Peter S. Kaspar hat Dominik Bardows Fußballroman »Trainingslager« gelesen
Die deutschsprachige Literatur kennt das Genre »Fußballroman« eher nicht. Wer danach im Internet sucht, bekommt fast ausschließlich eine Palette von Jugendromanen geboten. In der Belletristik hat bestenfalls »Fever Pitch« des Engländers Nick Hornby dem Fußball zu einem gewissen literarischen Erfolg verholfen. Das weiß auch Dominik Bardow, ehemaliger Sportredakteur des Tagesspiegels und bekennender Eintracht-Frankfurt-Fan. Dass er mit dem Roman »Trainingslager« das Thema Fußball bedient, ist daher einigermaßen mutig, aber vielleicht auch Ausdruck einer gewissen Verzweiflung. Mit seiner bitterbösen Satire gibt er all jenen Raum, die den allmählichen Untergang des »Jogo Bonito« betrauern.
So nennen Brasilianer den Fußball nämlich: das »schöne Spiel«. Und ein Brasilianer ist es auch, um den sich dieser Fußballkrimi letztlich dreht. Doch jener Jimmi ist kein Garrincha, kein Pelé und kein Ronaldo (nein nicht Cristiano Ronaldo!!). Er taugt bestenfalls noch als schlechtes Abziehbild eines großen Fußballers und wird dadurch zum Sinnbild für den Untergang des schönen Spiels.
Und darum geht es: Der desolate »HauptStadtClub« hat in den österreichischen Alpen sein Trainingslager aufgeschlagen. Dort wird der heruntergekommene und meist betrunkene Sportreporter Holle Schneise Zeuge einer Entführung. Eben jener Jimmi, wichtigster Spieler des Clubs, wird offenbar verschleppt. Holle macht sich mit Jimmis Verlobter Amira Brösel auf die Suche nach dem Verschwundenen. Die beiden Jäger nach dem verlorenen Fußballer geraten dabei in ein wahnwitziges Netz von Lügen und Intrigen, in dem schnell alles Sportliche und alles Menschliche auf der Strecke bleibt, weil nur noch der Kommerz regiert.
Mit viel Wortwitz und Sarkasmus jagt Bardow seine beiden Hauptprotagonisten von einer irrsinnigen Situation in die nächste. Das ist oft amüsant bis komisch, doch bisweilen bleibt einem das Lachen dann doch im Halse stecken. So überdreht die Handlung manchmal daherkommt, so sehr schimmert auch immer wieder durch, was den Fußball kaputt macht. Vieles wird dem Kenner der Materie bekannt vorkommen. Doch Situationen und handelnde Personen sind meist aus verschiedenen Versatzstücken zusammengefügt, so dass das Buch eher ein Kaleidoskop ist als ein Schlüsselroman, auch wenn es sehr verlockend ist, Bezüge zur realen Welt herzustellen.
Der Roman ist nicht nur ein Abgesang auf den Fußball, wie er einmal war, sondern auch auf die Medien, ohne die der Profifußball gar nicht denkbar ist. Hier sprengt das Buch auch den Rahmen des Fußballromans und wird zur Gesellschaftskritik. Beklemmend zeigt es den Bedeutungsverlust der klassischen Medien, die mehr und mehr von digitalen und sozialen Medien ersetzt werden und ihre Deutungshoheit verlieren oder gar freiwillig für ein paar Klicks aufgeben.
So ist »Trainingslager« nicht nur ein Buch für eingefleischte Fans des runden Leders. Auch überzeugte Vertreter der fußballfernen Bildungsschichten werden ihre Freude daran haben – und sei es nur, weil sie alle ihre Klischees bestätigt sehen. So lustig das Buch auch geschrieben ist, am Ende fällt einem vielleicht doch noch das Wort des großen Bill Shankly ein: »Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.«
Dominik Bardow
Trainingslager
Klappenbroschur
336 S., 20,00 €
Carpathia Verlag
ISBN 978-3-98630-020-3
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Die Buchpremiere findet am 13.10. um 19 Uhr im Backbord statt.
Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2023.