Bewerbung um die Grünen-Hochburg

Katrin Schmidberger will in die Fußstapfen von Hans-Christian Ströbele und Canan Bayram treten

Portrait von Katrin SchmidbergerKatrin Schmidberger will für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost antreten. Foto: Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin

Während es im Rest des Landes nach der Europa- und mehreren Landtagswahlen so schlecht um die Grünen bestellt ist, dass sich der Bundesvorstand der Partei genötigt sah, seinen Rücktritt zum November anzukündigen, geht der Bezirk ohne Weiteres als Grünen-Hochburg durch. Durchgängig seit 2002 gelang es zunächst dem 2022 verstorbenen Hans-Christian Ströbele und seit der Bundestagswahl 2017 Canan Bayram, das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost zu erringen. Jahrelang war er gar der einzige Grüne Wahlkreis überhaupt.

In diese Fußstapfen möchte nun Katrin Schmidberger treten, die seit 2011 für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Nachdem sie zunächst über die Lan­des­lis­te ins Parlament einzog, kandidierte sie ab 2016 erfolgreich als Direktkandidatin für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – und erreichte dabei stets über 40 Prozent der Stimmen.

Hans-Christian Ströbele schiebt sein Fahrrad, daneben Canan BayramDer Wahlkreis ist mit Hans-Christian Ströbele (2002, 2005, 2009, 2013) und Canan Bayram (2017, 2021) fest in Grüner Hand. Foto: Oliver Feldhaus

Bundespolitisch will sich Schmidberger vor allem mit dem Thema Mieten beschäftigen, auf das sie sich schon im Abgeordnetenhaus fokussiert hat. »Wir müssen den Berliner Wohnungsmarkt endlich wieder in faire Bahnen lenken«, erklärt sie. Mit dem Milieuschutz in fast allen Bezirken, mit dem Vorkaufsrecht, dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der Genossenschaftsförderung zum Ankauf von Wohnraum habe man zwar schon wesentliche Instrumente zum Einsatz gebracht. Dennoch habe sich die Lage für Mieter*innen weiter zugespitzt. »In den fast 13 Jahren als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses musste ich immer wieder feststellen, dass wir Städte zu oft politisch quasi ohnmächtig sind, Menschen wirklich vor Verdrängung zu schützen und Vermieter*innen zu angemessenem Wohnraum zu verpflichten.« Daher wolle sie die wohnungspolitische Wende gemeinsam mit den anderen Städten erkämpfen. »Wenn Berlin den Mietendeckel nicht selbst machen darf, dann müssen wir ihn für Berlin uns aus dem Bund eben holen.«

Doch zunächst einmal muss sich Schmidberger das Mandat und zuvor die Nominierung innerhalb ihrer Partei sichern. Die derzeitige Mandatsträgerin Canan Bayram war für ein Statement nicht zu erreichen, doch parteiinterne Zwistigkeiten scheint es nicht zu geben. Schmidberger versichert jedenfalls: »Ja, alles schick.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2024 (auf Seite 3).

Jürgen Enkemann – Ausgezeichnet!

Gründer des Kreuzberger Horns bekommt Silvio-Meier-Preis

Jürgen Enkemann bei den Feierlichkeiten zum 25. Jubiläum des Kreuzberger Horns. Nun ist er mit dem Silvio-Meier-Preis ausgezeichnet worden. Foto: privat

Jürgen Enkemann, Erfinder und Herausgeber des Magazins »Kreuzberger Horn«, wurde in diesem Jahr mit dem Silvio-Meier-Preis ausgezeichnet. Bürgermeisterin Clara Herrmann und der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Werner Heck würdigten die Arbeit des 86-Jährigen.

Der Publizist und Aktivist Jürgen Enkemann hat nicht nur ein Buch mit dem Titel »Kreuzberg – Das andere Berlin« geschrieben, er war und ist maßgeblich daran beteiligt, dass Kreuzberg auch anders bleiben wird. 1938 geboren, siedelte er nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie in Göttingen 1963 nach Berlin über. Nach der Promotion war er zunächst Assistent am Ins­titut für Englische Sprache und Literatur der Technischen Universität. Nach der Habilitation 1982 und universitären Lehraufträgen unterrichtete er Englisch an Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges. Von 1998 bis 2008 lehrte er in den Fächern Anglistik und Cultural Studies an der Universität Potsdam. Seit Jahrzehnten publizistisch tätig, war er u. a. Mitherausgeber der alternativen deutsch-englischen Zeitschrift »Hard Times«, verfasste zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften zu Themen wie Alternative Theatre und British Cinema und ist seit 1998 Herausgeber der Kiezzeitschrift »Kreuzberger Horn«. Seit den frühen 1960er Jahren in Kreuzberg im Kiez um die Großbeerenstraße beheimatet, war und ist Jürgen Enkemann nicht nur Zeitzeuge und Dokumentar von 60 Jahren Kreuzberger Geschichte, sondern als Mitbegründer und Mitglied zahlreicher kommunalpolitischer Initiativen in Kreuzberg auch deren aktiver Mitgestalter.

Über viele Jahrzehnte hinweg kämpft Jürgen Enkemann bereits gegen die Gentrifizierung und Kommerzialisierung ganzer Kieze, setzt sich aktiv für den Erhalt der Vielfalt in unserem Bezirk und für die Verständigung zwischen den verschiedensten Communities ein, die für ihn nicht nur ein theoretisch zentraler Begriff seiner Arbeit und seines Engagements sind.

Auch Kiez und Kneipe schließt sich den Glückwünschen an. In den letzten 20 Jahren war Jürgen für uns nicht nur ein geschätzter Kollege, sondern auch immer wieder eine Quelle der Inspiration für unsere Arbeit.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 5).

Kisch & Co kämpft gegen Verdrängung

Auch nGbK e.V. und Museum der Dinge sind mittelfristig bedroht

Kundgebung vor der Oranienstraße 25 in KreuzbergGut 150 Menschen demonstrierten Ende Juni für den Erhalt der Buchhandlung Kisch & Co. Foto: rsp

Gut 150 Menschen kamen Ende Juni zu einer Kundgebung vor der Oranienstraße 25 zusammen. Die dort seit 23 Jahren ansässige Buchhandlung Kisch & Co ist akut von Verdrängung bedroht. Nachdem Verhandlungen über eine Mietvertragsverlängerung mit dem neuen Hausbesitzer, einem anonymen luxemburger Immobilienfonds, gescheitert waren, steht der Buchladen seit Anfang Juni ohne Mietvertrag, aber dafür mit Räumungsaufforderung da.

Schon nach dem letzen Eigentümerwechsel hatten Buchhändler Thorsten Willenbrock und sein Kompagnon Frank Martens das Ende vor drei Jahren nur durch eine Mieterhöhung auf 20 Euro pro Quadratmeter abwenden können. Eine Verlängerung zu gleichen oder gar besseren Konditionen kam für den neuen Eigentümer offenbar nicht infrage. Dem ebenfalls im Haus ansässigen Architekturbüro kleyer.koblitz wurde jedenfalls eine Quadratmetermiete von 38 Euro angeboten.

Tatsächlich hatte man der Buchhandlung zwar eine leicht reduzierte Miete angeboten, verbunden aber mit dem definitiven Aus zum 31. Dezember – und einer Verschwiegenheitsklausel sowie der Verpflichtung, auf YouTube und gegenüber Politik und Presse Positives über das Entgegenkommen zu berichten – ein Ansinnen, das bei der Kundgebung für amüsiertes Kopfschütteln sorgte, als Willenbrock die Klausel verlas.

»Wir wollen uns nicht vertreiben lassen, wir wollen hierbleiben«, erklärte er unter Applaus und rief auch andere von Verdrängung akut bedrohte Gewerbemieter dazu auf, dem Beispiel der Buchhandlung nachzueifern.

Kommentar: Hauptsache nicht in aller Stille

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2020.

»bUm« statt Google Campus

Das Umspannwerk wird zu einem Haus für die engagierte Zivilgesellschaft

Kunstprojekt »Streetlife« im bUmDas Kunstprojekt »Streetlife« von Erik Sturm und Jugendlichen von KARUNA. Foto: bUm

Einst wollte Google das Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer selbst beziehen. Es wäre der weltweit siebte Google-Campus geworden, mit einem Betreuungsprogramm für Start-ups und einem Google-Café. Jetzt hat dort stattdessen das bUm eröffnet, ein Haus für die engagierte Zivilgesellschaft, in dem gemeinnützigen Organisationen und sozial engagierten AkteurInnen Raum zum Arbeiten geboten wird. Die Trägerorganisationen sind betterplace und Karuna, denen Google das Umspannwerk fünf Jahre mietfrei zur Verfügung stellt. Dass es dazu kam, ist ein Verdienst der organisierten Kiezbewohner Kreuzbergs.

Der Widerstand gegen einen Google-Campus in Kreuzberg wurde von Initiativen wie Bizim Kiez, Lause bleibt, GloReiche Nachbarschaft und Fuck Off Google geführt. Die Kritik wurde unter verschiedenen Gesichtspunkten betrieben. Für manche ist Google das Böse schlechthin, ein Überwachungskomplex und Datendealer. Für andere stand die Befürchtung einer beschleunigten Gentrifizierung im Mittelpunkt. Als das Beispiel für die Wohnraumaufwertung und Verdrängung, die Googles Einzug in eine Stadt oder Nachbarschaft auslösen kann, gilt ihnen San Francisco, wo steigende Mietpreise zu einer Obdachlosenkrise beitrugen. Wenn Kreuzberg gegen einen Google-Campus protestiert, protestiert es zum einen ganz konkret für den Bäcker an der Ecke, für den alten Schallplattenladen und dafür, dass langjährige Mieter nicht wegziehen müssen. Zum anderen protestiert es gegen Google als Symbol der Monopolisierung und der Überwachungsgesellschaft.

Nachdem zahlreiche Demos abgehalten, angeblich ein paar Kaffeebecher und Farbbeutel geworfen wurden und letzlich sogar die Baustelle am Umspannwerk besetzt wurde, gab Google den Plan eines Campus in Kreuzberg auf. Kurz darauf verkündete die Firma, dass das Umspannwerk der Spendenplattform betterplace und der Sozialgenossenschaft Karuna fünf Jahre mietfrei zur Verfügung gestellt werden würde. Statt einem Google-Campus und Inkubator für Start-ups sollte im Umspannwerk also ein Haus für soziales Engagement entstehen – das bUm.

bUm, so wurde auf der Eröffnungsfeier Anfang Oktober verkündet, steht für den Herzschlag der Stadt. Auf insgesamt 3000m², davon 1000m² Gemeinschaftsfläche, ist dort nun eine Art Coworking- und Eventspace für den sozialen Sektor entstanden. Fest eingezogen sind das betterplace lab, die Straßenzeitung Karuna Kompass und die Jugendinitiative MOMO Voice of disconnected Youth. Die restlichen 80 sogenannten flexiblen Arbeitsplätze werden langfristig sowie kurzfristig zu reduzierten Preisen an gemeinnützige Organisationen und sozial engagierte AkteurInnen vermietet. Ein reduzierter Tagespass kostet zum Beispiel 6 Euro, ein Monatspass 45 Euro. Mit dem Solipreis (15 bzw. 60 Euro) kann jeder dazu beitragen, dass auch Organisationen ohne nennenswertes Budget kostenfrei Räume nutzen dürfen. Auch profitorientierte Unternehmen können begrenzt Arbeitsplätze mieten, jedoch zu Normalpreisen.

Dass es keinen Google-Campus in Kreuzberg geben wird, wurde unterschiedlich aufgenommen. »Der 100-Milliarden-Dollar-Umsatz-Tech-Konzern aus Amerika ist vor ein paar Kreuzberger Nachbarschaftsaktivisten in die Knie gegangen«, stand als eine Hypothese bei der Zeit Online. Die taz zelebrierte es ebenfalls als eine »Kapitulation«. Der Fraktionschef der FDP im Abgeordnetenhaus dagegen nannte den Schritt eine »fatale Botschaft an alle zukünftigen Unternehmen und Investoren«.
Als die Aussicht auf einen Kreuzberger Campus endgültig vernebelt wurde, hatte Google den Mietvertrag bereits unterschrieben. Dass Google für das verlorene Investment in Imagekapital entschädigt werden möchte, liegt auf der Hand. Aber das sagt natürlich erstmal nichts über die Arbeit aus, die im bUm geleistet werden wird. Diese Arbeit erscheint sehr vielversprechend. Wer sich einen eigenen Eindruck machen will, kann jeden Mittwoch um 18 Uhr an einer Tour durch das Gebäude teilnehmen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Nach Farbbeuteln fliegen Steine

Der Protest gegen das Hotel »Orania« nimmt nicht ab

Ärger ums Hotel: das neue Orania. Foto: psk

Hier irrt die Bezirksbürgermeisterin: »Es hätten auch Luxuslofts sein können«, kommentierte sie das noble Hotel »Orania«, das seine Pforten im Sommer am Oranienplatz geöffnet hat und seither immer wieder Ziel unerfreulicher Aktionen ist. Mal fliegen Farbbeutel, zuletzt gar Pflastersteine.

Und warum irrt die Bürgermeisterin? Weil es natürlich ein Loft im Dachgeschoss gibt, das das »Orania« so bewirbt: »354 qm Loft im Dachgeschoss inklusive Orania.45 Suite + Orania.60 Juniorsuite + Orania.Salon, eigener Bar, Küche, Leinwand mit Beamer für TV & Kino, Steinway B Flügel, Bibliothek, offenem Kamin, 2 Esstische, drei franz. Balkone und große Fensterfront mit Balkon und herrlichem Ausblick über die Skyline von Kreuzberg & Berlin. Kapazität 10 bis 150 Personen.«

Wer es etwas kleiner mag, kann auch eine 86 Quadratmeter große Suite beziehen. Kostenpunkt 1889,25 Euro – pro Nacht. Das alles ist in einem Haus zu haben, in dem vor wenigen Jahren noch ein Discounter angesiedelt war, der am Ende aufgeben musste, weil er am 1. Mai immer wieder gerne mal ausgeräumt wurde.

Dass in Kreuzberg immer wieder Farbbeutel oder Schlimmeres gegen Gebäude fliegen, die für Gentrifizierung stehen, ist nichts Neues. Bisher war das Lieblingsziel das Carloft in der Reichenberger Straße. Vielen galt es als der Gipfel der spießbürgerlichen Dekadenz und Symbol für den Gentrifizierungs-Wahnsinn. Die Luxusherberge am O-Platz hat nun alle Möglichkeiten, den Carlofts den Rang abzulaufen.

Noch immer ist SO 36 der Hotspot für Spontis und Autonome. Sie betrachten einen Edelschuppen am Oranienplatz als Einbruch in ihr ureigenes Territorium. Nun besteht SO 36 nicht nur aus Autonomen und Spontis. Für gutwilligere Nachbarn gibt es regelmäßig Konzerte.

Der Besitzer, Dietmar Müller-Elmau wollte ganz bewusst ein Hotel im kreativen Zentrum Berlins. Dass er ausgerechnet auch noch Schloss Elmau besitzt, in dem 2015 der G7-Gipfel stattfand, macht die Situation nicht gerade einfacher. Gentrifizierungs- und Globalisierungsgegner gehen meistens Hand in Hand.

Gegner planen Daueraktionen

Über 200 Millionen Euro hatte das Spektakel in den bayerischen Alpen damals gekostet, der Löwenanteil ging dafür drauf, die Globalisierungs- und Gipfelgegner so weit wie möglich von Schloss Elmau fernzuhalten.

So ganz fern liegt der Gedanke da nicht, dass der eine oder andere nun vielleicht noch eine Rechnung begleichen will, die seit dem Sommer 2015 in seinen Augen noch offen ist.

Zunächst war das Hotel nur Opfer von Farbbeutelwerfern geworden. Mitte Oktober hat sich das Bild nun geändert. Erstmals wurden die großzügigen Scheiben mit Pflastersteinen attackiert. Für Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ein Unding. Sie sagt, der Kampf gegen die Gentrifizierung könne nicht mit Pflastersteinen vollzogen werden. Doch das wird die Gegner des Hotels am Oranienplatz kaum abschrecken, denn die hatten sich schon nach den ersten Farbbeutelwürfen mit Bekennerschreiben zu Wort gemeldet. Darin stellten sie Überlegungen an, wie sie den »Investor aus dem Kiez jagen können«. Auch von Daueraktionen ist schon die Rede.

Das Unbehagen über das Hotel Orania ist aber nicht nur bei Autonomen und Spontis groß. Auch viele Nachbarn fürchten die langfristigen Folgen für den Kiez, wovon etliche Plakate rund um den Oranienplatz zeugen.

Allerdings weist der Bezirk auch darauf hin, dass das ehemalige Kaufhaus lange leergestanden habe. Immerhin, so sagen viele, sei kein Hostel eingezogen. Die Zahl der Easy-Jetter sollte wohl in der Tat durch die neue Nobelherberge in Kreuzberg nicht steigen. Auch irgendwie ein Trost.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2017.

Sex in the Cinema

Das Pornfilmfestival Berlin feiert seinen 10. Geburtstag / von Robert S. Plaul

Cineasten gilt das Genre »Pornofilm« nach wie vor meist ähnlich viel, wie dem Literaturwissenschaftler der Groschenroman – irgendwie schon ein Bestandteil der Populärkultur, aber meistens nichts, worüber man sich großartig Gedanken machen müsste. Dass diese Einschätzung grundfalsch ist, zeigte erneut das mittlerweile zehnte Pornfilmfestival Berlin, das Ende Oktober wieder fünf Tage lang im Kino Moviemento gastierte.

»Nova Dubai« – Rauer Sex auf den Gentrifizierungsbaustellen São Paulos.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Nova Dubai« – Rauer Sex auf den Gentrifizierungsbaustellen São Paulos. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Schon der Name der Veranstaltung ist in gewisser Weise Provokation, Irreführung und Oberbegriff zugleich: Was hier gezeigt wird, ist eben nicht die uninspirierte und uninspirierende Standard-Schmuddelkost à la YouPorn & Co., sondern vielmehr eine facettenreiche Auseinandersetzung mit verschiedensten Formen der Sexualität. Feministische Herangehensweisen an das Thema finden sich hier ebenso wie künstlerisch-ästhetisch-experimentelle und dokumentarische sowie alle möglichen Kombinationen daraus.

»Wir hätten es auch ‚Festival der alternativen Sexualität‘ nennen können«, sagt Mit-Organisatorin Sirkka Möller gerne zu Leuten, die das Konzept noch nicht ganz verstanden haben und vielleicht etwas anderes erwartet haben, »aber wärst du dann gekommen?«

Tatsächlich sind viele gekommen, sehr viele sogar. Kaum eine Vorstellung ist nicht ausverkauft. Manche sind aus Neugierde da, die meisten aber wissen ganz offensichtlich schon, was sie erwartet. Viele Filmemacherinnen und Filmemacher sind anwesend und stehen nach den Screenings für Fragen aus dem Publikum bereit. Das besteht nicht nur seit Jahren zu gut 50 Prozent aus Frauen, sondern auch aus verschiedensten Altersstufen, irgendwo zwischen Student und Frührentnerin.

Die Filme und Kurzfilmprogramme sind im Programmheft mit Kürzeln versehen, um die Orientierung zu erleichtern. »X« und »NX« für explizites bzw. nicht-explizites Material, »D« für Dokus, »SW« für Sex Work. »H«, »L«, »S« und »T« stehen für »Hetero«, »Lesbisch«, »Schwul« und »Transgender«. Es ist ein wenig eigenartig, diese Schubladen zu sehen, hier beim Pornfilmfestival, das gerade davon lebt, eben nicht alles in Schubladen zu packen. Fast wirkt es wie eine Trigger-Warnung: »Achtung, wenn du in diesen Film gehst, wirst du dich vielleicht mit etwas auseinandersetzen müssen, das dir fremd ist.«

»Fuck the Police« nimmt die entsprechende Aufforderung wörtlich.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Fuck the Police« nimmt die entsprechende Aufforderung wörtlich. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Tatsächlich zwingen die meisten Filme zur Auseinandersetzung mit Ungewohntem – und sei es, gemeinsam mit fremden Menschen einen expliziten Pornofilm zu sehen. Doch die Stimmung bei den Aufführungen ist gelöst. Es wird viel applaudiert und gelacht – nicht verschämt, sondern herzlich – und das nicht nur in der »Fun Porn«-Kurzfilmkategorie.

Für die meisten Zuschauer ebenso ungewohnt ist zweifellos das diesjährige Schwerpunktthema »Sex und Behinderung«. Hier sei vor allem der beachtenswerte spanische Dokumentarfilm »Yes, we fuck!« von Antonio Centeno und Raúl de la Morena erwähnt, der Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen und ihren Umgang mit Sexualität portraitiert. Weil das Moviemento gerade für Menschen im Rollstuhl schlecht erreichbar ist, gibt es einige Sonderscreenings in barrierefreien Räumlichkeiten – keine wirklich befriedigende Lösung, aber immerhin ein Anfang, das wissen auch die Veranstalter. Aber irgendwie gehört das Moviemento, seit Jahren Spielstätte des Festivals, inzwischen auch fest dazu.

Fünf Tage lang wird das Kino auch zu einem Treffpunkt sexueller Sub-Kulturen. Hier wird niemand blöd angemacht, weil er auf das falsche Geschlecht steht oder komisch aussieht. Das ist ein krasser Gegensatz nicht nur zu der Welt draußen vor der Tür am Kottbusser Damm, sondern auch zu den weltweiten politischen Entwicklungen.

»Schnick Schnack Schnuck« erinnert an den Pornofilm der Siebziger und ist Hommage und Persiflage zugleich.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Schnick Schnack Schnuck« erinnert an den Pornofilm der Siebziger und ist Hommage und Persiflage zugleich. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Auch die sind Thema des Festivals. In Großbritannien beispielsweise ist seit Ende letzten Jahres der Vertrieb von Pornos verboten, die bestimmte BDSM-Praktiken zeigen oder auch nur weibliche Ejakulation. In Australien sieht die Lage noch düsterer aus für die Branche. In Deutschland gibt es außer dem Jugendschutzgesetz keine derartigen Vertriebsbeschränkungen – dafür drohen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern mit der geplanten Änderung des Prostitutionsgesetzes eine Zwangsregistrierung und weitere Gängelungen – von dem Protest dagegen (in der Berliner U-Bahn anlässlich des 40. Welthurentages) handelt der Kurzfilm »Underground Dance« aus dem »Political Porn«-Kurzfilmprogramm. Nicht erstaunlich ist es da, dass auch dem Gewinnerfilm des Festivals, »Nova Dubai« (→Trailer), ein höchst politisches Thema zugrundeliegt, nämlich die Gentrifizierung in einem Vorort von São Paulo.

Wenig überraschend geht der Preis für die beste Regie an Maike Brochhaus für ihren Film »Schnick Schnack Schnuck«, einen Film, der Hommage an und Persiflage auf den Pornofilm der Siebzigerjahre gleichermaßen ist und wie kaum ein anderer etwas vermittelt, das man bei allen gesellschaftspolitischen Diskussionen auch nicht geringschätzen sollte: Den Spaß am Sex, der – gerade vielleicht in der jüngeren Generation – keinen Halt macht vor Konventionen und Geschlechterbildern. Und das ist, ein knappes halbes Jahrhundert nach der sogenannten sexuellen Revolution, dann vielleicht auch einfach mal gut so.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2015.

Edel sei das Wohnen oder bezahlbar und gut

Gentrifizierungsdabatte über 4 Hektar auf dem Dragonergelände

Es sind meist kleine Schrauber, die dort untergekommen sind, ein Autohaus, eine Taxischule. Es ist nun nicht gerade die Perle Kreuzbergs. Aber eine ganze Menge steht unter Denkmalschutz, denn geschraubt wird hier auf historischem Boden.

Mitte des 19. Jahrhunderts war hier die Kaserne des 1. Dragoner-Garderegiments erbaut worden, und der repräsentativste Teil, die Soldatenunterkünfte, sieht heute noch ganz schick aus. Allerdings wohnen dort keine Soldaten mehr, sondern schon seit 90 Jahren das Finanzamt Kreuzberg am heutigem Mehringdamm.

Ein Filetstück im Innenstadtbereich, das irgendwann bebaut werden soll.

Foto: pskEin Filetstück im Innenstadtbereich, das irgendwann bebaut werden soll. Foto: psk

Doch um den Hinterhof geht es. 4,2 Hektar in Innenstadtlage, mehr oder minder unbebaut – da läuft jedem Immobilienschaffenden doch das Wasser im Munde zusammen – und wer damit nichts zu tun hat, aber in der Yorck- oder Großbeerenstraße wohnt, fängt schon reflexartig an, mit dem Zähnen zu knirschen.

Die Frontlinien sind klar. Für die einen ist es ein Filetstück, mit dem sich mal so richtig Kohle machen lässt, die anderen sehen darin eine heißersehnte Platzreserve für bezahlbaren Wohnraum für die wachsende Zahl jener, die aus dem Kiez verdrängt werden.

Im November hat man sich erstmals getroffen: Anwohner, Investoren, Stadtplaner, Bezirk und Senat. Das ist Teil eines »Dialogischen Planungsverfahrens«. So nennt das die Urbanitas, jenes Unternehmen, das vom Bezirks und der ABR German Real Estate beauftragt wurde, für möglichst wenig Nebengeräusche zu sorgen. Tatsächlich verspricht die Urbanitas, dass es hier im einstigen Belle-Alliance-Quartier »keine Stuttgarter Zustände« geben soll.

Die Bedenken der Investoren sind verständlich. Viele Skeptiker sind nämlich sauer, dass weder der Bezirk, noch das Land Berlin in der Lage waren, das Gelände selbst zu erwerben, um es dann dem sozialen Wohnungsbau zuzuführen.

Doch was wären sozialverträgliche Mieten? Baustadtrat Hans Panhoff spricht von 5,50 Euro, aber die Zahl acht wurde ebenfalls genannt.

Nur etwa 70 Prozent des Geländes soll für die Wohnbebauung genutzt werden. Das können Eigentumswohnungen, genossenschaftliche Projekte oder privat errichtete Mietshäuser sein. 30 Prozent ist für Gewerbemieter vorgesehen.

So richtig hat das viele an diesem Abend allerdings noch nicht überzeugt. Doch was nicht ist, kann ja noch kommen. Jedenfalls sind für das dialogische Planungsverfahren noch mehr Treffen geplant.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2013.

Helmut Metzner glaubt nicht an Gentrifizierung

Westerwelles Ex-Büroleiter verteidigt die FDP-Positionen in der Cantina Orange

Helmut Metzner lässt sich vom Blick des KuK-Redakteurs Robert S. Plaul und den kritischen Nachfragen des Publikums nicht beirren.

Foto: csHelmut Metzner lässt sich vom Blick des KuK-Redakteurs Robert S. Plaul und den kritischen Nachfragen des Publikums nicht beirren. Foto: cs

Friedrichshain-Kreuzberg ist ja nun nicht gerade als Hochburg der FDP bekannt. Und so bekundet Direktkandidat Helmut Metzner, er »kandidiere aus Solidarität mit der Idee der Freiheit, damit die Liberalen hier im Bezirk auch einen Ansprechpartner haben.« Immerhin hat er als Vierter auf der Landesliste zumindest bei einem sehr guten Abschneiden seiner Partei in Berlin die Chance auf einen Nachrückerposten.

Der 45-jährige Franke ist studierter Historiker und arbeitet derzeit als selbständiger Politikberater. Zuvor war er einige Monate als Büroleiter von Außenminister Guido Westerwelle tätig gewesen, musste dann aber nach der Wikileaks-Affäre seinen Hut nehmen.

Vor diesem Hintergrund liegt es natürlich nahe, dass die KuK-Redakteure Robert S. Plaul und Peter S. Kaspar im Redaktionsgespräch in der Cantina Orange auch auf das Thema NSA und Edward Snowden zu sprechen kommen. Metzner hätte sich einerseits gewünscht, dass Snowden seine Erkenntnisse vor einem amerikanischen Gericht dargelegt hätte, anstatt sich nach Russland abzusetzen, und hält andererseits dringend Vereinbarungen auf internationaler Ebene gegen die massenhafte anlasslose Datensammlung für nötig.

Kontrovers diskutiert werden Metzners Ansichten zum Thema Mieten und Verdrängung. Den Begriff Gentrifizierung lehnt er ab. Zwar seien die Mieten tatsächlich »in speziellen Kiezen sehr angestiegen«, aber die Herangehensweise, hier mit Verboten von Mieterhöhungen und Luxussanierungen hält er für falsch. Dass immer noch rund 10% der Berliner jedes Jahr umziehen, ist für ihn ein Zeichen dafür, dass es wohl noch genügend freie Wohnungen geben müsse, das sei zum Beispiel in München ganz anders. Er fordert, dass mehr Geld für Wohnungsneubau in die Hand genommen werde, allerdings nicht von staatlicher Seite aus, sondern von privaten Investoren, und dass dabei zugunsten von Wohnraum kein »Recht auf freie Aussicht« das Schließen von Baulücken verhindern dürfe. In speziellen Härtefällen könne ein kommunales Wohngeld, das zum Beispiel durch Einnahmen durch die Grundsteuer finanziert werden könnte, Abhilfe schaffen.

In anderen Fragen sind Metzners Ansichten deutlich kiezkompatibler. So hält er die Residenzpflicht für Asylbewerber für überholt und sieht auch keinen triftigen Grund, warum man Flüchtlingen das Arbeiten verbieten solle.

Das Thema Drogenhandel im Görlitzer Park könne sich von selbst erledigen, wenn der Verkauf von Cannabis ebenso wie der von Tabak staalich geregelt wäre. Davon abgesehen könnten Steuereinnahmen erzielt werden, und die personellen Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden könnten stattdessen für die Verfolgung »echter Krimineller« genutzt werden.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Cansel Kiziltepe möchte Stammwähler zurückgewinnen

Die Direktkandidatin der SPD zu Besuch im Gasthaus Valentin

Cansel Kiziltepe im Gespräch mit Peter S. Kaspar und Manuela Albicker.

Foto: rspCansel Kiziltepe im Gespräch mit Peter S. Kaspar und Manuela Albicker. Foto: rsp

Eine echte Eingeborene tritt in Kreuzberg für die Sozialdemokraten an. Cansel Kiziltepe ist im Wrangelkiez geboren und aufgewachsen. »Kiezkind« steht dann auch auf ihrem T-Shirt und den Buttons, die sie zum Redaktionsgespräch mit Peter S. Kaspar und Manuela Albicker von der KuK ins Gasthaus Valentin mitgebracht hat.

Die 37-Jährige hat an der TU Volkswirtschaft studiert. Nach mehreren Jahren als Büroleiterin und Referentin des Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner arbeitet sie jetzt für den VW-Konzern. Die Entscheidung für ihr Studienfach hat sie damals sehr bewusst getroffen. Teilhabe, Gerechtigkeit und die Verteilung zwischen Arm und Reich waren wichtige Themen im Kreuzberg der 80er Jahre. »Ich kann mit voller Überzeugung die Politik, die ich fordere auch ökonomisch untermauern«, sagt sie.

Sozialpolitik ist ihr Schwerpunktthema, und so nimmt es nicht wunder, dass das Redaktionsgespräch schnell beim Thema Mietenexplosion, daraus entstehender Verdrängung und möglichen Lösungsansätzen ankommt. Kiziltepe ist einerseits von Anfang an bei der Initiative »Kotti&Co« dabei, und ist andererseits von Beginn an Mitglied bei der Genossenschaft Möckernkiez. Damit steht sie für zwei verschiedene aber sich ihrer Aussage nach nicht widersprechende Ansätze, dem Problem der stetig steigenden Mieten entgegenzutreten. »Der Staat muss sozialen Wohnungsbau machen, aber auch Genossenschaften können einen Beitrag dazu leisten, das Mietniveau stabil zu halten«, ist ihre Überzeugung.

Die Forderungen der Flüchtlinge am Oranienplatz teilt sie in allen Punkten, aber eine Patentlösung für die Campingproblematik – gerade auch im Hinblick auf den bevorstehenden Winter – hat sie auch nicht parat. Auch für die Sorgen der Anwohner des Görlitzer Parks hat sie Verständnis und erinnert sich daran, als Jugendliche ohne Angst durch den dunklen Tunnel unter dem Görli gegangen zu sein. Da müsse man eine Lösung schaffen. Die Coffeeshop-Idee der Grünen hält sie für eine gute Idee.

Auf der Landesliste ist Kiziltepe für den fünften Platz nominiert. Ob das für den Einzug in den Bundestag reicht, liegt einerseits am Zweitstimmenergebnis und andererseits daran, wie viele Direktmandate die SPD in Berlin erreichen kann. »Ich könnte auch mit 40.000 Erststimmen Ströbele schlagen«, grinst sie verschmitzt. Sie hofft, mit ihren anderen Themen, die die Menschen im Kiez konkret berühren, Wählerstimmen für die SPD zurückzugewinnen. »Mein Nachname bedeutet ,roter Berg‘ – und Kreuzberg wird wieder rot«, lacht sie.

Und in welchen Ausschüssen würde sie im Bundestag arbeiten wollen? »Natürlich im Finanzausschuss – weil da auch die Gelder verteilt werden. Und dann kommen sie schön in den sozialen Bereich.«

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Der Kandidat der exklusiven Meinung

Kiez und Kneipe sprach mit dem CDU-Kandidaten Götz Müller

Gemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK.

Foto: csGemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK. Foto: cs

Ein wenig träumen wird ja noch erlaubt sein. Und so kann sich denn der CDU Kandidat Götz Müller vorstellen, dass er vielleicht doch den Wahlkreis erobern könnte, dann nämlich, wenn der unbesiegbar scheinende Hans-Christian Ströbele ganz viele Stimmen an die beiden Damen Wawzyniak und Kiziltepe verliert – dann könnte er als lachender Vierter da stehen. Daran glaubt er zumindest eher, als dass die Union eine so satte absolute Mehrheit erreicht, die ihn als zehnter auf der Landesliste noch in den Bundestag hieven würde.

Beim Treffen mit Kiez und Kneipe im »Galander« in der Großbeerenstraße macht Müller einen aufgeräumten Eindruck. Der Fraktionsvorsitzende seiner Partei in der BVV sieht sich dann auch mit jenen drei Aufregerthemen im Kiez konfrontiert, mit denen sich schon seine vier Mitbewerber auseinandersetzen mussten: Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Drogendealer im Görlitzer Park und Gentrifizierung. Bei den beiden ersten Themen kultiviert Müller eine sehr exklusive Meinung. Das Flüchtlingscamp ist für ihn unter anderem ein Grünflächenproblem, und die Forderungen der Flüchtlinge nach Abschaffung der Residenzpflicht und Arbeitserlaubnis teilt er erwartungsgemäß nicht. Gegen eine Arbeitserlaubnis spräche seiner Ansicht nach auch, dass damit ein weiterer Niedriglohnsektor eröffnet würde.
Dass Müller gegen einen Coffee-Shop am Görlitzer Park ist, überrascht nun niemanden. In Sachen Mietpreissteigerungen und Verdrängung weiß er sich einig mit seinem Kollegen von der FDP, Helmut Metzner. Das Rezept heißt bauen, bauen und nochmals bauen.

Damit sind alle Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien von der KuK in einem öffentlichen Redaktionsgespräch befragt worden. Doch weil’s so schön war, gibt’s noch eine Zugabe: Die Piraten schienen vor zwei Jahren schon fast sicher im Bundestag angekommen zu sein – und in die BVV haben sie es geschafft. Derzeit liegen sei bei Umfragen zwischen drei und vier Prozent. Ein Sprung ins Parlament scheint also noch möglich. Dazu und zu vielem anderen werden wir heute ab 19 Uhr im »Martinique» in der Monumentenstraße den Kandidaten der Piraten, Sebastian von Hoff, befragen.

Hier kann noch einmal der komplette Mitschnitt des Gespräches angehört werden. Leider ließen sich die typischen Bargeräusche im Hintergrund nicht vermeiden.

Die Volkswirtschaftlerin aus dem Wrangelkiez

Redaktionsgespräch mit der SPD-Kandidatin Cansel Kiziltepe

Aus dem Wrangelkiez in den Bundestag? Cansel Kiziltepe im Redaktionsgespräch mit der KuK.

Foto: rspAus dem Wrangelkiez in den Bundestag? Cansel Kiziltepe im Redaktionsgespräch mit der KuK. Foto: rsp

So etwas nennt man Standortvorteil. Auf dem T-Shirt ist es zu lesen, und auf den Buttons sowieso. Cansel Kiziltepe ist ein Kiezkind. Im Wrangelkiez groß geworden und dort auch sozialisiert, kennt sie die Probleme in SO36 nicht aus der Zeitung, sondern durch eigenes Erleben. Der Protest am Kottbusser Tor und die Initiative Kotti & Co. bekommen plötzlich einen Namen: Tante Hatice. Die Bundestagskandidatin der SPD spricht im Gasthaus Valentin über die Probleme ihrer Tante. Das hat etwas sehr intimes und authentisches – viel berührender, als das sperrige Wort Gentrifizierung.

Die 37-Jährige ist Volkswirtschaftlerin und weiß um die Exotik dieses Standes. Ihr sind aber die großen Zusammenhänge wichtig. Sollte sie in den Bundestag kommen, dann würde sie am liebsten in den Finanzausschuss gehen, erklärt sie. Doch wie stehen die Chancen von Cansel Kiziltepe? Die SPD hatte sie überraschend ohne Gegenkandidaten auf Rang fünf der Landesliste gehievt. Ob das reicht, liegt einerseits am Zweitstimmenergebnis und andererseits daran, wie viele Direktmandate die SPD in Berlin erreichen kann. Es gäbe ja noch einen anderen Weg in den Bundestag: Sie müsste ja nur Hans-Christian Ströbele schlagen. Kann sie das? Mit einem charmanten und etwas ironischen Lachen meint sie: »Na klar.« Doch im gleichen Atemzug versichert sie auch, dass Ströbele eine gute Arbeit mache. Respektlosigkeit oder Überheblichkeit ist ihre Sache nicht. Aber ihr Lächeln signalisiert auch: In ihrem wundersamen Kreuzberg gibt’s eben manchmal auch Wunder.

Hier ist der komplette Mitschnitt des Gesprächs mit Cansel Kiziltepe:

Das nächste Redaktionsgespräch – mit Götz Müller von der CDU – findet am Dienstag, dem 20. August um 19:00 Uhr im Galander inder Großbeerenstraße statt.

Ein Muntermacher zeigt Mut

FDP-Kandidat Helmut Metzner stellt sich in der Cantina Orange unbequemen Fragen

Ausnahmsweise ohne Fliege: FDP-Kandidat Helmut Metzner beim KuK-Redaktionsgespräch.

Foto: csAusnahmsweise ohne Fliege: FDP-Kandidat Helmut Metzner beim KuK-Redaktionsgespräch. Foto: cs

Dass es die FDP in Kreuzberg und Friedrichshain schwer hat, bestritt der liberale Kandidat Helmut Metzner nicht einmal. Er war am Dienstagabend zum Redaktionsgespräch mit der Kiez und Kneipe gekommen, um dort seine Haltung und die seiner Partei zu erklären. In vielen Feldern ist sie nicht gerade kiezkompatibel. So glaubt er zum Beispiel, dass das Gespenst der Gentrifizierung aus den Baukasten von „grünen und roten Weltuntergangspropheten“ stammt. So nennt er die SPD und Grünen-Kollegen in seinem Blog „Muntermacher“. Der Versuch, das Lieblingsproblem im Kiez einfach wegzudiskutieren, bringt ihm in Kreuzberg wenig Freunde und noch weniger Wähler. In der Cantina Orange dürften kaum neue dazu gekommen sein. Metzner setzt, wie seine Partei, in Sachen Wohnungsproblematik voll auf den Markt. Wenn sich Wohnumfeld und Mieterstruktur verändern, dann ist das halt so.

Bei anderen Dingen hingegen passen seine Vorstellungen sehr gut zum Kreuzberger Mainstream. Ein Coffee-Shop am Görli? Warum nicht? Und was das Flüchtlingscamp am O-Platz anlangt: Natürlich müsse das Problem schnell gelöst werden. Und es wäre einfach zu lösen, wenn die Residenzpflicht abgeschafft und die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge eingeführt würden.

Doch das half ihm letztendlich wenig. In der anschließenden, sehr munteren Diskussion war es natürlich seine Haltung zu Gentrifizierung, die die meisten Besucher engagiert kommentierten und hinterfragten.

Heute geht es weiter mit Halina Wawzyniak, um 19 Uhr im DODO in der Großbeerenstraße.

Hier der komplette Mitschnitt des Gesprächs mit Helmut Metzner:


Talk im Too Dark

Die Kiez und Kneipe sprach mit dem Grünen-Kandidaten Hans-Christian Ströbele

Gesprächsrunde im Keller. Hans-Christian Ströbele beantwortet die Fragen von KuK und Publikum.

Foto: philsGesprächsrunde im Keller. Hans-Christian Ströbele beantwortet die Fragen von KuK und Publikum. Foto: phils

In unserer Reihe der Öffentlichen Redaktionsgespräche haben sich die KuK-Redakteure Manuela Albicker und Peter S. Kaspar mit dem Grünen-Direktkandidaten Hans-Christian Ströbele unterhalten.

Groß vorgestellt werden musste der inzwischen 74-Jährige den zahlreichen Besuchern des Too Dark nicht. Vor elf Jahren hatte er überraschend das Direktmandat im Wahlkreis gewonnen und es zwei weitere Male verteidigt. Jetzt kandidiert zum vierten Mal. Doch was sagen seine jüngere Parteikollegen dazu? Die, so erklärt er, seien durchaus zufrieden mit seiner Kandidatur und hätten ihn schließlich auch mit über 90% gewählt. Sie wissen, dass der Erfolg auch sehr konkret an der Personalie Ströbele hängt und dass er sich nicht einfach durch jemand anderes ersetzen lässt.

Das mag unter anderem daran liegen, dass er den Eindruck vermittelt, sich nicht nur der Bundespolitik verschrieben zu haben. In Sachen Görlitzer Park schließt er sich der Forderung seiner Parteikollegin Monika Herrmann an, die einen Coffeeshop als Modellprojekt aufbauen will, um das Dealer-Problem in den Griff zu bekommen. Überhaupt setze er sich schon lange für die Legalisierung von weichen Drogen ein.

Ein anderes Problem, das den Kiez bewegt, sind steigende Mieten und die damit einhergehende Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern. Beim Redaktionsgespräch vor vier Jahren hatte sich Hans-Christian Ströbele für gesetzliche Mietobergrenzen eingesetzt. Die gibt es zwar nach wie vor nicht, aber immerhin gehörten solche Obergrenzen inzwischen auch zu den Forderungen der Bundeskanzlerin – zumindest in der Wahlkampfphase.

War es beim letzten Mal unter anderem um die Vorratsdatenspeicherung gegangen, so beschäftigt derzeit eine weitaus größere Datensammlung Bürgerrechtler und Politiker: 500 Millionen Datensätze soll die NSA von Bürgern gesammelt haben. Ob die tatsächlich auch deutsche Bürger betreffen, vermag auch Ströbele, seit Jahren als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremium zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste, auch nicht zu sagen. Allerdings verweist er darauf, dass es von Seiten der NSA nach Edward Snowdens Enthüllungen bislang auch kein Dementi gegeben habe.

Konkreter wird es dann, als ein Zuschauer die Frage nach einer möglichen schwarz-grünen Koalition stellt. Dafür sähe er keine Grundlage. Zwar höre man manchmal selbst bei der CDU Forderungen beispielsweise nach Mindeslohn, aber, so Ströbele, „Ich glaube doch nicht im Ernst, dass die CDU den Mindestlohn umsetzt.“

Ausführlicher werden wir in der September-KuK berichten, aber vorab kann hier schon unser Audio-Mitschnitt angehört werden. Leider kam es bei der Aufnahme zu einer technischen Panne, so dass wir an dieser Stelle nur die zweite Hälfte der Veranstaltung veröffentlichen können. Wir bitten, das zu entschuldigen und geloben Besserung.


Das nächste Redaktionsgespräch findet am heutigen Dienstag, 13. August in der Cantina Orange statt. Zu Gast ist der FDP-Direktkandidat Helmut Metzner. Los geht’s um 19 Uhr.

Fußball für Millionen

Nach Kaufkraft und Umfeld seien die neuen Tarife für die Fußballkneipen gestaffelt. Bei aller Gentrifizierung, aber dann müsste Kreuzberg inzwischen auf dem Niveau von Grunewald angekommen sein. Blödsinn. Hinter der Preispolitik des Münchner Bezahlsenders steckt doch etwas anderes. Seit Jahren gelingt es ihm nicht, sich in deutschen Wohnzimmern festzusetzen. Was in Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien geklappt hat, sollte doch auch in Deutschland funktionieren. Dass es hier nicht funktioniert, liegt daran, dass sich in Deutschland eine Kultur des Public Viewing entwickelt hat, wie es sie in anderen Ländern nicht gibt. Genau dieses Public Viewing bedroht das Pay-TV langfristig. Nur über Fußball kann Sky seine anderen Programminhalte unters Volk bringen. Das steckt hinter der Preispolitik.

In den USA bedeutet Public Viewing übrigens die öffentliche Aufbahrung eines Toten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2013.