Marcel Marotzke mahnt zur Besonnenheit
»Polizei warnt vor Horror-Halloween.« Ein wenig liest sich die Schlagzeile nach Saure-Gurken-Zeit, und fast rechne ich damit, dass als nächstes ein Seeungeheuer im Müggelsee entdeckt wird oder auf dem Berliner Ring ein Sack Reis umkippt.
Aber natürlich bezieht sich die Meldung nicht einfach nur auf die ganz normalen marodierenden Horden minderjähriger Plagegeister, sondern darauf, dass offenbar ein neuer Trend eingesetzt hat: die Verkleidung als maskierter Aufseher aus der recht brutalen koreanischen Netflix-Serie »Squid Game«. Die ist zwar erst ab 16 freigegeben, aber darf man sich nach gefühlt anderthalb Jahren Lockdown und mutmaßlich zigtausend Netflix-Neuabonnements ernsthaft wundern, wenn die lieben Kleinen das Programm für die Großen sehen?
Nun muss ich zugeben, dass ich nicht gerade ein ausgewiesener Halloween-Experte bin, was schon daran liegt, dass das Fest, als ich im Tätergruppenalter war, hierzulande noch weitgehend unbekannt war. Sternsinger soll es in meiner protestantischen Heimat zwar angeblich gegeben haben, aber die beehrten nur die rund 20 katholischen Haushalte. Und selbst Martins- oder Martinisingen war in meiner Gegend eher wenig verbreitet. Mit Heischebräuchen, wie sowas fachsprachlich heißt, kenne ich mich also gar nicht aus.
Was zum Beispiel erwartet einen arglosen Bürger Saures, wenn von ihm Süßes gefordert wird, er der Forderung aber nicht nachkommt? Exekution? Zahnpasta unter der Türklinke? Oder, noch schlimmer, böse Blicke der im Hintergrund versteckten Erziehungsberechtigten?
Allein das wäre ein guter Grund, eine amtliche Samhainophobie, eine Angst vor Halloween, zu entwickeln. Denn in einem Spiel, dessen Regeln du nicht kennst, kannst du nur verlieren. (Regelkenntnis alleine, das dürfte wohl die Lehre sein, die man aus besagter Netflix-Serie ziehen kann, führt allerdings auch nicht zwangsläufig zum Sieg.)
Was also tun im Angesicht minderjähriger Süßigkeitenjäger im roten Overall? Nun, zunächst einmal: sich informieren. Denn soweit ich die Konstellation in »Squid Game« verstehe, sind von den Aufsehern mit der schwarzen Fechtmaske ausschließlich Personen in grünen Trainingsanzügen bedroht. Also: Raus aus den Lockdown-Klamotten, und es besteht kein Grund zur Sorge!
Zweitens: nachdenken. Kann ein Mensch in Overall und Fechtmaske Süßigkeiten essen? Schwerlich. Muss ich also Süßes vorhalten? Natürlich nicht.
Und drittens: Synergien sehen. In Zeiten einer nach wie vor wütenden Pandemie, immer noch nicht nachgerüsteter Lüftungsanlagen in Schulen, nicht verfügbarer Impfungen für unter 12-Jährige und Herbstferien-Hochrisikogebietsheimkehrern, ist es da nicht praktisch, wenn zumindest ein Teil der kleinen Virenschleudern mit Vollgesichtsmaske von Tür zu Tür zieht? Also: Keine Panik vor komischer koreanischer Popkultur. »Gangnam Style« haben wir auch überlebt.