nation in die Hände einer Partei legen, die Steuern abschaffen will, die es gar nicht gibt? Ist Frau von Storch nur dumm oder verfolgt sie damit einen Zweck? In der gleichen Sendung sagt diese Frau, dass sie gegen die explodierenden Lebensmittelpreise kämpfen wird. Was sagt mir ein wirtschaftspolitisch gebildeter Mensch wie Du dazu? Weiß die Frau nicht, dass Deutschland die niedrigsten Lebensmittelpreise aller großen Industrienationen hat? Ist das demagogische Absicht oder Unkenntnis? Beides ist natürlich ein Grunde auf keinen Fall die AfD zu wählen. Gerade die bei Frau von Storch ließe sich die Liste der unqualifizierten Zitate noch deutlich verlängern. Mit treiben ja schon die Politiker der etablierten Parteien zur Verzweiflung, aber diese Frau toppt nun wirklich alles.

Es gibt natürlich klügere Köpfe als Frau von Storch in dieser Partei. Dass Frauke Petrys Lebensgefährte sie sogar „diabolisch“ nennt, sollte uns hier nicht interessieren. Dass sie nach außen hin ein ganz anderes Familienbild verkauft, als sie selbst lebt, ist eine andere Geschichte und hätte Dich – handelte es sich um eine Grüne Politikerin – sicher schon längst zum ein oder anderen bissigen Kommentar hingerissen. Vielmehr geht es mir um etwas ganz anderes. Sie fordert allen Ernstes, dass sie Waffengesetze gelockert werden sollen. Du und ich wissen beide ganz genau, dass Länder in denen Waffengesetze liberaler sind, als in Deutschland, die Rate der Schwerst- und Gewaltkriminalität um ein vielfaches höher ist. Will Frau Petry die Kriminalitätsrate in Deutschland in die Höhe treiben?

Im Selbstbedienungsladen

Du hast Dich oft über die Selbstbedienungsmentalität in der Politik aufgeregt. Auch das ist so ein Punkt, an dem wir nicht so weit auseinanderliegen. Mit recht hast Du Dich in diesem Zusammenhang auch über die unsägliche Frau Hinz von der SPD geäußert.

Die AfD leistet sich in Baden-Württemberg jetzt zwei Fraktionen. Das heißt, es gibt zwei Fraktionsvorsitzende, die höhere Bezüge kassieren, zwei Fraktionsgeschäftsführer etc. etc. Summa summarum kommen wir auf, ich meine etwa 83.000 Euro Mehrkosten im Monat für den Steuerzahler. Das macht dann jedes Jahr eine Million, nur weil sich die AfD-Fraktion intern nicht einig ist. Das ist meines Erachtens in der deutschen Politiklandschaft ziemlich einmalig, dass der Steuerzahler für den parteinternen Streit in einer Fraktion bezahlen muss. Auch aus diesem Grunde wäre diese Partei für mich nicht wählbar.

Wie attraktiv ist der deutsche Pass?

Über Herrn Höckes: „Die Deutsche Staatbürgerschaft muss wieder ein Luxusgut werden“, haben wir uns ja schon mal unterhalten. Ich hab da noch einmal darüber geschlafen. Im Grunde hat der Höcke ja recht. Wenn man sich die Zahlen des statistischen Bundesamt anschaut, dann ist es eigentlich beschämend, wie wenig Menschen, die das Anrecht hätten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, dieses auch tun. Die Ausschöpfungsquote bei den Türken liegt bei 1,6 Prozent. Selbst bei den wirklich armen gebeutelten Griechen liegt die Ausschöpfungsquote bei 1,1 Prozent. Wo sind denn die Heerscharen von Ausländern, die alle auf den deutschen Pass geiern? Wenn von 300.000 in Deutschland lebenden Griechen, die die Voraussetzung erfüllen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, gerade mal 3000 von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, kann man doch nicht von einem Luxusgut sprechen. Das ist Unfug. Jemand, der so trefflich wie Du mit Zahlen zu jonglieren weiß, sollte das doch auf den ersten Blick erkennen. Stattdessen gibst Du Höcke 100 Prozent recht. Aber ich erwähnte ja, dass ich ihm im Grunde auch recht gebe. Allerdings wohl nicht in seinem Sinne. Ein Luxusgut ist etwas Erstrebenswertes. Offensichtlich will keine Sau die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Und das sollte uns nachdenklich machen. Das sind die alarmierenden Zahlen. Unser soziales Netz, das Deiner Meinung nach so erstrebenswert ist, ist offensichtlich 99 Prozent der Griechen und 98,4 Prozent der Türken scheißegal. Wäre es bei diesem Zahlen nicht vernünftiger, sich darüber Gedanken zu machen, wie die deutsche Staatsangehörigkeit attraktiver gemacht werden könnte?

Ärzte aus Pakistan, Pfarrer aus Afrika

Ich weiß nicht, wann Du das letzte mal (ich hoffe, lang ist es her) ein Krankenhaus von innen gesehen hast? Es ist schon erstaunlich, wie viele Ärzte inzwischen aus Nordafrika, Pakistan oder Indien kommen. Warum wohl? Weil sich kaum noch junge deutsche Ärzte den Stress und die miese Bezahlung einer Klinik antun wollen. Nach der Assistenzzeit soll es doch so schnell wie möglich eine eigene Praxis sein. Die Pflege im Krankenhaus – aber auch in Altenheimen – ist ohne Kräfte aus Südosteuropa und aus Asien gar nicht mehr leistbar. Es ist ebenfalls verwunderlich, wie viele Pfarreien auf dem Land inzwischen mit Priestern aus Afrika besetzt sind, das ist übrigens ein heißes Thema in der DBK. Es finden sich einfach nicht mehr genügend deutsche Pfarrer. In der Eifel wird gerade eine Freiwillige Feuerwehr in ihrem Bestand durch Flüchtlinge gerettet. Ich kenne hier etliche kleine Ausbildungsbetriebe im Handwerk, die zwei bis vier Ausbildungsstellen anbieten. Da bewirbt sich nicht mal jemand. Unglaublich, wie ausländerfreundlich die plötzlich sind. Unser langjähriger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner, ein erzkonservativer Knochen vor dem Herrn, der gerne alles und jeden ausweisen würde, hat vor einiger Zeit in seiner Eigenschaft als Handwerksmeister an die Handwerkskammer Berlin-Brandenburg einen Brief geschrieben. Darin hat er sich bitterlich darüber beschwert, dass so viele junge Türken, die man hier mühsam ausgebildet habe, jetzt einfach alle in die Türkei abhauen würden und ob man dagegen nicht etwas unternehmen könne. Und glaub mir – ein Kurt Wansner steht Dir politisch hundert Mal näher als ich.

Ich hab von Dir auch schon den zynischen Kommentar gelesen – oder vielleicht war es auch von Michael – wo denn nun die ganzen gut ausgebildeten Ärzte seien unter all den Flüchtlingen. Ich glaube nicht, dass uns eine syrische Ärzteschwemme sehr glücklich machen würde. Ich bin mir aber sehr sicher, dass wir sehr unglücklich wären, wenn plötzlich alle ausländischen Ärzte aus deutschen Krankenhäusern abgezogen würden.

Angst vor dem Islam

Und nun lass uns zu einem Deiner (und meiner) Lieblingsthemen kommen – ein Thema das auch die AfD enorm befeuert hat. Und da bin ich dann auch wieder einigermaßen fassungslos, wie man diesen Rattenfänger folgen kann – und hier wird es wirklich gefährlich. Erstaunlicherweise haben wir beide auch hier eine gemeinsame Ausgangslage. Dass dem IS das Handwerk gelegt werden muss, ist klar. Wir sind auch sicher einer Meinung, dass der Islamismus bekämpft werden muss. Und genau hier liegt das Totalversagen, das brandgefährliche Totalversagen der AfD: In der Gleichsetzung des Islam mit dem Islamismus und der Verteufelung einer ganzen Religion. Das ist nicht nur empörend, das ist auch genagelt dumm. Es ist doch so, dass die weitaus größte Zahl der Terroropfer von Islamisten nun mal Moslems sind. Die größten Leidtragenden des Islamismus sind die Moslems. Ich hab selbst vor drei Jahren erlebt, was das für ein Jubel und für eine Befreiung war, als in Ägypten Mursi und seine Islamisten-Sippschaft verjagt wurden. Ein ganzes Land hat gefeiert, dass sie die Scheiß-Islamisten endlich los sind. Die größten, verlässlichsten und wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Islamismus sind nämlich Moslems selbst. Aber wie soll man da ein vernünftiges Bündnis schmieden, wenn schon die Diktion jegliche Gesprächsgrundlagen zerstört und der mögliche Verhandlungspartner unter Generalverdacht steht? Die AfD verprellt auf der Jagd nach Wählerstimmen den wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Ist leider so – und das halte ich für dumm und gefährlich.

Patrioten, die Deutschland schaden

Bleibt bei der AfD noch ihre so sehr zur Schau gestellte patriotische Gesinnung. Ich halte es zumindest nicht für einen Ausweis von großem Patriotismus, wenn man das eigene Land nachhaltig schädigt. Und das tut die AfD ausgiebig.

Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland hatte sich ja vor einem Jahr sehr erstaunlich gewandelt, nach Merkels: „Wir schaffen das“. Jetzt mal völlig unabhängig davon, ob sie recht hatte oder nicht – das ist eine Diskussion, die wir gerne ein andere mal führen können – der Spruch hatte für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Der Kern der Kritik klang etwas so: „Merkel hat mit diesem Satz alle nach Deutschland eingeladen“, und damit den Flüchtlingsstrom, nach Deutschland befeuert. Auf der anderen Seite wird im Ausland sehr wohl registriert, wie und mit welchen Sprüchen die AfD Wählerstimmen gewinnt. Wenn im Ausland der Eindruck entsteht, dass Deutschland ein Land von Xenophobikern ist, das Gastfreundschaft nicht sonderlich groß schreibt, denn werden wir in den nächsten Jahren nicht nur auf Pfarrstellen und Ärzteposten in Krankenhäusern Probleme bekommen. Wir beide gehören zu den letzten der Babyboomer-Generation und danach geht es bergab. Wir brauchen die Zuwanderung dringend, gerne auch ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, meinetwegen auch nach Kanadischem Muster. Aber uns wird das schönste Zuwanderungsgesetz nichts nützen, wenn keiner kommt, weil alle unser Land so ekelig finden. Ich bin mal gespannt, was Herr Höcke sagt, wenn er eines Tages im Krankenhaus liegt und kein indischer Arzt da ist, der ihn operiert und keine philippinische Schwester die ihn pflegt. Das schüren von Fremdenfeindlichkeit schadet der deutschen Wirtschaft, schadet Kunst und Kultur und es schadet vor allem der Wissenschaft. Schon jetzt haben wir ganz große Probleme unsere eigenen Spitzenwissenschaftler zu halten. Wir sollen wir da im internationalen Wettbewerb mithalten, wenn sich Wissenschaftler aus dem Ausland nicht hier her trauen oder schlicht unwohl fühlen. Meinst Du, es macht einem indischen Wissenschaftler Spaß, in einem Dresdner Institut zu forschen, wenn es von draußen skandiert: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus?“ Okay, dann geht er halt nach Stanford oder Cambridge (ach nee, eher nicht, da kann ihm ähnliches passieren) oder Stockholm.

Schlechtes durch noch Schlechteres ersetzen?

Nun schreibe ich schon eine gute Stunde an dem Brief und Du siehst, dass mich dein Seelenheil umtreibt. Aber ich denke, es wird nun Zeit für ein Resümee. Ich kann verstehen, dass man die ganze herrschende Politikerkaste von Links bis Rechts (oder was davon noch übrig ist) von Herzen verabscheut. Was ich nicht verstehen kann, ist dass man schlechtere Politiker unbedingt durch noch schlechtere ersetzen will. Jemand wie Du, der viele Dinge gründlich recherchiert und gut analysiert, teilt ungeprüft den letzten Mist und preist ihn dann auch noch als der Weisheit letzter Schluss. Vielleicht liegt das ja auch an der Verlockung des Mediums Facebook. Manchmal fühle ich mich auch persönlich gekränkt. Wenn Du etwa aus der Basler Zeitung zitierst und das ganze als unabhängige und neutrale Sicht des Auslandes anpreist. Das ist es natürlich nicht. Hey, ich merk das, ich bin Journalist! Du weißt selbst, dass die BaZ ein Sprachrohr von Christoph Blocher ist. Natürlich findest Du Blocher deutlich besser als ich. Doch wenn jemand auf eine Wahlniederlage mit den Worten reagiert: „Die Mehrheit war gegen den Willen des Volkes“, dann macht mir so etwas Angst und diese Angst sollte jeder aufrechte Demokrat teilen. Und wenn Blochers Kumpel Brabeck-Lethmate sagt: „Wasser ist kein Menschenrecht“, deren gemeinsamer Kumpel Roger Köppel darüber schwadroniert, dass in Afrika die Fluchtgründe beseitigt werden müssen, aber den Nestlé-Wasserklau nicht mit einem Wort erwähnt, sollte das einen stutzig machen, finde ich. Man kann nicht einerseits sagen, ich will keine Flüchtlinge mehr aber andererseits Afrikanern buchstäblich das Wasser abdrehen. Wenn man das tut, dann kommen die nämlich hierher. Die Zwangsläufigkeit dieses Prozesses ist wohl nicht schwer zu erkennen.

Gruß aus dem linksversifften Kreuzberg

Ich finde übrigens die Wortwahl linksversifft für einen Professor einigermaßen irritierend, aber nun ja. Wenn ich Dir aus dem linksversifften Kreuzberg eine Empfehlung geben darf: Bleib ein aufrechter Konservativer, das braucht dieses Land derzeit dringender denn je. Aber zu den konservativen Werten gehören Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit. Von beidem hat die AfD herzlich wenig bis nichts zu bieten. Im Grunde genommen weißt Du das auch. Im Moment gibt sie Dir einfach eine Projektionsfläche für Deine Wut und Deinen Frust über die herrschenden Parteien. Aber für mich ist die AfD eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz. Mit jeder dummdreisten Lüge kommen die Typen durch.

Nein, bleib widerständig, aber doch nicht mit der AfD. Gründe meinetwegen eine eigene Partei oder probiers nochmal mit der CDU. Gerade dort unten seid ihr doch aufmüpfig genug. Ich erinnere mich noch, als Ende der 70er Anfang der 80er der „Schlafwagenwahlkreis“ WT an einen CDU-Granden gehen sollte und ihn der Kreisverband hat auflaufen lassen. Das war ein Spaß.

Vielleicht magst Du mir mal antworten. Es müssen ja nicht gleich 16.000 Zeichen sein. Anderswo bekomme ich für diese Schreibleistung viel Geld.

Ich hoffe, es kommt was von dem an, was ich Dir geschrieben habe. Es würde mich sehr freuen. Es gibt sicher auch für Dich noch Alternativen zur Alternative für Deutschland.

Viele Grüße aus dem linksversifften Kreuzberg an den schönen Hochrhein

Dein ehemaliger Mitschüler

Peter

Berlin, den 9. September 2016

Update: Zwischenzeitlich hat Dieter sich gemeldet. Hier ist seine ausführliche Antwort:

Lieber Peter,

auch wenn meine Zeit knapp ist und ich trotz viel Schreibarbeit im Geschäft wohl nicht so leicht formuliere wie Du, möchte ich Dir antworten. Zunächst einmal ist es mir wichtig, dass Du weißt, wie ich auf die AfD aufmerksam geworden bin.

Schon lange bin ich in der Finanzbranche tätig und habe hier eine solide Ausbildung durchlaufen. Diese machte es mir möglich, schon sehr früh (so etwa Ende der 80er Jahre) Entwicklungen und Abläufe in der Welt der Finanzen – nicht nur mikro-, sondern auch makroökonomisch verstehen und beurteilen zu können. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis auf einen Leserbrief von mir (SÜDKURIER und Badische Zeitung), in welchem ich schon 1992 (!) darauf hingewiesen habe, dass der vorgesehen Vertrag von Maastricht zu einem Betrug an den Deutschen führen wird, weil er den Eindruck erweckt, dass der Euro eine solide Konstruktion würde, die die Konstruktion der D-Mark und insbesondere der Bundesbank als Vorbild hätte. Schon damals war mir völlig klar, dass die Deutschen keine Chance haben würden, die Solidität der D-Mark und des mit ihr verbundenen deutschen volkswirtschaftlichen Systems im Euro-System aufrecht zu erhalten. Exakt genau so ist es dann auch gekommen. In diesem Zusammenhang lege ich Dir das Buch „Die Target-Falle“ von Hans-Werner Sinn ans Herz, der darin sehr gut verständlich und detailliert den Betrug offenlegt, mit dem man über den Vertrag von Maastricht und den Euro einem massiven Raubzug gegen das hart erarbeitete Vermögen der Deutschen Tür und Tor geöffnet hat. Allen voran unser damaliger Bundeskanzler Kohl, der in seinem Einheitsrausch und angesichts der verlockenden Perspektive, in die Geschichte als Kanzler der Wiedervereinigung eingehen zu können, jede Vorsicht und Skepsis (insbesondere gegenüber Interessen der angelsächsischen Hochfinanz) hat fallen lassen.

Bereits beim Platzen der Blase der „New Economie“ (bei uns „Neuer Markt“), im Zuge derer Millionen Deutsche mit manipulierten Börsennachrichten und Luftnummern um wahrscheinlich Billionen gebracht worden sind, hat die angelsächsische Hochfinanz sich um Unsummen bereichert. Ich kenne mich ganz ordentlich in der Welt der Rating-Agenturen, der Börsen und der Kapitalmärkte aus. Mein Arbeitgeber – eine Sparkasse – ist vermutlich die sozialste Bank der Welt; denn sie gehört den Bürgern ihrer Gewährträgergemeinden, hat als (öffentlichen) Auftrag die Pflicht, Bürger und Unternehmen ihres Tätigkeitsgebiets mit solide Finanzdienstleistungen zu versorgen und schüttet ausnahmslos alle Gewinne (meist in Form von Spenden, Sponsoring oder sonstigen Zuwendungen) niemals an Private aus, sondern stets an öffentliche Einrichtungen wie Vereine, kulturelle Einrichtungen, soziale Einrichtungen etc.

Die von Margret Thatcher und später Clinton in den 90ern durchgeführte massive Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte hat dazu geführt, dass hier ein enormer und weitestgehend unkontrollierter Wildwuchs entstanden ist, bei dem die Akteure der Hochfinanz das Kleinvieh der Privatanleger, das in Toto ja gleichwohl enorme Volumina generiert, nach Belieben über den Tisch gezogen hat: Durch clevere, sehr häufig aber auch hochkriminelle Manipulationen der Börsen und Märkte. Möglich war das durch die unangefochtene Machtposition der drei US-Rating-Agenturen, die Privaten gehören, sich nicht in die Grundlagen ihrer Ratings hereinschauen lassen, keinerlei wirksamer Kontrolle unterliegen und – jetzt kommt das Beste – keinerlei juristische Konsequenzen für falsche Ratings zu befürchten haben, weil ihre Ratings – wie praktisch – juristisch als Meinungsäußerungen gelten und damit – im Gegensatz zu Testaten von Wirtschaftsprüfern – nicht justiziabel sind. Und die Ratings dieser Agenturen entscheiden über Wohl und Wehe von Firmen, Holdings, Fonds und ganzen Volkswirtschaften. Wie praktisch.

Man bewegte riesige Volumina, beeinflusste massiv die Informationsdienste, arbeitete mit algorithmischen, selbst handelnden Computersystemen (70% des Handelsvolumens an der Wall Street wird im rein technischen sogenannten Hochgeschwindigkeitshandel abgewickelt), nutze Insiderinformationen, hatte mitten im System Zeitvorsprünge und handelte über Banken, die alles im Blick und Griff hatten nach Belieben in einem völlig unkontrollierten Bereich: Ein Eldorado für skrupellose Moneymaker! Und zu Lasten des „Kleinviehs“, dessen „Mist“ man sich munter unter den Nagel riss.

Dieses völlig enthemmte System hatte in Deutschland in den öffentlich-rechtlichen Sparkassen einen Gegner, der auf dem sehr attraktiven deutschen Markt nicht in den Griff zu bekommen war. Deshalb wurden die Sparkasse so etwas ab 2002 massiv auf der politischen Ebene angegriffen, indem man versuchte, die öffentlichen Institute zu privatisieren und für die Hochfinanz käuflich zu machen. Dazu sollte man wissen, dass der deutsche Bankenmarkt der weltweit am härtesten umkämpfte ist und dass vor allem die Sparkassen, aber auch die Volksbanken dafür sorgten, dass die Deutschen flächendeckend und zu akzeptablen Preisen Zugang zu allen Finanzdienstleistungen hatten. 2005 habe ich im Rahmen einer Verwaltungsratssitzung beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband in Berlin auf die unfassbare Position der Rating-Agenturen hingewiesen – und nur verständnislose Blicke geerntet.

Warum erzähle ich Dir das alles?

Ich kenne das angelsächsische Finanzgebaren zur Genüge. Ich kennen die Gier, die Skrupellosigkeit und auch die kriminelle Energie, die hier am Werke ist, um immer mehr Weltvermögen auf immer weniger Mächtige zu konzentrieren.

Deutschland hatte bei der Einführung des Euro keine Freunde; nur „Partner“, die die Stärke der D-Mark torpedieren und Deutschlands Wirtschaftsmacht eingrenzen und für sich maximal nutzbar machen wollten. Thatcher und Mitterand willigten nur unter der Voraussetzung in die Wiedervereinigung ein, dass Deutschland zu Gunsten des Euro die D-Mark aufgibt. Von Mitterand stammt sinngemäß denn auch das Zitat: „Der Vertrag von Maastricht ist wie der Vertrag von Versailles – nur ohne Krieg“.

Die Amerikaner hatten andere Interessen. Ihnen ging es vor allem darum, den Euro schwach zu halten. Denn ein starker Euro mit einer prosperierenden europäischen Wirtschaft könnte die Stellung des Dollar als Welt-Leitwährung gefährden – eine Horrorvorstellung für die Amerikaner mit Ihrem regelmäßig horrenden Handelsbilanzdefizit. Deshalb sorgten sie über geschickte Manöver der „Gottes Werk“ verrichtenden Bank Goldman Sachs dafür, dass mit Griechenland ein Kukucksei den Weg in den Euro fand, das diesen nachhaltig schwächen würde. Die Aufweichung der Konvergenzkriterien und der Bruch relevanter Gesetze (No-Bail-Out, Staatsfinanzierungen über die Notenpresse etc.) gaben dem Euro den Rest und führten zu einer nachhaltigen Schwächung der Volkswirtschaften Europas. Aus diesem Grund torpedieren die Amerikaner übrigens auch jede Annäherung zwischen Deutschland / Europa und Russland, die Putin in seiner Rede 2001 vor dem Deutschen Bundestag (ein sehr authentischer und wie ich überzeugt bin ehrlicher Putin) angeboten hatte. Deutsch-europäisches Know-how OHNE russische Bodenschätze ist für die Amis kein Problem. Russische Bodenschätze OHNE deutsch-europäisches Know-how auch nicht. Deutsch-europäisches Know-how kombiniert MIT russischen Bodenschätzen ist für die Amis aber eine Horrorvorstellung, für deren Verhinderung sie meiner festen Überzeugung nach zu jeder Sauerei fähig wären; würde dies doch ihre Vormachtstellung in der Welt massiv gefährden! Wesentliche Doktrin jeder US-Administration ist es denn auch, eine europäisch-russische Annäherung mit allen Mitteln zu verhindern. Damit ist man bislang – auch über das Vehikel NATO – auch durchaus erfolgreich.

Wenn man nun die mit gefälschten Beweisen begründeten völkerrechtswidrigen Kriege der USA, das Agieren von Organisationen wie der CIA oder NSA oder die Skrupel- und Gesetzlosigkeit im Umgang mit „Freunden und Partnern“ und die sozialen Zustände in den USA noch im Kontext mit dem Finanzgebaren der USA sieht, versteht man das Misstrauen und die Ablehnung, mit der ich amerikanisch dominierter Politik und Ausbeutungs- und Beherrschungsinstrumenten wie TTIP oder Ceta gegenüberstehe (Du hattest mich kürzlich auf meine TTIP-Gegnerschaft angesprochen).

Diese Politik gegen Deutschland und seinen hart erarbeiteten Wohlstand ist mir schon lange ein massiver Dorn im Auge! Immer mehr habe ich gehofft, dass die Merkel-Regierungen diesem Treiben Einhalt gebieten würden; und immer mehr stellte sich heraus, dass dies nicht nur nicht der Fall war, sondern dass unsere eigene Regierung dem Raubzug gegen Deutschland Tür und Tor öffnete. Dann kam nun Lucke und thematisierte exakt das, was mir hier unter den Nägeln brannte. Für mich war sofort klar, dass ich das unterstützen würde – zumal der Mann exzellent argumentierte. So bin ich zum Anhänger der AfD geworden.

Die anderen, nicht wirtschaftlichen Themen kamen dann später. Aber auch hier war es so, dass die AfD die einzige Partei war, die dem „alternativlosen“ Treiben Merkels entschieden – und wie ich überzeugt bin, absolut zu recht – entgegen trat. Ich habe schon mehrfach detailliert beschrieben, in welch völlig inakzeptablen Maß – und dieser Meinung sind ja auch namhafte Verfassungsrechtler und aufrechte Publizisten – die Merkel-Regierungen in nahezu ständigem Einklang mit allen übrigen Altparteien Recht und Gesetze aller Art, bis hin zum Grundgesetzt, nach Belieben brachen und brechen. Und ich habe Dir auch schon geschrieben, dass ich das auf keinen Fall länger akzeptieren will und dass ich manche Kröte zu schlucken bereit bin, wenn nur jemand kommt, der den Altparteien hier ordentlich dazwischen grätscht. SO KANN UN DARF ES AUF KEINEN FALL WEITERGEHEN!

Nun möchte ich in der Folge noch auf einige Anmerkungen von Dir eingehen, die Du in Deinem offenen KuK-Brief an mich gemacht hast.

Du schriebst: „Ist Frau von Storch nur dumm oder verfolgt sie damit einen Zweck?“

Ich sage dazu: Ich bin überhaupt kein Fan von Frau von Storch! Mich nervt ihre vorlaute Art und mich nerven Politiker, die schlecht vorbereitet in Talk-Shows gehen. Mich nerven aber auch Typen wie Ralf Stegner, die völlig inakzeptabel gegen eine demokratische AfD hetzen und kein Problem haben, wenn AfD-Mitglieder von staatlich unterstützten Antifa-Sturmtrupps angegriffen und verletzt werden, AfD-Wahlveranstaltungen von der Antifa mit SA-Methoden verhindert werden oder wenn Wahlwerbung der AfD in bundesweit großem Stil von linkem Abschaum beschädigt oder entfernt wird.

Du schriebst: „Der Wirtschaftsprofessor wurde aus der AfD rausgeekelt, Olaf Henkel hat die AfD unter einem großen Getöse verlassen und die ganze Partei ist unzweifelhaft sehr nach rechts gedriftet.“

Ich sage dazu: Der Wirtschaftsprofessor hat den Fehler gemacht, ins Europa-Parlament einzuziehen. Dadurch verlor er den Kontakt zur AfD-Basis. In einer noch sehr jungen und chaotischen Partei ist das ein schwerer Fehler! Diesen Fehler wollte er korrigieren, indem er eine alleinige Vormachtstellung in der AfD anstrebte, was in einer Partei, die den Respekt vor dem Bürgerwillen und Meinungspluralismus auf ihren Fahnen hat, nicht gut ankommt. Von Alleinherrschern hat man in der AfD die Schnauze voll; das war ja auch ein Grund für das Entstehen der AfD! Zu Henkel ist zu sagen, dass er überall und nirgends daheim ist. Er hat nie zum Establishment der AfD gehört und war schon immer da zu finden, wo er seine Eitelkeit am besten befriedigen konnte. Und dass die AfD „nach rechts gedriftet“ ist, mag sein. Gleichwohl steht sie mit ihrem Grundsatzprogramm da, wo die CDU 2004 gestanden ist. Das Problem liegt also nicht in der Rechtsdrift der AfD, sondern in Merkels Linksdrift, mit der sie die SPD schon links überholt hat und nun drauf und dran ist, das auch bei den Grünen zu machen.

Du schriebst: „Es wird sicher Leute aus meinem Umfeld geben, die empört aufheulen, dass ich mich „mit so einem Nazi wie Dir“ überhaupt auseinandersetze.“

Ich sage dazu: Hoffentlich hast Du nicht allzu viele Leute um Dich, die mich aufgrund der Kenntnisse, die sie von mir haben, als Nazi bezeichnen. Denn das sind Leute, die sich von Vorurteilen leiten lassen und deren Gehirne ideologieverseucht sind. Viel geistig Wertvolles kommt von solchen Leuten selten. Ich passe in überhaupt keine Schublade. Denn ich bin ein leidenschaftlicher Freidenker, der Ideologie und Politische Korrektheit verabscheut und stets ausschließlich an der Wahrheit interessiert ist. Aber so gut wirst selbst Du mich nicht mehr kennen. 😉

Du schriebst: „Aber es gibt eben Nazis bei der AfD und unter ihren Wählern.“

Ich sage dazu: Das ist leider richtig. Aber zeige mir eine Partei, die nur vorzeigbare Mitglieder hat. In der CDU gab und gibt es Betrüger und Steuerhinterzieher (Kohl, Schäuble), Hochstapler (Guttenberg, Schavan), Säufer (Schockenhoff), Meineider und Rechtsbrecher (Merkel), in der SPD gab und gibt es Leute, die Menschen an kommunistische Mörder verraten haben (Wehner), Hetzer (Stegner), Pädophile (Edathy), Hochstapler (Hinz) und Sonnenkönige (Schulz), bei den Grünen Pädophile (Cohn-Bendit), Inzest-Befürworter (Ströbele), Körperverletzer (Prügel-Joschka), Korrupte (Özdemir) und Drogensüchtige (Beck), bei der Linken Flüchtlingsschlepper (Dehm), Stasi-Denunzianten (Gisi), bei der FDP Karrieristen (Bangemann), Hostapler (Koch Mehrin), Spezialisten für „pfiffige“ Geschäfte (Möllemann) etc. etc.. Selbst SPD-Fan Günter Grass war wohl irgendwann mal ein Nazi! Was ich insgesamt für Leute in der AfD wahrnehme, macht mir auf alle Fälle nicht mehr Sorgen als das Pannenpersonal, das die Altparteien zu bieten haben! Und wenn einzelne Personen oder dumme Aussagen für Dich ein Grund sind, die AfD nicht zu wählen, darfst Du definitiv überhaupt keine Partei mehr wählen!
Du schriebst: „Dass Frauke Petrys Lebensgefährte sie sogar „diabolisch“ nennt, sollte uns hier nicht interessieren.“

Ich sage dazu: Rhetorisch clever, man benennt etwas, tut aber gleichzeitig so, als wolle man es nicht. (Aber Hauptsache, man hat es eben doch erwähnt!). Und wenn Herr Pretzell Frau Petry tatsächlich „diabolisch“ findet, hat das für mich überhaupt keine Relevant. Genauso wenig, wie wenn Frau Kauder ihren Mann vielleicht „neckisch“ findet. Was soll das also?

Du schriebst: „Sie fordert allen Ernstes, dass sie Waffengesetze gelockert werden sollen. Du und ich wissen beide ganz genau, dass Länder in denen Waffengesetze liberaler sind, als in Deutschland, die Rate der Schwerst- und Gewaltkriminalität um ein vielfaches höher ist. Will Frau Petry die Kriminalitätsrate in Deutschland in die Höhe treiben?“

Ich sage dazu: Zunächst einmal ist es so, dass nur ein schlechter Staat Angst vor bewaffneten Bürgern haben muss. Ein guter Staat nicht! Dann stellst Du den Umstand vieler Waffen in einen direkten Zusammenhang mit Gewalt. Leider ist das nicht nur falsch, sondern auch ungründlich gedacht. Denn wenn dem so wäre, müssten in der Schweiz, die weltweit mit Abstand die höchste Waffendichte im Volk hat, ja Mord und Totschlag herrschen. Dem ist bekanntlich nicht so! In den USA liegen die Gründe für die hohe Gewaltrate nicht im Waffenbesitz, sondern in der wirtschaftlichen Ungleichheit, den extremen sozialen Missständen und dem schlimmen Rassismus unter den Ethnien. Es ist nicht die Waffe, die tötet, sondern der Mensch. Wundert mich, dass das bei Dir noch nicht angekommen ist. Und wenn Dich die Frage tatsächlich quält: Ich bin absolut davon überzeugt, dass in der AfD niemand ein Interesse daran hat, in Deutschland die „Kriminalität nach oben zu treiben“! Die AfD will – wenn ich das Grundsatzprogramm richtig verstanden habe – ganz im Gegenteil die Kriminalität wesentlich stärker bekämpfen, als die Altparteien.

Du schriebst: „Die AfD leistet sich in Baden-Württemberg jetzt zwei Fraktionen. (…) Summa summarum kommen wir auf, ich meine etwa 83.000 Euro Mehrkosten im Monat für den Steuerzahler. Das macht dann jedes Jahr eine Million, nur weil sich die AfD-Fraktion intern nicht einig ist.“

Ich sage dazu: Dich hätte ich hören mögen, hätte Meuthen angesichts des Antisemiten Gedeon nicht konsequent gehandelt. Dass das nun zu dieser auch von mir als äußerst unglücklich empfundenen Situation geführt hat, ist diesem konsequenten Handeln geschuldet. Die AfD ist leider immer noch eine sehr junge Partei, die die eben klassischen Probleme einer jungen Partei noch einige Zeit „ausschwitzen“ muss. Im Moment bin ich davon überzeugt, dass ihr das gelingen wird. Darin bestärkt sehe ich mich, wenn ich an die Grünen denke, die in der 80er erstmals den Bundestag bevölkert haben. Damals haben auch viele geglaubt, die Welt ginge unter. Und für die gesetzlichen Gegebenheiten im Landtag von BW kann die AfD nun wirklich nichts.

Du schriebst: „Ich weiß nicht, wann Du das letzte Mal (ich hoffe, lang ist es her) ein Krankenhaus von innen gesehen hast? Es ist schon erstaunlich, wie viele Ärzte inzwischen aus Nordafrika, Pakistan oder Indien kommen. Warum wohl? Weil sich kaum noch junge deutsche Ärzte den Stress und die miese Bezahlung einer Klinik antun wollen.“

Ich sage dazu: Schon mein ganzes Leben lang bin ich in meinem nächsten Umfeld mit zahlreichen schweren Erkrankungen konfrontiert. Mein Vater war Augenarzt im Krankenhaus, mein Bruder ist anästhesiologischer Oberarzt in einem Krankenhaus und leitender Notarzt im unserem Landkreis. In diesem Feld kenne ich mich sicher wesentlich besser aus, als Du. Der Grund dafür, dass wir immer mehr ausländische Ärzte in deutschen Krankenhäusern haben, liegt zum einen am Problem der Demographie und zum anderen daran, dass exzellent ausgebildete deutsche Ärzte in Ländern wie z.B. England und der Schweiz wesentlich bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Dafür haben wir es hier in den deutschen Kliniken mehr und mehr mit Ärzten zu tun, die deutlich schlechter ausgebildet sind, deutschen Standards immer weniger genügen und die sich mit ihren Kollegen und den Patienten kaum noch verständigen können, was zu teilweise horrenden Situationen bis hin zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen mit allen Folgen führt. Glaube mir: Auf diese Kollegen würden die deutschen Ärzte gerne verzichten… Was die generelle Pflegesituation betrifft, gebe ich Dir recht. Ohne ausländische Kräfte wäre hier Schicht im Schacht.

Du schriebst: „Und genau hier liegt das Totalversagen, das brandgefährliche Totalversagen der AfD: In der Gleichsetzung des Islam mit dem Islamismus und der Verteufelung einer ganzen Religion.“

Ich sage dazu: Ich gebe Dir insofern recht, als auch ich glaube, dass die überwiegende Mehrzahl der hier lebenden Muslime in Frieden und Freiheit leben will. Fakt ist aber auch, dass unsere Gesellschaft systematisch und in Salamitaktik von äußerst aggressiven, intoleranten und demokratiefeindlichen muslimischen Strömungen unterwandert wird. Ich nennen hier natürlich den IS, aber auch salafistische Gruppen, Gruppen wie die von der sich radikalisierenden Türkei unterstütze Ditib und viele weitere. Fakt ist: Alle Muslime, die z.T. exorbitante Gewalt ausüben, berufen sich auf den Koran. Der Koran gibt alle diese Dinge vor, wenn man die richtigen Stellen zitiert. Die Militanz und Menschenfeindlichkeit des IS wird uns noch über Dein und mein Leben hinaus erheblich beschäftigen. Und sie ist nach meiner festen Überzeugung mindestens so gefährlich, wie die Nazi-Ideologie. Ich lehne Gruppen grundsätzlich ab, die Toleranz, Weltoffenheit und Freundlichkeit als Schwäche bewerten. Leider ist das bei sehr vielen Muslimen der Fall. Und auch wenn diese keine Mehrheiten stellen, werden sie trotzdem problemlos in der Lage sein, uns größte Schwierigkeiten zu bereiten – und das auch tun! Hier sind aus meiner Sicht also Selbstbewusstsein und Stärke angezeigt. Nicht das wachsweiche Herumgeeiere unserer Regierung. Ergänzend noch Zitate von Erdogan und dem SPD-Mitglied und ehemaligen SPD-Europaabgeordneten Öger.

Zunächst Erdogan: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Vural Öger: „Das, was Kamuni Sultan Süleyman 1529 mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir über die Einwohner, mit unseren kräftigen Männern und gesunden Frauen, verwirklichen.“

Du kennst die Geschichte von Troja. Wir sollten auf der Hut sein!

Du schriebst: „Wenn im Ausland der Eindruck entsteht, dass Deutschland ein Land von Xenophobikern ist, das Gastfreundschaft nicht sonderlich groß schreibt, denn werden wir in den nächsten Jahren nicht nur auf Pfarrstellen und Ärzteposten in Krankenhäusern Probleme bekommen.“

Ich sage dazu: Fast im gesamten Ausland ist der Eindruck entstanden, das Merkel und ihre Regierung nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Merkel ist in Europa ebenso gescheitert, wie isoliert. Gelobt wird sie aus dem Ausland nur noch von Leuten mit Bahnhofsklatschermentalität, welche die Folgen der merkelschen Chaospolitik nicht auszulöffeln und daher gut Reden haben.

Du schriebst: „Das Schüren von Fremdenfeindlichkeit schadet der deutschen Wirtschaft, schadet Kunst und Kultur und es schadet vor allem der Wissenschaft. Schon jetzt haben wir ganz große Probleme unsere eigenen Spitzenwissenschaftler zu halten. Wir sollen wir da im internationalen Wettbewerb mithalten, wenn sich Wissenschaftler aus dem Ausland nicht hier her trauen oder schlicht unwohl fühlen.“

Ich sage dazu: Ich kann nicht erkennen, dass die AfD nennenswert Fremdenfeindlichkeit schürt. Durch das Ansprechen von erkennbaren Missständen schürt man keine Fremdenfeindlichkeit. Diese Behauptung ist in meinen Augen ein Produkt der willfährigen Merkel-Presse. Und der Umstand, dass wir hier Probleme mit Wissenschaftlern haben (was durch entsprechende Programme mittlerweile stark zurückgegangen ist) liegt nicht daran, dass die Wissenschaftler Angst vor Fremdenfeindlichkeit hätten. Die ist in anderen Ländern mindestens genauso ausgeprägt. Es liegt ganz einfach daran, dass die Wissenschaftler in anderen Ländern, insbesondere den USA mit ihrer ausgeprägten Elitenförderung – viel stärker hofiert werden und viel bessere und großzügigere Arbeitsbedingungen vorfinden. Das solltest Du eigentlich auch wissen!

So, lieber Peter, abschließend stelle ich fest:

  • Es gibt immer noch so viele gemeinsame Ansichten von uns, dass wir uns den Schädel nicht einschlagen müssen!
  • Ich habe Deine 16.000 Zeichen mit 22.658 Zeichen getoppt
  • Ich habe dafür geschlagene 3 Stunden gebraucht
  • Ich kann und werde das so schnell nicht wiederholen
  • Ich hoffe, dass meine Antwort auch in KUK erscheint und dass ich davon Kenntnis bekomme

Ich grüße Dich freundlich aus Süddeutschland als Dein alter konservativer Schulkamerad Dieter

Die Sorgen des Südens

Die Kreuzbergerin Carolina Sachs nahm als Delegierte für Attac Deutschland am Weltsozialforum in Montreal teil. Dort hat sie eine Menge von den Sorgen erfahren, die der globale Süden mit sich trägt. Vor allem in diesem Licht gewinnt die Diskussion um CETA und TTIP noch einmal eine völlig neue Dimension. Auch da hat Carolina einige überraschende Erfahrungen gemacht. Darüber berichtet sie im Interview mit Peter S. Kaspar.