Grünendämmerung in Kreuzberg

Pascal Meiser (Linke) gewinnt das Direktmandat im Wahlkreis 82

Pascal Meiser, im Hintergrund der U-Bahnhof Kottbusser TorPascal Meiser zieht wieder in den Bundestag ein – erstmals über ein Direktmandat. Foto: Marshl Ceron

Seitdem Hans-Christian Ströbele 2002 erstmals den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost gewinnen konnte (das erste Grüne Direktmandat überhaupt), war der Wahlkreis fest in Grüner Hand. Ströbeles Nachfolgerin Canan Bayram konnte 2017 und 2021 an den Erfolg anknüpfen.

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar trat jetzt Katrin Schmidberger, die seit 2011 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses ist, für die Grünen an. Mit respektablen 30,6 % der Erststimmen musste sie sich jedoch Pascal Meiser von der Linken geschlagen geben, der 34,7 % holen konnte. Drittplazierte ist Carmen Sinnokrot (SPD) mit 13,1 %. Meiser war bereits 2017 und 2021 im Wahlkreis angetreten und hatte sich beide Male mit dem zweiten Platz hinter Canan Bayram begnügen müssen. Über die Landesliste konnte er in beiden Jahren dennoch in den Bundestag einziehen. Die Wiederholungswahl in einem Teil der Berliner Wahlbezirke im Februar 2024 kostete ihn dann allerdings wegen schlechter Ergebnisse für die Linke und einer insgesamt geringen Wahlbeteiligung sein Mandat.

Da Schmidberger und Sinnokrot jeweils nur auf Platz 10 ihrer jeweiligen Landesliste gesetzt waren, ziehen sie nicht in den Bundestag ein, so dass Kreuzberg, anders als in den Jahren 2009 bis 2024, nur noch mit einem Wahlkreisabgeordneten vertreten ist.

Auch bei den Zweitstimmen ist die Linke stärkste Kraft im Bezirk (31,7 %, +13,1 %-Pkt.), während die Grünen herbe Verluste hinnehmen mussten (25,9 %, -5,9). Es folgen mit einigem Abstand SPD (13,4 %, -4,2), CDU (9,3 %, +1,3), AfD (7,2 %, +2,3) und FDP (2,8 %, -2,4).

Die Wahlbeteiligung im Wahlkreis 82 lag dieses Jahr bei 82,7 %, das sind 4,4 %-Punkte über dem Berliner Durchschnitt und 4,3 %-Punkte über dem Wert der Wahl in 2021.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2025 (auf Seite 1).

Landeswahlleiter rät von Briefwahl ab

Vorgezogene Bundestagswahl mit neuem Verfahren zur Sitzverteilung

Der Deutsche BundestagVoraussichtlich 630 Sitze im Bundestag sind am 23. Fe­bru­ar zu vergeben. Foto: Bernardo Ferreria / Pixabay

Nach dem Bruch der Ampelkoalition und dem Scheitern der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz findet die nächste Bundestagswahl bereits am 23. Februar (und nicht, wie regulär geplant, am 28. September) statt. 

Bei der Zuteilung der Sitze im Bundestag kommt ein 2023 beschlossenes, neues Verfahren zur Anwendung. Erstmals wird den mit der Erststimme im Wahlkreis gewählten Direktkandidat*innen mit den meisten Stimmen nur dann ein Sitz zugeteilt, wenn das Wahlergebnis durch einen entsprechenden Zweitstimmenanteil gedeckt ist. Wer taktisch wählen will, muss also unter Umständen ein wenig umdenken. Hier stellen wir die Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten der wichtigsten demokratischen Parteien kurz in einem Steckbrief vor.

Ob es wie 2021 wieder zu einem Wahlchaos kommen wird, bleibt abzuwarten, aber immerhin findet nicht gleichzeitig eine Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. Damals fehlten teilweise ausreichend Stimmzettel, und es bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Der am Wahlsonntag stattfindende Berlin-Marathon mit seinen großflächigen Straßensperren hatte die Situation zusätzlich erschwert.

Unterdessen nähert sich die Nachfrage nach Briefwahl der 50-Prozent-Marke, teilte Landeswahlleiter Stephan Bröchler mit. Sie werde damit immer mehr zum Normalfall. Da die Briefwahlunterlagen erst ab 10. Februar verschickt werden können, rät Bröchler dazu, vorzugsweise im Wahllokal zu wählen, um keine Probleme mit den Postlaufzeiten des Wahlbriefs zu bekommen. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Unterlagen direkt im Briefwahllokal abzugeben. Kreuzberger müssen dafür ins Rathaus in die Frankfurter Allee 35/37 in Friedrichshain. Die Briefwahlstelle hat montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr geöffnet (am 21.2. bis 15 Uhr), zusätzlich am Samstag, 15.2. von 8 bis 14 Uhr. Hier kann die Briefwahl online beantragt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2025 (auf Seite 1).

Die Qual der Wahl?

Die Direktkandidat*innen aus dem Wahlkreis 82 stellen sich vor

Während mit der Zweitstimme bei Bundestagswahlen vor allem eine Partei gewählt wird, geht es bei der Erststimme um ganz konkrete Personen. Die wohnen in aller Regel der Fälle selbst im jeweiligen Wahlkreis und kennen damit (hoffentlich) auch die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse, mit denen man sich dort herumschlägt. Wer das Mandat erringt, ist auch nach der Wahl in gewisser Weise direkter Ansprechpartner für die Bewohner des Wahlkreises.

Wir haben deshalb die Bewerberinnen und Bewerber der wichtigsten demokratischen Parteien aus dem Wahlkreis 82 (Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost) gebeten, sich kurz und knapp vorzustellen. Gelegenheiten, die Personen hinter den Steckbriefen kennenzulernen, gibt es insbesondere während des Wahlkampfs reichlich – mehr erfährt man über die Social-Media-Kanäle der Kandidat*innen.

Sven Hoffmeister

Sven HoffmeisterSven Hoffmeister. Foto: Johannes Höhr (Hoehr Media)
Fahrrad –|––––––––– ÖPNV
Tee –––––––|––– Kaffee
süß ––|–––––––– salzig
Couch ––––––––|–– Party
Meer –––––|––––– Berge
TV ––––––––––| Streaming
Name:
Sven Hoffmeister
Alter:
37
Partei:
FDP
Meine Freizeit in Kreuzberg verbringe ich am liebsten mit
Besuchen des BKA Theaters oder einem Besuch beim Restaurant Felix Austria.
Hier sehe ich Kreuzberg in zehn Jahren:
Kreuzberg hat heute schon eine lebendige Kulturszene und viele kreative Menschen. In 10 Jahren könnte sich das weiter verstärken. Vielleicht wird Kreuzberg noch mehr zu einem Zentrum für Start-ups, Künstler und digitale Unternehmen, die neue Ideen entwickeln und umsetzen.
Mein Slogan für Kreuzberg:
Kreuzberg – Freiheit leben und lieben – für alle.
Instagram:
@svenforchange

Katrin Schmidberger

Portrait von Katrin SchmidbergerKatrin Schmidberger. Foto: Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin
Fahrrad –|––––––––– ÖPNV
Tee ––––––––|–– Kaffee
süß –––––––––|– salzig
Couch –––|––––––– Party
Meer ––|–––––––– Berge
TV –––––––|––– Streaming
Name:
Katrin Schmidberger
Alter:
42
Partei:
Bündnis 90/Die Grünen
Meine Freizeit in Kreuzberg verbringe ich am liebsten mit:
Im Sommer draußen Chillen mit Freund*innen – im Görli, am Landwehrkanal und auf dem Tempelhofer Feld. Im Winter mit Ausschlafen.
Hier sehe ich Kreuzberg in zehn Jahren:
Kreuzberg bleibt bunt, kämpferisch, solidarisch & offen. Jede*r hat ein sicheres Dach über dem Kopf und es gibt soziale Angebote für alle. Innenhöfe, öffentliche Plätze und Dächer sind grün.
Mein Slogan für Kreuzberg:
Die Häuser denen, die drin wohnen!
Instagram:
@schmidbergerkatrin
Twitter/X:
@kaddinsky
Bluesky:
@katrinschmidberger.bsky.social

Carmen Sinnokrot

Carmen SinnokrotCarmen Sinnokrot. Foto: Anna Spindelndreier
Fahrrad ––––|–––––– ÖPNV
Tee ––––––––––| Kaffee
süß –––––––|––– salzig
Couch ––––|–––––– Party
Meer |–––––––––– Berge
TV ––|–––––––– Streaming
Name:
Carmen Sinnokrot
Alter:
46
Partei:
SPD
Meine Freizeit in Kreuzberg verbringe ich am liebsten
spazierend durch den Viktoriapark bei Sonne und mit gutem Kaffee. Oder in einem der vielen kleinen tollen Buchläden.
Hier sehe ich Kreuzberg in zehn Jahren:
Wir sind immer noch bunt und eckig, halten zusammen. Die Mieten und die Nazis haben wir in den Griff bekommen.
Mein Slogan für Kreuzberg:
Kein Fußbreit dem Faschismus!
Instagram:
@carmensinnokrot
Bluesky:
@carmensinno.bsky.social
Mastodon:
@carmen@spd.social

Kevin Kratzsch

Kevin Kratzsch. Foto: Dustin Jobst
Fahrrad ––––––––|–– ÖPNV
Tee ––––––––––| Kaffee
süß ––––––––|–– salzig
Couch ––––––––––| Party
Meer ––|–––––––– Berge
TV ––|–––––––– Streaming
Name:
Kevin Kratzsch
Alter:
42
Partei:
CDU
Meine Freizeit in Kreuzberg verbringe ich am liebsten
am Paul-Lincke-Ufer, im Bergmannkiez und in der Markthalle 9.
Hier sehe ich Kreuzberg in zehn Jahren:
Als einen der vielfältigsten, lebendigsten und vielseitigsten Stadtteile Berlins. In dem hoffentlich Wohnen bezahlbar ist und man sicher durch die Straßen gehen kann.
Mein Slogan für Kreuzberg:
Individualität schützen, Innovation fördern, Kreativität erhalten
Instagram:
@kevkratzsch
TikTok:
@kevin_kratzsch

Pascal Meiser

Portrait Pascal MeiserPascal Meiser. Foto: Marshl Ceron
Fahrrad –––––|––––– ÖPNV
Tee |–––––––––– Kaffee
süß ––––––––|–– salzig
Couch ––––|–––––– Party
Meer ––––––|–––– Berge
TV ––|–––––––– Streaming
Name:
Pascal Meiser
Alter:
49
Partei:
Die Linke
Meine Freizeit in Kreuzberg verbringe ich am liebsten mit
meiner Fußballmannschaft, der Ü40 der FSV Hansa 07, mit der ich, wenn immer möglich, noch auf Punktejagd in der Altliga-Landesliga gehe.
Hier sehe ich Kreuzberg in zehn Jahren:
Ich hoffe sehr, dass dann noch viel von dem rustikalen Charme Kreuzbergs erhalten ist. Aber dafür werden wir uns gewaltig gegen die Macht des großen Geldes zur Wehr setzen müssen.
Mein Slogan für Kreuzberg:
Alle gehen nach rechts? Kreuzberg bleibt links: Löhne rauf, Mieten deckeln – dafür kämpfe ich!
Facebook:
@pascalmeiser361
Instagram:
@pascal.meiser.36

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2025 (auf Seite 14).

Bezirk plant Coffeeshop-Modellprojekt

Cannabis-Abgabestellen sollen im Sommer 2025 kommen

Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und Neuköllns Gesundheitsstadtrat Hannes Rehfeld unterzeichnen eine Absichtserklärung für das Modellprojekt.Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und Neuköllns Gesundheitsstadtrat Hannes Rehfeld unterzeichnen eine Absichtserklärung für das Modellprojekt. Foto: BA X-Hain

Gemeinsam mit dem Nachbarbezirk Neukölln plant Friedrichshain-Kreuzberg ein Modellprojekt, das die Auswirkungen der kommerziellen Abgabe von Cannabis wissenschaftlich untersuchen soll. Dazu wollen die Bezirke mit der Humboldt-Universität und der Sanity Group GmbH, einem Hersteller von medizinischem Cannabis, kooperieren. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde Mitte Dezember unterschrieben.

Volljährige Teilnehmende mit Wohnsitz in einem der beiden Bezirke und den notwendigen gesundheitlichen Voraussetzungen sollen die Möglichkeit erhalten, Cannabis legal an ausgewählten Verkaufsstellen zu erwerben. Voraussetzung ist die regelmäßige Teilnahme an wissenschaftlichen Befragungen, um wertvolle Erkenntnisse für die Forschung zu gewinnen. Die Weitergabe der gekauften Produkte an Dritte ist untersagt. Ergänzt wird die Studie durch eine Kontrollgruppe, die aus Mitgliedern eines lokalen Cannabis Social Clubs besteht. Der Studienzeitraum soll fünf Jahre betragen. Los geht es frühestens im kommenden Sommer, denn bevor das Projekt umgesetzt wird, bedarf es noch einer Genehmigung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Die Verkaufsstellen, von denen zwei bis vier geplant sind, sollen  auch »eine unkomplizierte Möglichkeit zur Intervention« schaffen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bezirks. Geschultes Fachpersonal soll dort Fragen der Studienteilnehmer beantworten und für Gespräche bei auffälligem Konsumverhalten zur Verfügung stehen. »Auf diese Weise können Teilnehmende frühzeitig auf unterstützende Beratungsangebote hingewiesen werden, um potenziell schädliche Konsummuster zu verhindern.« Ein Teil des Erlöses soll in bezirkliche Präventions- und Suchthilfemaßnahmen fließen.

Vergleichbare Projekte sind in Frankfurt am Main und Hannover geplant.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2025 (auf Seite 1).

Keine Auswirkungen auf die Bezirkspolitik

Oliver Nöll will nach Parteiaustritt Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister bleiben

Bezirksstadtrat Oliver Nöll (links) bei der Einweihung von Schließfächern für obdachlose Menschen. Foto: BA XHain

Die Berliner Linkspartei machte in den vergangenen Wochen mit prominenten Abgängen Schlagzeilen. Als Reaktion auf einen Eklat um einen Antrag zum Nahostkonflikt auf dem Parteitag im Oktober erklärten mehrere prominente Landespolitiker, unter ihnen Klaus Lederer und weitere ehemalige Senator:innen, ihren Parteiaustritt.

Am 30. Oktober ging der Exodus dann auf Bezirksebene weiter: Oliver Nöll, Bezirksstadtrat für Arbeit, Bürgerdienste und Soziales sowie stellvertretender Bezirksbürgermeister, veröffentlichte auf seinem Facebook-Account eine vierseitige Rücktrittserklärung, in der er seine Beweggründe ausführlich begründet. Er beklagt darin die mangelnde Politikfähigkeit seiner Ex-Partei, die sich zu einem »polittheoretischen Diskussionszirkel« wandle, ihre Widersprüchlichkeit bei der Positionierung zu außen- und friedenspolitischen Fragen sowie den Umgang der Parteiführung mit antisemitischen Tendenzen innerhalb der Partei.

Aber welche Auswirkungen hat der Parteiaustritt konkret auf die Bezirkspolitik? Die Mehrheitsverhältnisse in der BVV werden sich schon mal nicht ändern, da Oliver Nöll, wie auch die anderen Bezirksstadträte, keinen Sitz im Bezirksparlament hat. Zurückgetreten als Bezirksstadtrat ist er nicht, er hat dies, wie er der KuK gegenüber versicherte, auch nicht vor. Zwar gaben die beiden Vorsitzenden der Linksfraktion, Katja Jösting und René Jokisch, zu Beginn der BVV-Sitzung am 27. November eine persönliche Erklärung ab, in der sie Nöll zum Rücktritt aufforderten, aber ein Abwahlantrag wurde bisher von keiner der BVV-Fraktionen gestellt. Sollte das so bleiben, könnte er bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026 im Amt bleiben.

Und danach? Pläne, wie es weitergehen könnte, gibt es derzeit noch nicht. »Vielleicht mache ich mir in Richtung Frühjahr darüber Gedanken«, sagt Oliver Nöll.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2024 (auf Seite 1).

Heftige Kritik am Kreisverband

Canan Bayram begründet Rückzug

Hans-Christian Ströbele schiebt sein Fahrrad, daneben Canan BayramCanan Bayram (hier mit Amtsvorgänger Ströbele) will nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Foto: Grüne Fraktion Berlin, Oliver Feldhaus

Nach der Ankündigung von Katrin Schmidberger, bei der kommenden Bundestagswahl als Grüne Direktkandidatin für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost antreten zu wollen, hat sich jetzt die derzeitige Amtsinhaberin Canan Bayram zu Wort gemeldet.

»Nach gründlicher Prüfung habe ich mich gegen eine Kandidatur entschieden«, schreibt sie in einem Brief an die Bewohner des Wahlkreises. Ihr werde »immer weniger klar, wofür die Partei Bündnis 90/Die Grünen eigentlich steht«. Im Bundestag habe sie zwar – auch abweichend von der Fraktion – immer ihre eigene Überzeugung vertreten, Debatten würden aber »immer weniger inhaltlich geführt«, sodass es ihr schwerfalle, die getroffenen Entscheidungen nach außen zu vertreten. Die Fraktion nehme »weniger Menschenrechte als po­pu­lis­ti­sche Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit«. So laufe sie Gefahr, lediglich als »Feigenblatt« zu fungieren. Bei den Debatten zum umstrittenen Sicherheitspaket gehörte Bayram dann auch zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes der Grünen-Basis an die eigene Parteispitze, die den Kurs in Sachen Asylpolitik scharf kritisiert.

Bayram kritisiert indessen nicht nur Parteispitze und Bundestagsfraktion, sondern geht auch mit ihrem eigenen Kreisverband ins Gericht. »Der bündnis-grüne Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg hat sich stark verändert und ist nicht mehr so in dem Wahlkreis vernetzt, wie er es früher war und wie es für meine politische Arbeit notwendig wäre«, heißt es in dem Brief weiter. »Die Gewähr für diskriminierungsfreie politische Arbeit kann vom Geschäftsführenden Ausschuss nicht geleistet werden und damit ist eine für mich notwendige Voraussetzung nicht mehr gegeben. Ich unterstütze keine der Kandidaten bzw. Kandidatinnen und werde den Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg nicht im Wahlkampf unterstützen.«

Canan Bayram sitzt seit 2017 für die Grünen im Bundestag. Wie ihr Vorgänger Hans-Christian Ströbele, der das Mandat seit 2002 innehatte, war sie damit zunächst die einzige direkt gewählte Abgeordnete ihrer Partei.

Dass Bayram nicht mehr antreten will, war bereits seit einiger Zeit bekannt, die massive Kritik an der eigenen Partei überrascht jedoch – auch in Anbetracht der Tatsache, dass ihre designierte Nachfolgerin Katrin Schmidberger vergangenen Monat noch versichert hatte, parteiintern sei »alles schick«. Schmidberger ist von ihrer Partei mittlerweile jedenfalls mit 120 von 194 abgegebenen Stimmen zur Direktkandidatin des Wahlbezirks gewählt worden. Bis zum Ende der Legislatur wird Bayram das Amt weiter ausüben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2024 (auf Seite 7).

Bewerbung um die Grünen-Hochburg

Katrin Schmidberger will in die Fußstapfen von Hans-Christian Ströbele und Canan Bayram treten

Portrait von Katrin SchmidbergerKatrin Schmidberger will für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost antreten. Foto: Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin

Während es im Rest des Landes nach der Europa- und mehreren Landtagswahlen so schlecht um die Grünen bestellt ist, dass sich der Bundesvorstand der Partei genötigt sah, seinen Rücktritt zum November anzukündigen, geht der Bezirk ohne Weiteres als Grünen-Hochburg durch. Durchgängig seit 2002 gelang es zunächst dem 2022 verstorbenen Hans-Christian Ströbele und seit der Bundestagswahl 2017 Canan Bayram, das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost zu erringen. Jahrelang war er gar der einzige Grüne Wahlkreis überhaupt.

In diese Fußstapfen möchte nun Katrin Schmidberger treten, die seit 2011 für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Nachdem sie zunächst über die Lan­des­lis­te ins Parlament einzog, kandidierte sie ab 2016 erfolgreich als Direktkandidatin für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – und erreichte dabei stets über 40 Prozent der Stimmen.

Hans-Christian Ströbele schiebt sein Fahrrad, daneben Canan BayramDer Wahlkreis ist mit Hans-Christian Ströbele (2002, 2005, 2009, 2013) und Canan Bayram (2017, 2021) fest in Grüner Hand. Foto: Oliver Feldhaus

Bundespolitisch will sich Schmidberger vor allem mit dem Thema Mieten beschäftigen, auf das sie sich schon im Abgeordnetenhaus fokussiert hat. »Wir müssen den Berliner Wohnungsmarkt endlich wieder in faire Bahnen lenken«, erklärt sie. Mit dem Milieuschutz in fast allen Bezirken, mit dem Vorkaufsrecht, dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der Genossenschaftsförderung zum Ankauf von Wohnraum habe man zwar schon wesentliche Instrumente zum Einsatz gebracht. Dennoch habe sich die Lage für Mieter*innen weiter zugespitzt. »In den fast 13 Jahren als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses musste ich immer wieder feststellen, dass wir Städte zu oft politisch quasi ohnmächtig sind, Menschen wirklich vor Verdrängung zu schützen und Vermieter*innen zu angemessenem Wohnraum zu verpflichten.« Daher wolle sie die wohnungspolitische Wende gemeinsam mit den anderen Städten erkämpfen. »Wenn Berlin den Mietendeckel nicht selbst machen darf, dann müssen wir ihn für Berlin uns aus dem Bund eben holen.«

Doch zunächst einmal muss sich Schmidberger das Mandat und zuvor die Nominierung innerhalb ihrer Partei sichern. Die derzeitige Mandatsträgerin Canan Bayram war für ein Statement nicht zu erreichen, doch parteiinterne Zwistigkeiten scheint es nicht zu geben. Schmidberger versichert jedenfalls: »Ja, alles schick.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2024 (auf Seite 3).

Senat zieht Urbane Mitte Süd an sich

SPD wirft Florian Schmidt Verschleppung vor

Die Planungen zum Bauprojekt Urbane Mitte sorgen weiter für Ärger. Nun hat Bausenator Christian Gaebler (SPD) die Planungen an sich gezogen. Das stößt bei den Grünen und der LINKEN in der BVV auf heftigen Widerstand.

Das Projekt steht schon seit Beginn in der Kritik. Sieben Hochhäuser, von denen zwei 90 Meter hoch werden sollen, sind zwischen Technikmuseum und Gleisdreieckpark geplant. Einerseits stören sich die Gegner an der schieren Dimension der Urbanen Mitte, und dann vor allem daran, was da rein soll: Büros und Geschäfte. Wohnungen sind hier nicht vorgesehen.

Allerdings wäre es wohl auch zu Protesten gekommen, wenn es sich um Wohnprojekte handeln würde. Die Verschattung des Parks wird befürchtet und auch erhebliche ökologische Auswirkungen sind nicht auszuschließen.

Auf der Brache zwischen Ost- und Westgelände des Gleisdreieckparks soll das umstrittene Projekt Urbane Mitte entstehen. Foto: rsp

In der Planungsphase gelang es dem Bezirksamt, dem Bauträger einige kleinere Änderungen abzuringen. Doch ein Ende dieser Planungsphase war nicht abzusehen. Nun platzte dem zuständigen Senator offenbar der Kragen und er zog das ganze Verfahren an sich. Es entsteht eine Situation, die dem Bezirk nicht so ganz unbekannt ist. Auch die Planungen für die Mediaspree zogen sich immer weiter in die Länge, bis die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer 2008 das Verfahren an sich zog.

In der BVV stimmten nun die Grünen und die LINKEN gemeinsam für eine Resolution gegen das Vorgehen des Senators. Die SPD ent­hielt sich fast geschlossen. Einer der Genossen stimmte mit der CDU gegen die Resolution.

Das Abstimmungeverhalten der SPD erklärt sich wohl auch daraus, dass man mit Christian Gaebler keinen eigenen Genossen in einer schwierigen Koalition anschießen will. Grundsätzlich ist nämlich auch die SPD skeptisch, was das Projekt Urbane Mitte betrifft. Immerhin hoffen die Sozialdemokraten, dass die wenigen bereits besprochenen Änderungen erhalten bleiben und dass Gaebler das Rad nicht noch einmal auf Null zurückdreht. Gleichzeitig wirft die SPD Baustadtrat Florian Schmidt vor, mit seiner Hinhaltetaktik den Bausenator überhaupt erst auf den Plan gerufen zu haben.

Schmidt seinerseits bezeichnet die Urbane Mitte als ein »Aus der Zeit gefallenes Projekt« und vergleicht es mit den inzwischen obsoleten Planungen von Sig­na für den Karstadt am Hermannplatz.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 1).

Kaum Plakate für die wichtigste Wahl Europas

34 Parteien stellen sich zur Wahl

Ein Laternenpfahl mit drei Wahlplakaten für die EuropawahlNur dann und wann ein Wahlplakat: Die Parteienwerbung zur Europawahl wirkt fraktionsübergreifend eher lustlos. Foto: rsp

Am 9. Juni finden in Deutschland die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch wenn – oder auch gerade weil – die Europäische Union bisweilen im Ruf steht überzuregulieren, dürfte die Europawahl eine der wichtigsten Wah­len überhaupt sein. Ein großer Teil der Gesetze, die im Bundestag beschlossen werden, geht direkt oder indirekt auf Entscheidungen des Europaparlaments und des EU-Rats zurück. Und obwohl das Mitspracherecht des Parlaments in gerade aktuell so wichtigen Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik recht stark eingeschränkt ist, spielt es eine wichtige Rolle bei der politischen Meinungsbildung in Europa.

Umso erstaunlicher, dass sich die öffentliche Wahlwerbung der Parteien insbesondere in Kreuzberg in Grenzen hält. Natürlich hängen Wahlplakate an den Straßen, aber deren Dichte scheint doch erheblich geringer zu sein als bei Bundestags- oder früheren Europawahlen.

Ein Grund könnten die mehrfachen Wiederholungswahlen sein.

»Europawahlen sind in Hinblick auf die Motivation immer eine Herausforderung für die Parteien«, sagt Oliver Nöll (Linke), stellvertretender Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg und Bezirksstadtrat für den Bereich Arbeit, Bürgerdienste und Soziales. »Da wir in Berlin quasi Wahlen in Dauerschleife haben, ist das erst recht eine Herausforderung für die Parteien, die Mitglieder und auch die Parteikassen.«

Zur Wahl treten 34 Parteien an, mit Ausnahme der CDU/CSU jeweils mit einer gemeinsamen Liste für alle Bundesländer, so dass sich die Stimmzettel in den Ländern vor allem hinsichtlich der Reihenfolge der Parteien unterscheiden.

Wie immer ist es auch möglich zu wählen, wenn die Wahlbenachrichtigung nicht angekommen ist. Hier geht’s zur Wahllokalsuche des Landeswahlleiters.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2024 (auf Seite 1).

Zoff um den Görli-Zaun

Bezirk bereitet Klage gegen den Senat vor

Zaun statt Poller? Auf dieser Strecke soll später mal die M10 durch den Görli fahren. Wie sich das mit einem Zaun verträgt, ist noch unklar. Foto: rsp

Der Streit um eine Umzäunung und nächtliche Schließung des Görlitzer Parks spitzt sich zu: Nachdem die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) das Verfahren Ende März an sich gezogen hat, bereitet der Bezirk jetzt eine Klage dagegen vor – obwohl es Zweifel daran gibt, dass eine solche Klage in einer Einheitsgemeinde wie Berlin überhaupt zulässig ist.

Dem vorangegangen war ein Briefwechsel zwischen SenMVKU und Bezirksamt. Während die Senatsverwaltung unter Senatorin Manja Schreiner (CDU) darauf drängt, dass der Bezirk die auf einem Sicherheitsgipfel im September beschlossene Umfriedung des Parks umsetzt, argumentiert das Bezirksamt damit, dass es dem Zaunbau an einer rechtlichen Grundlage gebreche. Einerseits könne ein Ad-Hoc-Gremium wie der Sicherheitsgipfel gar keine verbindlichen Entscheidungen treffen, andererseits hapere es auch an einer belastbaren und rechtlich abgesicherten Finanzierungszusage. »Eine Auftragsvergabe, ohne dass entsprechende Mittel zur Verfügung stehen, ist mir rechtlich untersagt«, schreibt Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann in ihrem abschlägigen Bescheid an die Senatsverwaltung.

Dass der Bezirk sich bei den Zaunplänen querstellt, war im Hause Schreiner indessen längst klar. Schon vor Ablauf der knappen Frist, innerhalb derer sich der Bezirk zur Sache erklären sollte, hatte die Senatsverwaltung die landeseigene Grün Berlin GmbH mit der Planung beauftragt und bei einem Pressetermin ein Maßnahmenpaket angekündigt, zu dem auch die Umfriedung und nächtliche Schließung des Parks gehört. Explizit aufgeführt ist dort auch der Punkt »Vorbereitungen zum Eintritt des Senats nach AZG«, also das Ansichziehen der Angelegenheit, gegen das sich der Bezirk jetzt juristisch wehrt.

Was wird aus der M10-Planung?

Unklar ist, wie sich die nächtliche Absperrung des Görlitzer Parks mit einem weiteren Projekt der Senatsverwaltung verträgt. Laut Website von ­SenMVKU soll die Vorplanung für die beschlossene Verlängerung der Tramlinie M10 von der Warschauer Straße bis zum Hermannplatz noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Doch die »planerisch zu bevorzugende Streckenvariante« führt geradewegs durch den Park, namentlich auf der Achse Falckensteinstraße/Glogauer Straße. Die Pressestelle der Senatsverwaltung verweist darauf, dass es laut BVG »technisch gut umsetzbare Lösungen« für das Problem gäbe, bleibt eine konkretere Erklärung aber schuldig. Eine Änderung des vorgesehenen Streckenverlaufs werde jedenfalls »weder debattiert noch beplant«. Auch die Querung des Parks für den Rad- und Fußverkehr – parallel zur Tramstrecke sind entsprechende Wege vorgesehen – sei »als Thema längst im Blick.« Lösungen stünden »gleichwohl noch nicht fest, zumal die Realisierung einer Straßenbahntrasse erst lange nach der Evaluierung des genannten Modellversuchs stattfinden wird. Die Senatsverwaltung wird in jedem Fall versuchen, die Einschränkungen für den Rad- und Fußverkehr im Zuge einer möglichen nächtlichen Schließung des Parks so gering wie möglich zu halten.«

Bleibt abzuwarten, ob es zur nächtlichen Schließung überhaupt kommt. »Wir haben im Bezirks­parlament eine klare Beschlusslage, die sich gegen die Umfriedung und das nächtliche Abschließen ausspricht«, so Clara Herrmann.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2024.

Und nochmal an die Urne

In 18 Kreuzberger Wahlkreisen wird die Bundestagswahl wiederholt

Die kombinierte Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl im September 2021 verlief in vielen Berliner Wahllokalen ausgesprochen chaotisch. Nachdem im Februar 2023 wegen der zahlreichen Wahlpannen bereits die komplette Berlin­wahl wiederholt werden musste, hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden, dass in 455 der insgesamt 2.257 Berliner Wahlbezirke auch die Bundestagswahl wiederholt werden soll, und zwar am 11. Februar 2024.

Wahlbezirk(e) Wahllokal Adresse PLZ
124, 125 Adolf-Glaßbrenner-Grundschule Hagelberger Str. 34 10965
225, 226 Aziz-Nesin-Grundschule Urbanstr. 15 10961
201 Bezirksamt FK Schlesische Str. 27A 10997
128 129 Charlotte-Salomon-Grundschule Großbeerenstr. 40 10965
204 Fichtelgebirge-Grundschule Görlitzer Ufer 2 10997
217 Hermann-Hesse-Gymnasium Böckhstr. 36 10967
210, 213, 214 Hunsrück-Grundschule Manteuffelstr. 79 10999
223 Jugendtreff Drehpunkt Urbanstr. 44 10967
116 Leibniz-Gymnasium Schleiermacherstr. 23 10961
224 Lemgo Grundschule Böckhstr. 5 10967
208 Rosa-Parks-Grundschule Reichenberger Str. 64 10999
318, 320 Stadtteilzentrum des Kotti e.V. Oranienstr. 34 10999

In Kreuzberg sind 18 Urnenwahlbezirke sowie die dazugehörigen 28 Briefwahlbezirke betroffen (siehe Tabelle). Wer sich nicht mehr an die Nummer seines Wahlbezirks erinnert, kann auf der Seite des Landeswahlleiters nach seiner Adresse suchen. Wahlberechtigt sind die Personen, die zum jetzigen Zeitpunkt in den entsprechenden Wählerverzeichnissen stehen – also auch in den Monaten nach der Bundestagswahl zugezogene Menschen, nicht aber solche, die mittlerweile anderswo wohnen.

Gewählt wird wie gewohnt mit der Erststimme ein*e Direktkandidat*in und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei. Dabei stehen dieselben Personen zur Wahl wie zur Bundestagswahl 2021. Canan Bayram (Grüne), die mit großem Abstand das Direktmandat für den Wahlkreis 83 gewonnen hat, wird um dieses nicht bangen müssen. Anders sieht es beim Zweitplatzierten Pascal Meiser (Linke) aus, der bei einem deutlich schlechteren Abschneiden seiner Partei in Kombination mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung womöglich seinen über die Landesliste gewonnenen Sitz wird abgeben müssen. Cansel Kiziltepe (SPD), die ihr über die Landesliste ihrer Partei gewonnenes Bundestagsmandat mittlerweile zugunsten der Position als Berliner Senatorin für Arbeit und Soziales niedergelegt hat, steht ebenfalls wieder zur Wahl und müsste ggf. ihr Mandat ablehnen, wenn sie weiter Senatorin bleiben möchte.

Der Aufstand

Mehrheit der BVV straft Grüne beim Haushalt ab

Das Rathaus in der Yorckstraße mit dem BVV-Saal von außenDie Bezirksverordneten der Linken, der SPD und der CDU probten den Aufstand gegen die Grünen. Foto: psk

Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann war einigermaßen fassungslos. Über 50 Änderungsanträge waren für die Haushaltsvorlage eingegangen. 44 passierten die BVV meist gegen die Stimmen der stärksten Fraktion, die ihrerseits mit ihren eigenen Anliegen an den Fraktionen der LINKEN, der SPD und der CDU abprallte. 

Die Grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann war sichtlich angefressen und sprach von einer schwarz-rot-roten Koalition. Noch während der Haushaltsberatungen suchte sie Rat bei ihrer Vorgängerin Monika Herrmann, die das Geschehen auf der Pressetribüne verfolgte. Dort saß mit dem früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden Timur Husein ebenfalls ein altbekanntes Gesicht. Er nahm die Vorgänge eher schmunzelnd zur Kenntnis.

Was war da passiert? Wie die KuK aus den Reihen der BVV erfuhr, war das Vorgehen schon von langer Hand zuvor minutiös geplant worden. Die Fraktionsvorsitzenden und Haushälter der drei Fraktionen hatten sich unter größtem Stillschweigen getroffen und die Änderungen ausgehandelt. 

Dabei hatte es schon einen Warnschuss von der nicht involvierten FDP gegeben, die sich bereits eine Woche vor der Beratung öffentlich darüber beklagt hatte, dass nur die Etats der Grünen Bezirksstadträte wachsen, die der drei anderen gleich bleiben oder gar schrumpfen sollten.

Die Stadträte aber hüllen sich in Schweigen. Sowohl Andy Hehmke (SPD) als auch der stellvertretende Bezirksbürgermeister Oliver Nöll (LINKE) verwiesen auf das Prinzip: »Das Bezirksamt spricht mit einer Stimme«. Immerhin ließ sich Oliver Nöll auf Nachfrage ein erstaunliches Statement entlocken. Er lobte ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit dem neuen Bezirksstadtrat Max Kindler von der CDU im Bezirksamt.

AfD-Stimmen für die Grünen sind kein Thema

Gesprächiger zeigten sich da schon die BVV-Mitglieder, von denen aber keiner seinen Namen in der Zeitung lesen wollte. 

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde: Aber ich wünsche mir wirklich Monika Herrmann zurück«, heißt es von einem Mitglied der Linken. Ein anderer amüsiert sich über den Begriff schwarz-rot-rote Koalition: »Wenn das eine Koalition wäre, dann wäre sie ja wohl rot-rot-schwarz. Aber das Erstaunliche ist doch, dass es diese Zusammenarbeit gibt. Und das liegt einzig an den Grünen.«

Die Liste der Vorhaltungen ist lang: Immer wieder fallen die Worte »kompromissunfähig« oder »arrogant«. Besonders wird das an der Bezirksbürgermeisterin festgemacht. Diese, so heißt es aus SPD-Kreisen, reklamiere stets alle Erfolge aller Ressorts für sich. »Sie kann niemandem einen Erfolg gönnen«, lautet ein Vorwurf. Auch ihre Verlässlichkeit als politischer Partner wird mehrfach infrage gestellt. 

Dass sich niemand aus der BVV mit Namen zitieren lassen will, hat übrigens einen interessanten Grund. Man wolle ja weiter mit den Grünen zusammenarbeiten, heißt es. Die vermeintlichen Koalitionäre betrachten das Abstimmungsergebnis in erster Linie als einen Schuss vor den Bug und nicht als Abkehr von einer gedeihlichen Zusammenarbeit. 

Dass das ernst gemeint ist, mag eine kleine Petitesse am Rande zeigen. Während FDP und die PARTEI bei der Abstimmung gar nicht zugegen waren, hatten sich die Bezirksverordneten der AfD zumindest für kurze Zeit im Sitzungssaal eingefunden – und stimmten plötzlich jedesmal mit den Grünen, vermutlich in der Hoffnung, ihnen einmal über die Hürde zu helfen. Doch das ganz offensichtlich boshaft gemeinte Abstimmungsverhalten blieb ohne Erfolg. Wäre das nicht ein gefundenes Fressen für die angebliche Koalition gewesen? 

Doch aus der Ecke winken sie nur müde ab. »Den Grünen ist sicher viel vorzuwerfen, aber dafür, dass sich die AfD an sie rangehängt hat, können sie nun wirklich nichts.«

Vom Bürgeramt der Zukunft

Bezirk stellt Projekt in der Schlesischen Straße vor

Oliver Nöll, Martina Klement und Ernst BürgerDas Bürgeramt der Zukunft stellten (v.l.n.r.) Oliver Nöll, Martina Klement (Senat) und Ernst Bürger (Bundesinnenministerium) in der Schlesischen Straße vor. Foto: psk

Wenn es ein Symbol für die angeblich dysfunktionale Verwaltung in Berlin gibt, dann ist es der häufig frustrierende Versuch, einen Termin bei einem Bürgeramt zu bekommen. Von Wartezeiten von bis zu vier Monaten war schon die Rede, nur um an einen Personalausweis oder einen Reisepass zu kommen.

Als vor knapp zwei Jahren der heutige stellvertretende Bezirksbürgermeister Oliver Nöll als Stadtrat für Soziales auch noch die Bürgerdienste erbte, setzte er sich das ehrgeizige Ziel, den Stau auf den Bürgerämtern aufzulösen. Dieses Ziel scheint zwar noch nicht erreicht, aber immerhin ist der Plan soweit vorangeschritten, dass man nun der Öffentlichkeit »Das Bürgeramt der Zukunft« präsentieren konnte.

Mit im Boot bei diesem Projekt sitzen Bund und Land. Beide hatten Vertreter ins Ausbildungsbürgeramt in der Schlesischen Straße geschickt, wo vorgestellt wurde, wie das Bürgeramt der Zukunft aussehen soll. 

Doch um diese Zukunft sinnvoll zu gestalten, war es zunächst notwendig herauszufinden, woran es eigentlich hakt. Diese Aufgabe hatte das CityLab übernommen und dabei einige überraschende Erkenntnisse gewonnen. Unter anderem sind an den langen Wartezeiten auch Bürger schuld, die zwar einen oder möglicherweise auch mehrere Termine buchen, dann aber nicht erscheinen.

Dieses Problem wurde mit einem Check-in-System angegangen, das Oliver Nöll mit den bekannten Systemen auf einem Flughafen vergleicht. Das neue System wurde zunächst an zwei verschiedenen Standorten getestet.

Bearbeitungsplätze bekommen Fototerminals

Bürger, die nun zu einem Termin kommen, werden eingecheckt. Das spart Zeit, weil man nicht auf Kunden wartet, die gar nicht erschienen sind. »Sowohl im Ausbildungsamt in der Schlesischen Straße, als auch im Bürgeramt in der Yorckstraße konnten wir zehn Prozent mehr Termine in der Testphase abarbeiten«, berichtet Oliver Nöll, der aber auch noch an anderer Stelle Potenzial sieht, Zeit einzusparen. Oft seien die mitgebrachten Bilder für Ausweis, Pass oder Führerschein unzureichend. Bürger müssten dann wieder weggeschickt und ein neuer Termin vereinbart werden. Fest installierte Fototerminals sollen das in Zukunft vermeiden. Die Terminals werden in den nächsten Wochen zunächst in der Schlesischen Straße installiert.

Wer einen Personalausweis oder einen Reisepass beantragt, muss bislang zwei Termine vereinbaren: Einen für den Antrag und einen für die Abholung. In Zukunft sollen Bürgerinnen und Bürger nur noch zur Antragstellung einen Termin vereinbaren müssen. Abholboxen werden es ermöglichen, terminunabhängig an die Dokumente zu kommen.

Schließlich sind auch noch Terminals geplant, an denen Dienst­leis­tun­gen, etwa ein Führungszeugnis, direkt abgerufen werden können. Zum Teil ist das allerdings heute auch schon vom heimischen PC aus möglich.

Die Neuerungen sollen bis 2024 sukzessive eingeführt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2023.

Verkehrssenatorin stoppt Radwegebau

Finanzierung »vorläufig« ausgesetzt

Radstreifen entlang der Zossener Straße (Höhe Heilig-Kreuz-Kirche) mit einem RadfahrerVermutlich »vorläufig« nicht gefährdet: Radstreifen in der Zossener Straße. Foto: psk

Update: Bezirk bezweifelt Rechtmäßigkeit des Stopps / Radweg in der Stallschreiberstraße wird gebaut (s.u.)

Es fing an mit ein paar E-Mails: Mitte Juni teilte die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) den Bezirken mit, dass die neue Hausleitung – also Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) – darum bitte, geplante Radwegeprojekte auszusetzen, sofern dafür auch nur ein einziger Parkplatz oder ein Fahrstreifen für Autos wegfiele.

Schon einen Tag später ruderte Schreiner zurück: »nicht mehr als zehn Parkplätze auf 500m« seien einer Pressemitteilung zufolge dann doch akzeptabel, sofern Wirtschafts- und Lieferverkehr nicht erheblich beeinträchtigt würden und, weiterhin, keine Fahrstreifen wegfielen. Alle anderen Projekte würden »überprüft und priorisiert«.

Doch »priorisiert« heißt in dem Kontext: erstmal gestoppt.

In den Bezirken herrscht seitdem erhebliche Unsicherheit. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg könnten mehr als zehn Projekte betroffen sein, teilte das Bezirksamt auf Anfrage mit, jedoch ließe »die Kommunikation der SenMVKU sehr viele Fragen offen«.

Bei Projekten wie der Stallschreiberstraße dürfte die von der Senatsverwaltung formulierte Ausnahme für Maßnahmen gelten, die die Schulwegsicherheit erhöhen. Tatsächlich hat die Senatsverwaltung den Stopp für diesen Radweg am Dienstag zurückgenommen. Anderswo jedoch, etwa in der Urbanstraße und der Oranienstraße, ist fraglich, welche Zukunft die­se Projekte haben. Hier läuft die Vorplanung teilweise bereits seit Jahren. Doch mit der »Bitte« der Senatsverwaltung sei auch ein vorläufiges Aussetzen der Finanzierungszusagen verbunden, erklärte Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne). Ein entsprechendes Schreiben war dem Bezirk am 20. Juni zugegangen.

1,5 Millionen Euro drohen zu verfallen

Allein im Bezirk geht es um Gelder in Höhe von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro, die jetzt auf der Kippe stehen. Darunter sind vor allem Fördermittel des Bundes, die zu verfallen drohen, wenn sie nicht noch dieses Jahr ausgegeben werden oder wenn die von Senatorin Schreiner an­ge­kün­dig­te Überprüfung der Projekte zu größeren Umplanungen führt.

Ende Juni fand eine Gesprächsrunde zwischen Bezirksstadträten und Senatorin statt – zur Frage, wie konstruktiv die lief, gibt es jedoch sehr unterschiedliche Einschätzungen. Zuletzt hatten Verkehrsstadträte aus mehreren Bezirken der Senatorin ein Ultimatum gestellt, den allgemeinen Projektstopp zurückzunehmen und für Planbarkeit zu sorgen.

Rechtsamt bezweifelt Rechtmäßigkeit

Bereits vor einigen Tagen hatte Friedrichshain-Kreuzberg sein Rechtsamt mit einer juristischen Überprüfung des Radwegestopps beauftragt. Bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am heutigen Mittwoch wurde jetzt das Ergebnis verkündet. Demnach bestünden seitens des Bezirks Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Senatsverwaltung. Eine temporäre Außerkraftsetzung der Mittelzusagen gäbe die Landeshaushaltsordnung nicht her. »Wir haben einen geltenden Haushalt«, betonte Rolfdieter Bohm, Leiter des Rechtsamts. Der Doppelhaushalt sei vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden und sei so auch vom Senat und den Bezirken zu beachten. Wenn darin Mittel für Fahrradwege vorgesehen seien, so die Argumentation, könnten diese nicht einfach vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.

Zudem bestünde bei laufenden Ausschreibungen die Gefahr, dass sich das Land Berlin regresspflichtig mache, wenn die Ausschreibung wegen eines Aussetzens der Finanzierung gestoppt werde.

Eine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit vor Gericht prüfen zu lassen gibt es allerdings nicht. Berlin ist eine sogenannte Einheitsgemeinde, sodass die Bezirke keine eigenen Rechtspersönlichkeiten sind, die etwa gegen »das Land Berlin« klagen könnten. Von dem Ergebnis der Prüfung durch das Rechtsamt verspricht man sich allerdings eine weitere Argumentationsebene gegen die Senatsverwaltung, denn auch die könne kein Interesse daran haben, gegen Recht und Gesetz zu handeln.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2023.