Die Einschläge kommen näher

Eigentlich gibt es ja gute Nachrichten vom rechten Rand. Korruptionsaffären und Führungskämpfe schwächen die Neonazis. Seit ihr wichtigster Geldgeber gestorben ist, scheint auch der Geldhahn zu zu sein, und von der heftigen Intergrationsdebatte können sie auch nicht profitieren.

Aber es gibt auch sehr schlechte Nachrichten. Die braunen Trupps wagen sich nun immer öfter dahin, wo für sie früher eine echte No-Go-Aerea war: Nach Kreuzberg SO 36. Natürlich tun sie es nachts und sie tun es feige, aber sie tun es. Die Einschläge kommen offenbar immer näher.

Vielleicht hat ja das eine mit dem anderen zu tun. Wenn die Führungsstrukturen erodieren, dann wird die Basis unberechenbar. Vielleicht zeigen die Anschläge im autonomen Herzen Kreuzbergs die wahre Verzweiflung der Neonazis. Doch wenn sie wirklich ihre letzte Schlacht schlagen, dann könnte es in den nächsten Wochen und Monaten eher schlimmer als besser werden.

Brückenbauer

Mediation ist jedem Rechtsstreit vorzuziehen und Bürgerbeteiligung ist allemal eine feine Sache. Allerdings setzt Mediation voraus, dass es wenigstens zwei Konfliktparteien gibt. Genau da liegt doch das eigentliche Problem. Während des Bundestagswahlkampfs hatte sich der damalige SPD-Kandidat Björn Böhning klar gegen die allabendliche Fiesta am Landwehrkanal ausgesprochen – mit einer interessanten Begründung. Das habe ja nichts mit dem Kreuzberger Lebensgefühl zu tun, sondern sei eine Erfindung vom Reiseführer »Lonely Planet«.

Wenn erlebnishungrige Backpacker aus Dublin oder Valencia abends an der Admiralbrücke ihre Klampfe auspacken, wird eine Mediation wohl ebenso erfolgreich sein, wie ein Schild, auf dem das Wort »Schallüberträger« steht.

Insofern ist ein Ideenwettbewerb vielleicht noch das beste, was man in der Situation machen kann. Schließlich ist Kreuzberg ja die Kreativmetropole Deutschlands. Vielleicht hat ja jemand eine geniale Idee.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2010.

Schneller zapfen für die Sicherheit

Es ist ja eine alte Binsenweisheit, dass Regen die folkloristischen Maikrawalle deutlich abmildert. Insofern hat auch das feuchte Nass seine segensreiche Wirkung entfaltet. Und natürlich die erfolgreiche Verhinderung des Naziaufmarsches am Prenzelberg! Auch das trug sicherlich zum relativen Frieden bei. Und die Alkoholverknappungsstrategie des Bezirks? Ein komplett alkoholfreier 1. Mai findet wohl nur in Hardcore-Temperenzler-Kreisen ungeteilte Zustimmung. Gut – man könnte dem Bezirksamt zugutehalten, dass jede Flasche, die nicht da ist, auch nicht geworfen werden kann. Dass aber ein Bühnenbetreiber vom Bezirks­amt faktisch gezwungen wird, während des My-Festes alle neun Sekunden einen halben Liter Bier zu verkaufen, um die verordneten Ordner finanzieren zu können, ist schon kurios. Kein Wunder, dass der Physiker Dr. Franz Schulz in die Politik gegangen ist. Wenn er so gut rechnen kann…

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2010.

Ordnungsrechtliche Kleinkrämerei

Seit Jahren ist Kreuzberg alljährlich Schauplatz von Randale und Krawall. Jetzt hat das Bezirksamt den Übeltäter ausfindig gemacht: Alkohol, vor allem in Flaschen. Zweifellos enthemmt Alkohol, und zweifellos fliegen im Zuge der Konfrontationen mit der Polizei leere Flaschen oder meinetwegen auch volle Dosen. Und ja, der 1. Mai ist ein gesetzlicher Feiertag, an dem die Ladenöffnungszeiten per Gesetz eingeschränkt sind. Aber ein Straßenfest lebt auch und gerade von seiner Stellung als Ausnahmezustand: Wo sonst Autos fahren stehen Bühnen, und am Straßenrand gibt es Stände, und da gibt es dann eben auch – einmal im Jahr – Bier zu kaufen. Wenn jetzt das Bezirksamt durch ordnungsrechtliche Kleinkrämerei versucht, die Problematik des 1. Mais zu lösen, dann ist das vor allem eine Bankrotterklärung, die auch die trifft, die einfach friedlich feiern wollen und ihr Bier lieber trinken als es zu werfen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2010.

Ja zu den Nein-Sagern

Ob sich durch das »Nein« in der BVV zum Haushalt wirklich etwas ändert, sei mal dahin gestellt. Das Nachverhandeln wird wohl diesmal nichts bringen. Aber warum soll der Bezirk den Kopf hinhalten, wenn es um Schließungen von Jugend- und Kultureinrichtungen geht, weil ihm die notwendigsten Finanzmittel vorenthalten werden? Seit Wochen jammert der Senat, dass die Deutsche Bahn die S-Bahn kaputt gespart habe. Und wenn der Senat die Bezirke kaputt spart? Ist das in Ordnung? Da werden viele tausend Euro für Entwicklungsstudien ausgegeben, aber gleichzeitig die finanziellen Grundlagen für diese Entwicklungen entzogen. Absurd.

Zwischen HartzIV- und Afghanistan-Debatte hat mit Halina Wawzyniak eine Bundestagsabgeordnete den Weg in die BVV gefunden. Hut ab dafür, und vielleicht nehmen sich andere aus Bund und Land daran mal ein Beispiel.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2010.

Fähnlein flattern im Wind

Aha, Kunst also. Mindestens was den kabarettistischen und parodistischen Wert betrifft sind die Fähnlein, die über der Bergmannstraße flattern, ganz große Klasse. Wahrscheinlich sind sie eine Erfindung des Satiremagazins »Titanic«, wenn nicht, werden sich die NFS-Epigonen ein Monogramm in den Allerwertesten beißen. Man stelle sich vor, dass im GRÜNSTEN Fleck der Republik ein Kunstprojekt intalliert wird, das alle Singvögel vertreibt. Konnte ja auch keiner ahnen, außer vielleicht pfälzische Weinbauern, die ihre Weinberge durch ähnliche Kunstinstallationen schützen. Im übrigen nennt man solche Installationen im Südwesten der Republik Narrenbändel. Sie werden von Dreikönig bis zum Aschermittwoch in jedem kleinen Dorf über die Straße gespannt – und nicht das ganze Jahr. Narrenbändel!!! Wer würde wohl Böses dabei denken.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2009.

Niemand hat die Absicht…

Jeder wird wohl wissen, wie dieser Satz von Walter Ulbricht weiter ging und jeder wird auch wissen, was zwei Wochen nach diesem Satz passierte. Die Mauer wurde eben doch gebaut.

Kurt Wansner, Urgestein der Kreuzberger CDU, lehnt eine Bürgerwehr ab. Gleichzeitig fürchtete er jedoch, dass seine wackeren Kreuzberger zur Selbstjustiz greifen könnten, wenn das Anzünden von Autos nicht bald aufhören würde. Vielleicht wäre eine Bürgerwehr dann ja doch ganz schlau, dann hätte man all die Selbstjustizaspiranten unter Kontrolle? Nicht wahr? So könnte die Argumentation doch weiter gehen.

Kurt Wansner ist für rustikale und krachlederne Vorstöße bekannt, manchmal sind sie auch ganz amüsant. Aber hier scheint einer mit Hilfe von Brandstiftern politisch zu zündeln. Bürgerwehr in Kreuzberg? Schwachsinn.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2009.

Schwarz-Gelb? War da was?

Nun wird dieses Land also von einer Koalition regiert, deren Parteien im »bekanntesten Wahlkreis Deutschlands« (H.-C. Ströbele) einigermaßen jenseits der Wahrnehmungsschwelle liegen. Verschwindet der Bezirk nun seinerseits hinter dem Wahrnehmungshorizont der Politik? Mitnichten. Mög­li­cher­wei­se wird hier sogar die Politik von morgen zusammengebraut. Zum Beispiel Björn Böhning. Für den kann sich die katastrophale Wahlniederlage als Karriere-Turbo erweisen. Er gehört zu jenen jungen Sozialdemokraten, die die SPD nun dringend braucht, weil sie auch mit der Linken können. Wie etwa mit Halina Wawzyniak. Auch sie verkörpert einen neuen Stil: Pragmatisch, undogmatisch und offen. Die beiden schätzen sich, sitzen in einem Gesprächskreis und sind ein Beispiel dafür, wie die Gräben links der Mitte überwunden werden können.

Erkenne den Kiez

Nein, ein Bundestagsabgeordneter muss nicht ein Nebenbürgermeister im Kiez sein. Und sicher kann er nicht die bundespolitische Gesetzgebung nach den Bedürfnissen der Kreuzberger umschmieden. Da ist es nur verständlich, wenn der ein oder andere bei einer Wahlveranstaltung klar macht, wie weit die Möglichkeiten eines Bundespolitikers im lokalen Bereich reichen. Doch wo, wenn nicht im eigenen Kiez, kann er seine Persönlichkeit vor dem Wähler herausarbeiten. Die Wahlprogramme der einzelnen Parteien sind ja bekannt und dass sich die Kandidaten diesen Programmen im Großen und Ganzen verpflichtet fühlen sollten, versteht sich von selbst. Wer also noch nicht weiß, wo er am 27. September sein Kreuzchen machen soll, der kann doch seine Entscheidung davon abhängig machen, wie es der Kandidat mit dem Kiez hält.

Kein Schwein steckt mich an

Ein Reiseveranstalter wirbt derzeit in der Tat mit »Schweinepreisen« für Mallorcareisen. Was für eine Bombenidee. Zugegeben, sich am Ballermann zwischen Sangriaeimern und Schaumkanonen jetzt zu infizieren, um im Winter immun zu sein, ist eine bestechende Idee. Funktioniert leider wahrscheinlich nicht, weil das Virus mutieren kann, um dann richtig brutal zu werden. Ende Juli waren in Berlin rund 250 Fälle von Schweinegrippe registriert. Die Tendenz ist steigend.

Im Herbst und Winter wird nicht der »Schwarze Tod« im Gewande der Schweinegrippe zurückkehren. Aber Infektionspartys zu feiern, ist sicher auch keine gute Idee. Der erste Weltkrieg dauerte vier Jahre und endete 1918 mit 18 Millionen Toten. Im gleichen Jahr brach die Spanische Grippe aus. Sie forderte in zwei Jahren drei Mal so viele Opfer.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2009.

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Zu recht beklagen die Anwohner an der Admiralbrücke die Untätigkeit der Polizei. Zwar kann es nicht Aufgabe der Ordnungshüter sein, unaufgefordert das Bedürfnis einzelner nach absoluter Nachtruhe zu verteidigen, doch auf der Admiralbrücke, so viel ist klar, ist die Interessenabwägung zwischen Feierei und Nachtschlaf aus dem Gleichgewicht geraten. Natürlich geht die Party weiter, wenn das Polizeiauto außer Sichtweite ist. Aber was außer geringen Personalkosten spricht denn dagegen, all­abend­lich einen Streifenwagen am Brückenrand zu postieren? Die lauteren Brückenbesucher wären vermutlich nach weniger als zwei Wochen verscheucht, ohne dass die Brücke durch unnötige und teure Baumaßnahmen dauerhaft und für alle Nutzer als Treffpunkt zerstört wird. Die Idee, durch Durchgangsverkehr für Ruhe zu sorgen, ist jedenfalls absurd.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2009.

Rasen betreten verboten

In Kreuzberg darf also nur noch auf der Straße gelacht werden. Grün ist für die Vergnüglichkeit tabu. Nun ist es so außergewöhnlich nicht, dass sich ein grüner Bürgermeister für den Erhalt der Natur – in diesem Fall des strapazierten Rasens auf dem Mariannenplatz – stark macht. Warum aber er und seine Parteifreunde nur wenige Wochen zuvor beim 1.Mai-Fest den Rasen, der „Berlin lacht“ nun vorenthalten wurde, ramponieren durften, darf man sich dann wohl auch mal fragen. Da passt es ja auch gut ins Bild, dass ein bezirkseigener Lieferwagen die Utensilien ankarrt, die benötigt werden, um einen Informationsstand der Grünen aufzubauen (so geschehen beim Graefekiezfest 2007). Nun ja, der Lateiner würde wohl sagen: „quod licet iovi, non licet bovi“ – zu deutsch: „Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt“. Das dumme Wahlvolk besteht eben offensichtlich nur aus Ochsen. Kein Wunder, dass die grüne Aristokratie und ihre Klientel immer selbstherrlicher werden. Vorsorglich sind (mitten im Herzen des grünsten deutschen Wahlbezirks) inzwischen schon die ersten Proteste gegen die Fête de la musique eingegangen – einem weltweiten Musikfestival, das für Toleranz und Völkerverständigung steht! Einen Tag vor der Fête soll der Flughafen Tempelhof durch eine Zaunübersteigung besetzt werden. Die Grünen haben ausdrücklich dazu aufgerufen. Da hat aber der Wowi indigniert den Kopf geschüttelt. Er habe sich nicht vorstellen können, dass eine Partei wie die Grünen… Rechtsbruch… blablabla… Lieber Herr Wowereit, das ist kein Rechtsbruch, das ist Nostalgie, das erinnert an Wyhl, an Brokdorf, an Mutlangen. Da muss man sich nicht groß aufregen. Ein Tipp unter Freunden, der der Stadt viel Geld sparen wird. Schicken sie keinesfalls Polizei an den Flughafen. Stellen Sie einfach überall am Zaun Schilder auf: „Das Betreten des Rasens ist verboten“. Das werden die grünen Spießer dann schon verstehen. Denn eines ist ja wohl klar. Sollten eines Tages Politiker vom Schlage der durchschnittlichen Kreuzberger Grünen über die Zukunft des Flughafengeländes entscheiden können, dann wird es zwar ausgedehnte Grünflächen geben, die dann allerdings nicht betreten werden dürfen. Und es wird Stille herrschen – denn Straßenmusikanten, Gauklern und anderem fahrenden Volk wird der Zutritt zur grünen Oase selbstverständlich verwehrt werden.

Viel Rauch um nichts?

Das war aber mal ein Schlag ins Kontor. Schlimmer konnte die Initiative für die Wahlfreiheit der Wirte kaum scheitern. Nicht einmal die Hälfte der notwendigen Unterstützungsunterschriften ist da zusammengekommen. Wie konnte das denn passieren? Nicht wenige werfen den Initiatoren der Genussinitiative mangelnde Professionalität vor. Liest man sich die Aussagen nach dem Desaster genauer durch, könnte man auf den Gedanken kommen, die Köpfe der Initiative teilten diese Auffassung sogar. Tatsächlich gilt es, das Engagement der Genussinitiative sogar ausdrücklich zu loben. Immerhin haben sich die Organisatoren mit viel Leidenschaft, Freizeit und Geld in diese Aktion gestürzt. Sie haben das klassische Beispiel für bürgerschaftliches Engagement geliefert, ob man nun ihre Ziele teilen konnte oder nicht. Apropos Ziele: Leider wurde die Initiative am Ende nur auf das Thema Rauchen reduziert. Entscheidend war der bei der Frage etwas ganz anderes, nämlich: Wie lange soll der Marsch in die Reglementierungsgesellschaft noch gehen? Inzwischen ist schon davon die Rede, dass in Kneipen Alkohol erst am 20 Uhr ausgeschenkt werden darf. Flaschen sollen Warnschilder erhalten, wie sie Zigarettenpackungen schon haben. Über Gummibärchen und Fastfood wird eifrig diskutiert und ob Übergewichtige Zuschläge bei Flugtickets bezahlen sollen.

Schließlich noch ein Punkt: Thoma Michel beklagt, dass plebiszitäre Mittel nur noch Gruppen vorbehalten seien, die über entsprechende Finanzmittel verfügen, was dann spätestens bei einem Volksentscheid zu Wahlschlachten wie bei Tempelhof oder Pro Reli führen würde.  Da mag etwas dran sein. Aber es hat vor nicht all zu langer Zeit einen Bürgerentscheid gegeben, da wurde mit wenig Geld und viel Fantasie die Media-Spree versenkt. Und die brauchten nicht mal ein Flugzeug mit einem Banner dafür.

Seid nett zueinander

Das ist aber ein putziger Antrag, den die CDU-Fraktion in die Bezirksversammlung eingebracht hat. Die möge nämlich beschließen, dass – verkürzt ausgedrückt – am 1. Mai alle nett zueinander sein sollen. Das wird aber dem „schwarzen Block“ schwer imponieren, was die Schwarzen da fordern: „Es muss endlich Schluss damit sein, dass einige wenige die Mehrheit der Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen“. So haben das die autonomen Steineschmeißer sicher noch nicht gesehen. Deshalb wird der Aufruf zu Besonnenheit auch ganz bestimmt auf fruchtbaren Boden fallen. Aber irgendwer muss den verblendeten jungen Leuten doch einmal die Augen öffnen über ihr frevelhaftes Tun. Irgendwie hat die CDU ja recht, was weder die Gutmenschenfraktion, noch die Hohnlacher bestreiten können. Natürlich ist der Antrag in etwa so sinnvoll, wie ein Brief der Fraktion an Herrn Ahmadinedschad, er möge doch augenblicklich zum Katholizismus konvertieren. Aber so ist es eben bei solchen Marginalgruppierungen wie Splitterparteien, zu denen die CDU in Kreuzberg (wer möge das leugnen) eben gehört: Um sich öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, muss man eben ungewöhnliche Wege gehen und sei es um den Preis der eigenen Ernsthaftigkeit.