Alles verloren

Das war mal eine Klatsche! Dass die Initiatoren von Pro Reli das Quorum nicht erreichten, ist eine Sache. Das ist den Tempelhofbefürwortern auch passiert. Aber dass sie unter den abgegebenen Stimmen nicht einmal eine Mehrheit erreichten, ist wohl die Höchststrafe. Es ist ja ein durchaus natürlicher Effekt, dass die Initiatoren eines Volksentscheides mehr Anhänger mobilisieren, als die Gegner, die nicht monatelang in einem Volksbegehren erst einmal um den Volksentscheid ringen mußten. Nach der Niederlage machten Pro Reli Vertreter die angeblich unfaire Politik des Senats für die Schlappe verantwortlich. Hier zeigten sie sich als schlechte Verlierer und auch, dass sie über ein schlechtes Gedächtnis verfügen. Pro Reli war mitnichten in einer David-und-Goliath-Situation. Hinter ihr standen die beiden großen Kirchen, die selbst in der „Heidenhauptstadt“ Berlin noch über sehr viel Macht verfügen. Auch die jüdische Gemeinde ist in dieser Stadt nicht so ganz ohne Einfluß. Es gab mächtige Verbündete. Doch die Auseinandersetzung wurde (übrigens von beiden Seiten) häufig in einer Art geführt, die nicht besonders viel mit christlichen Grundwerten zu tun hat. Eigentlich sollte man den Hauptakteuren – jetzt, da alles vorbei ist – Nachsitzen verordnen – und zwar in Ethik.

Demokratie 2.0

Ist ja schön, dass die BVV Friedrichshäin-Kreuzberg mit einem sogenannten „Bürgerinformationssystem“ im Internet Transparenz simuliert. Nachdem man sich in das System ein paar Tage lang eingearbeitet hat, kann man – ein kommerzielles Betriebssystem, einen aktuellen Browser, eine schnelle Internetleitung und einige Frustrationstoleranz gegenüber sporadischen Serverausfällen vorausgesetzt – Termine, Tagesordnungen, manchmal auch Anwesenheitslisten und in seltenen Sternstunden auch mal Protokolle von vergangenen Sitzungen der BVV und der ihr zuarbeitenden Ausschüsse nachlesen. Ärgerlich nur, wenn die politische Realität den Status Quo im Web überholt, und die Streichung eines Tagesordnunsgpunktes zwar den Ausschussmitgliedern per E-Mail mitgeteilt wird, jedoch nicht dem sich per WWW informierenden Wählervolk durch ein Update der Internetseite. Nicht wegen der zwei KuK-Redakteure, die interessante Dinge über die Sanierung des Samariterviertels im Friedrichshain gelernt haben, sondern eher wegen der Gleisdreiecker Kleingärtner, die ihre Zeit wohl lieber mit dem Pflanzen von Blumen und Gemüse in ihren Gärten zugebracht hätten – wer weiss schon, wie lange sie die noch haben – als vor dem Kreuzberger Rathaus, wo ganz andere Themen als die ihren verhandelt wurden.
Ob sie das Durchhaltevermögen haben werden, am heutigen Mittwoch nochmal wiederzukommen, wenn es dann wirklich um den Bau von Sportplätzen auf dem Koloniegelände gehen soll, steht in den Sternen – ebenso wie die Frage, ob die öffentliche Verwaltung – und zwar nicht nur die von Friedrichshain-Kreuzberg – mit ihrem Umgang mit den „Neuen Medien“ jemals im 21. Jahrhundert ankommen wird.

Radler, wollt ihr ewig leben?

Der gemeine Polizist auf der Straße hat es auch nicht leicht. Wenn er nicht gerade Dealern und Junkies auf dem Kotti Platzverweise erteilt, hatte er – zumindest in den letzten beiden Wochen – verschärft auf Zweiradfahrer zu achten, genauer auf Radler, die von ihm meist in freundlichem Ton belehrt wurden, doch bitte nicht den Radweg in der falschen Richtung zu benutzen, rote Ampeln zu beachten und dafür Sorge zu tragen, dass der Drahtesel doch ordnungsgemäß mit Bremse und Licht ausgestattet ist. Zehntausend Radfahrer wurden überprüft, knapp die Hälfte von ihnen beanstandet. Wie groß die Zahl derer war, die sich der Überprüfung einfach entzogen, in der ebenso simplen wie richtigen Erkenntnis, dass ein Radler schneller radelt, als ein Polizist läuft, hat die Pressestelle leider nicht vermeldet. Immerhin berichtet die Polizei, dass die gerügten Radfahrer meist mit völliger Fassungslosigkeit, tiefem Erstaunen und totaler Uneinsichtigkeit reagiert hätten. Was haben die braven Beamten denn erwartet? Bei Radfahrern handelt es sich schließlich mitnichten um normale Verkehrssünder. Natürlich verbreiten sie auf den Gehwegen dieser Stadt Angst und Schrecken. Das müssen sie auch, denn sie sind die letzten bekennenden Anarchisten. Ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig, als Beschränkungen wie rote Ampeln, Einbahnstraßen oder Fußgängerzonen konsequent zu ignorieren, um so ihrem Streben nach absoluter Freiheit und Unabhängigkeit Ausdruck zu geben. Das hebt sie eben vom normalen Verkehrsteilnehmer ab. Und als wahre Freiheitskämpfer sind auch die Radfahrer bereit, für ihren Kampf Opfer zu bringen. Während bei allen anderen Verkehrsteilnehmern die Unfallzahlen sinken, steigt sie bei den Pedaleuren deutlich an. Tapfer! Venceremos, Radler!

Vermessen und zu kurz

Es ist gerade mal zwei Jahre her, da warf sich Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz vor jede kreischende Kettensäge, um zu verhindern dass den Bäumen am Landwehrkanal auch nur ein Blättchen gekrümmt würde. Es handelte sich dabei immerhin um Bäume die teilweise so marode waren, dass sie Leben und Gesundheit von Mensch und Hund und Rad- und Schifffahrer gefährdeten. Zwei Jahre später findet jener Bezirksbürgermeister nichts dabei, mal eben so 300 Laub- und Obstbäume (von letzteren wimmelt es ja bekanntlich in Kreuzberg) platt zu machen. Und für was? Für Fußballplätze, die an dieser Stelle noch nicht mal mit einem wettkampfgemäßen Maß gebaut werden können. Nur einen Steinwurf weiter soll ein neues eigenes Stadtviertel entstehen – für 10 000 Menschen. Das heißt, mit diesem Projekt würde sich Kreuzberg schlagartig um 7,5 Prozent vergrößern. Hat sich da jemand vermessen? Vom Gleisdreieck aus sind es Luftlinie nicht mal 1000 Meter bis zum Flughafen Tempelhof. Auch dort wird ja aller Voraussicht nach ein neues Stadtviertel entstehen. Etwa wie am Gleisdreieck – nur vermutlich zehn mal so groß. Hat sich mal jemand mit der Frage beschäftigt, wer denn dort hinziehen soll? Vielleicht könnte die Planung für die Wohnanlage am Gleisdreieck auch ein wenig bescheidener ausfallen. Sagen wir mal so, dass dort noch bequem zwei Fußballfelder (in FIFA-Maß), Umkleidekabinen und vielleicht sogar noch ein paar kleine Tribünen hinpassen. Die Bäume würden ebenso stehen bleiben wie die Gartenlauben – und es gäbe am Ende vielleicht die eine oder andere Bauruine weniger in Berlin.

Betroffen am Kotti

Der Protest der Anwohner und der grüne Familienstreit zwischen Franz Schulz und Cem Özdemir hat nun scheinbar Erfolg – zumindest einen kurzfristigen. Die Polizei hat innerhalb einer Woche gleich zwei Mal starke Präsenz am Kotti gezeigt. Zusammengerechnet kam sie dabei auf 16 Stunden Einsatzzeit. Die Beamten haben in dieser Zeit 68 Platzverweise erteilt. Das heißt, etwa alle Viertelstunde musste sich ein mutmaßlicher Junkie vom Kotti trollen. Außerdem wurden noch zehn Personen festgenommen. Das ist ja alles schön und gut, nur haben uns die Polizeiaktionen letztlich der Lösung keinen Schritt näher gebracht. Die Anwohner dürften nur kurzfristig sediert sein, denn die des Platzes verwiesenen kommen ja alle wieder. Und schließlich lösen sich Junkies und Dealer auch nicht einfach in Luft auf, wenn sie von den Ordnungshütern des Spielfeldes verwiesen werden. Sie suchen sich dann eben neue Spielfelder. Natürlich muss die Polizei Präsenz zeigen, wenn der Kotti gerade mal wieder durch alle Medien getrieben wird. Aber das kann auf die Dauer keine Lösung sein. Schon gar nicht fünf Wochen vor dem 1. Mai. Wenn es dieses Jahr wieder richtig krachen sollte, dann zeigen sich sicher diejenigen wieder ganz besonders betroffen, die nicht in der Lage sind, ein vernünftiges Konzept für die Situation am Kotti zu entwickeln.

Es drängt

Drei Mal innerhalb von sechs Wochen wollen sich die Wirte aus dem Kiez zusammensetzen. War das erste Treffen noch geprägt vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch, ging es diesmal ans Eingemachte. Einen Verein wollen sie gründen, sich vernetzen, kreative Wege aus der Krise suchen. Sie dokumentieren damit sehr deutlich: Es geht nicht ums Jammern, es geht um die Tat. Am deutlichsten wurde das beim Nichtraucher-Thema, das auf dem zweiten Treffen schon keines mehr war. Vielmehr ist vielen Wirten klar geworden, um was es tatsächlich geht: Ums nackte Überleben. Steigende Mieten, steigende Bierpreise, dramatisch zurückgehende Gästezahlen, verstärkte Kontrollen durch die Ämter und nicht zuletzt der Strukturwandel im Kiez haben in den letzten zwei, drei Jahren bereits ein gutes Dutzend Kneipen aufgeben lassen – allein in Kreuzberg 61! Namen, die für große Kneipentraditionen standen, sind verschwunden: Matto, Malheur, Enzian, Bermuda, Mistral… die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Gut, dass sich die Wirte jetzt zusammensetzen und versuchen, diese Liste nicht noch länger werden zu lassen.

Veränderte Wahrnehmung

Es ist noch nicht so lange her, da war das „neue“ Kreuzberg das Ziel milden medialen Spotts. Vor allem Bergmann- und Chamissokiez mit seiner etwas verschwurbelten grünen Bohème wurden ins publizistische Visier genommen, aber auch die allgegenwärtige Protest- und Kampfbereitschaft gegen jedwede echte oder eingebildete Ungerechtigkeit. Initiativen und bürgerliches Engagement wurden als putzige folkloristische Auswüchse einer eigentlich untergegangenen Kultur belächelt, die ihren „Oberkrainer Ernst Mosch“ in Rio Reiser selig gefunden hatte. Doch auf einmal wendet sich das Blatt buchstäblich. Der Tagesspiegel widmet dem Kotti in der Sonntagsausgabe seine Seite zwei, und am Mittwoch wird das Engagement in der Düttmann-Siedlung in einer ganzseitigen Seite-Drei-Reportage gewürdigt. Zeitgleich erscheint die Zitty mit einer Titelgeschichte über den Kotti. Diese Geschichten gäbe es nicht, wenn sich nicht Menschen für ihren Nachbarschaft engagieren würden. Offensichtlich hat bürgerschaftliches Engagement dann doch nicht so viel mit Folklore, sondern mit Einsicht in die Notwendigkeit und gesundem Menschenverstand zu tun.

Parteifreunde

Der Kotti ist wieder im Gespräch, Zeitungen ist er große Reportagen wert, andere Medien stellen tiefschürfende Reflexionen an. Interessant dabei ist der Auslöser. Da haben Anwohner mal wieder gegen die Fixer-Szene aufbegehrt. Das Problem ist in den letzten Jahren größer geworden und wird auch nicht kleiner, wenn nun eine Drückerstube in der Dresdener Straße geschlossen wird. Auf der Suche nach einer Lösung verfiel Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz auf die – zumindest parteiintern wahnwitzige – Idee, das ganze Päckchen einfach vor der Türe seines Bundesvorsitzenden Cem Özdemir abzulegen, und zwar buchstäblich. Ein kurdisches Café, unmittelbar in Özdemirs Nachbarschaft an der Kottbusser Straße, macht dicht, und da könnte die Drückerstube ja unterkommen, meinte der Bezirksbürgermeister. Was Schulz, gewollt oder ungewollt, übersah: Es gibt bereits einen Nachmieter. Das musste ihm ausgerechnet der Grünenchef erst mal sagen. Blöd ist jetzt nur, dass sein Parteifreund Özdemir so dasteht, als unterlaufe er nun die Drogenpolitik des Bezirks und sei nur darauf bedacht, Probleme von seiner Heimstatt fernzuhalten. Dächte Özdemir so, hätte er auch in den Chamissokiez ziehen können. Ist das nicht putzig: Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl stellt ein grüner Bezirksbürgermeister im einzigen grünen Wahlkreis der Republik den Bundesvorsitzenden der Grünen ohne Not bloß. Fragt sich eigentlich nur, was Hans-Christian Ströbele dazu sagt. Der will schließlich im Herbst wieder gewählt werden. Ach ja, sein Wahlkreisbüro liegt übrigens direkt am Kotti.

…wie das Kind vom Dreck

Schmutzfinken kommen nun an der Pranger – zumindest in Pankow. Im Internet lässt sich nachlesen, wie es mindestens 37 Wirte mit der Hygiene angeblich nicht so genau nehmen – und auch, was sie sich zuschulden kommen ließen. Geht es nach der Gesundheitssenatorin Karin Lompscher, dann wird das Beispiel bald in ganz Berlin Schule machen.
Etliche Wirte, die am Internetpranger stehen, beteuern, sie hätten sämtliche Mängel beseitigt und eine Neuprüfung beantragt. Der Bezirk hatte auch zeitnahe Nachprüfungen zugesagt. Nur – passiert sei nichts und sie stünden noch immer auf der geschäftsschädigenden Liste. Tatsächlich finden sich auf der Liste Unternehmen, die ein einziges Mal im Mai 2008 geprüft wurden. Dabei wurden so unerhörte Verstöße festgestellt wie: „Portionierung und Verkauf von Käse erfolgte auf einem Tisch im Laufbereich der Kundschaft“.
Da wird seit fast einem Jahr geprüft, und dann laufen die Prüfer weg, wie das Kind vom Dreck. Moralisch gesehen ist das auch nicht gerade hygienisch. Fast noch schlimmer als der Pranger ist die Positivliste: Die umfasst drei Altersheime, das Café Paula und das Pfefferwerk Stadtkultur. Dafür gibt es einen Smiley-Button an die Tür. Fünf Läden! Davon drei Pflegeeinrichtungen! Wenn das der Standard für durchschnittliche Kneipen sein soll, dann geht es offenbar darum, die Kleingastronomie zu hygienischen Hochsicherheitstrakten zu machen.