Was wird aus dem Graefekiez?

Bislang 80 Parkplätze umgewidmet

Hölzerne Stadtmöbel auf einem ehemaligen Parkplatz; davor in zweiter Reihe ein AutoDiese Parkplätze sind jetzt eine »Kiez-Terrasse« – vor der in zweiter Reihe geparkt wird. Foto: cs

Seit rund einem Jahr läuft das »Projekt Grae­fe­kiez«, im Rahmen dessen ein Großteil der dort vorhandenen Parkplätze wegfallen beziehungsweise »umgewidmet« werden soll. Nachdem das ursprünglich für die Maßnahme angedachte Areal zunächst auf ein »Kerngebiet« (der L-förmige Abschnitt aus westlicher Böckhstraße und der Graefestraße bis zur Dieffenbachstraße) eingedampft wurde, stellt sich nun die Frage, wie es weitergehen soll. Konkret geplant sind bislang nur Durchfahrtsperren an der Schönleinstraße westlich des Hohen­stau­fen­plat­zes sowie die Einführung einer Park­raum­be­wirt­schaf­tung ab Oktober. Für weitere Maßnahmen fehlt es nach dem Wegfall von Senatsmitteln derzeit an Geld im Bezirkshaushalt.

Das dürfte vor allem diejenigen freuen, die die Reduzierung von Parkplätzen ohnehin mit Argwohn beobachten.

»Schon der Beginn der Maßnahmen hat zu einer Beschwerdelage bei mir geführt«, sagt Sozialstadtrat Oliver Nöll. Er würde sich wünschen, dass die Betroffenen, also insbesondere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Pflegebedarf, stärker in die Beteiligung mit einbezogen werden. »Eine sinnvolle Verkehrswende kann nur mit Akzeptanz der Menschen durchgeführt werden.«

Im erwähnten Kerngebiet sind bislang rund 80 Stellplätze weggefallen. Die Hälfte davon wurde entsiegelt und teilweise in Kooperation mit Anwohnern bepflanzt. 32 Parkplätze sind als Bereiche für Liefern und Laden ausgewiesen und dürfen nur noch halbstundenweise beparkt werden. Einige weitere werden als Parklets genutzt oder sind zu Fahrradstellplätzen umgewidmet worden.

Aber reichen die Kurzzeitparkplätze aus, um den Bedürfnissen etwa von Pflegediensten gerecht zu werden? An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister.

Bericht weist auf Kommunikationsprobleme hin

Gundel Riebe ist seit über dreißig Jahren im Berliner Mieterverein aktiv, sitzt im Vorstand der Seniorenvertretung und im Stadtentwicklungsausschuss des Bezirks. Sie glaubt nicht daran, dass wirklich alle Stimmen von Betroffenen gehört wurden. »Die Sauerei ist im Grunde genommen bei all diesen Sachen, dass die sogenannten Bürgerbeteiligungen im Prinzip nicht stattfinden«, sagt sie und denkt dabei auch an ähnliche Fälle in Friedrichshain, bei denen Befragungen im Rahmen von temporären Spielstraßensperrungen an Sonntagen stattgefunden hätten. Da sei es kein Wunder, wenn man nur positive Stimmen sammle.

Tatsächlich weist auch der Bericht des vom Bezirksamt mit der Bürgerbeteiligung beauftragten Vereins paper planes e.V. darauf hin, dass nicht immer alle Anwohner erreicht wurden. Zwar seien alle Altersgruppen bei den angebotenen Sprechstunden vertreten gewesen, jedoch nur wenige Personen mit Migrationshintergrund. »Da vor allem der südliche Teil des Graefekiez einen höheren Anteil an türkisch und arabisch sprechenden Menschen aufweist, wäre eine Person mit eben diesen Sprachkenntnissen erforderlich gewesen, die jene Bürger:innen spezifischer hätte abholen können«, heißt es in dem Bericht. Bezeichnend darin ist auch die Passage, in der es um die Kommunikation mit der Öffentlichkeit geht. Dabei sollte »eine neutrale Wortwahl bevorzugt werden, in der das Potenzial der Umgestaltung für die Anwohnenden ebenso berücksichtigt wird, statt nur den Verlust von Parkplätzen zu thematisieren.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2024 (auf Seite 1).

Wie geht’s weiter am Kotti?

Senat streicht Sondermittel für 2024, Quartiersmanagement wohl nur noch bis 2027

Die Gegend um das Kottbusser Tor gehörte zu den ersten in Berlin, in denen ab 1999 ein Quartiersmanagement eingerichtet wurde, das sich der diversen sozialen Herausforderungen des Kiezes annimmt. Doch obwohl das Quartier nach wie vor als problembelastet gilt, läuft das Quartiersmanagement, das derzeit mit jährlich 220.000 Euro finanziert wird, voraussichtlich Ende 2027 aus.

Kottbusser TorDas Kottbusser Tor steht vor einer Vielzahl sozialer Herausforderungen. Foto: rsp

Auch die Sondermittel in Höhe von 250.000 Euro, mit denen der Senat im vergangenen Jahr unter anderem gemeinwesenbezogene Sozialarbeit am Kotti unterstützt hatte, werden nicht verstetigt. Schon im Oktober hatte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann davor gewarnt, einzelne Projekte nur punktuell über Sondermittel zu finanzieren. Beim damaligen Runden Tisch sei man sich mit dem Land einig gewesen, »dass es einen umfassenden Ansatz mit sozialen Maßnahmen braucht«. Auch hätte der Senat nach dem Sicherheitsgipfel verkündet, mehr Geld für Sozial­arbeit und Gesundheitsangebote bereitzustellen.

Doch danach sieht es momentan nicht aus. Ein weiterer Runder Tisch im Juli habe »wenig neue Erkenntnisse gebracht«, zeigt sich Herrmann enttäuscht. »Das Bezirksamt und die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen haben von ihren Projekten und Maßnahmen berichtet. Von den Senatsverwaltungen war wenig zu hören. Weitere Gelder vom Land, wie die Sondermittel für den Kotti in 2023, wird es nicht geben.«

Mit den Geldern wurde vor allem aufsuchende Sozialarbeit durch zwei Teams des Trägers Fixpunkt e.V. finanziert. Zielgruppe waren obdachlose Menschen mit und ohne riskanten Substanzkonsum. Außerdem fungierten die Mitarbeiter als Ansprechpartner für Anwohner und Gewerbetreibende und arbeiteten eng vernetzt mit dem Quartiersmanagement zusammen.

19 von 32 Quartiersmanagementgebieten sollen Ende 2027 wegfallen

Die Quartiersmanagements wurden in Berlin  1999 im Rahmen des Programms »Soziale Stadt« (heute: »Sozialer Zusammenhalt«) etabliert. Ziel ist es, Gebiete mit »besonderem Aufmerksamkeitsbedarf« infrastrukturell zu unterstützen. Dabei geht es auch darum, lokale Einrichtungen und Akteure miteinander zu vernetzen und Orte der Integration zur Förderung der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe zu schaffen.

Im Quartiers­mana­ge­ment­gebiet »Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße«, das seit März 1999 besteht, leben rund 8000 Menschen auf sehr engem Raum, rund ein Drittel von ihnen bezieht Transferleistungen. Das im Zentrum des 38 ha großen Gebiets liegende Kottbusser Tor hat mit vielfältigen Problemlagen wie offenem Drogenkonsum und hoher Kriminalität zu kämpfen. Dazu kommen weitere Herausforderungen hinsichtlich des Wohnumfelds: So gehört es auch zu den Aufgaben des Quartiersmanagements, Verwahrlosung, Nutzungskonflikten und Zweckentfremdung entgegenzuwirken und Infrastruktur wie Spielplätze aufzuwerten.

Das Quartiersmanagement am Kotti ist eines von 19 von derzeit 32 Gebieten, in denen Ende 2027 die Förderverfahren enden. Auch die beiden übrigen Kreuzberger Quartiersmanagement-Gebiete, der benachbarte Wassertorplatz sowie der Mehringplatz, fallen aus der Förderung. Alle drei  Quartiere werden in der dreistufigen Skala der Interventionsgrade unter »Kategorie 1: Starke Intervention« geführt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2024 (auf Seite 1).

Engagiert trotz widriger Umstände

Quartiersrat fordert Sanierung der Friedrichstraße 1 bis 3

Der Garten des F1 lädt vor allem im Sommer zum Verweilen ein. Foto: rsp

Ende Juni hat sich der Quartiersrat des Meh­ring­platzes mit einem Brandbrief an den Senat gewandt. Der Kiez um den Platz habe sich zunehmend zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Jugend- und Drogenkriminalität grassierten hier ebenso wie Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen.

»Kaum ein Tag vergeht mehr ohne Polizeieinsatz, bei den Anwohner:innen wächst die Angst«, heißt es in dem offenen Brief. Schon heute habe das Viertel mit seinen rund 5.500 Bewohnern die schlechtesten Einschulungsuntersuchungsergebnisse im ganzen Bezirk. »Viele der hier lebenden Familien wohnen mit 5 bis 9 Personen in 2,5- bis 3-Zimmerwohnungen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche im Gebiet verbringen daher ihren gesamten Alltag außerhalb der Wohnung – ohne Geld, ohne Perspektive, voller Wut«, so der Quartiersrat weiter.

Als ganz entscheidenden Punkt zur Wiederherstellung des sozialen Friedens benennt der Brandbrief eine Ausweitung der Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Angebote für die Nachbarschaft. Doch die scheitere vor allem an der jahrelang verschleppten Sanierung des Gebäudekomplexes Friedrichstraße 1 bis 3, der die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung KMA sowie das Stadtteilzentrum F1 beherbergt. Aktuell gehe man von einer Sanierung frühestens 2032 aus.

Der Sanierungsrückstau des 50 Jahre alten Gebäudes ist allgegenwärtig. Foto: rsp

Im F1 wäre man schon froh über eine Instandsetzung. Die war eigentlich ab September 2024 geplant, muss jedoch nach KuK-Informationen mindestens bis Januar verschoben werden, weil die Finanzierung noch nicht steht. Wegen Schimmel und Wasserschäden sind hier bereits seit Längerem einige Räume gesperrt.

Eine unschöne Situation für das Stadtteilzentrum, dessen Konzept gerade darin besteht, Räume für Vereine und nachbarschaftliche Initiativen zur Verfügung zu stellen oder, wie Leiter Matthias Klockenbusch es formuliert, »Ideen, die von außen kommen, groß zu machen.«

Das gelingt dem F1 trotz der widrigen Umstände erstaunlich gut, wie ein Blick in den digitalen Raumplaner offenbart: In den acht derzeit nutzbaren Räumen treffen sich sieben Tage die Woche die verschiedensten Initiativen und Gruppierungen: Ob Chor, Sport- oder Theatergruppe, Mieter-, Frauen- oder Jugendtreffs, Nähgruppe, Repaircafé oder Deutschkurs – das Angebot ist durchaus beachtlich.

Viel Anklang findet die (Kleider-)Tausch­ecke, die vor rund anderthalb Jahren im vorderen »Willkommensbereich« eingerichtet wurde. Im Sommer lädt der riesige Garten zum Verweilen ein, montags bis freitags gibt es ein Nachbarschaftscafé.

Vor allem am Wochenende würde das F1 aber gerne noch mehr anbieten. Wer sich als Verein oder engagierter Nachbar einbringen und eigene Angebote schaffen möchte, findet die Kontaktdaten auf f1­-mehringplatz.de.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 3).

Jürgen Enkemann – Ausgezeichnet!

Gründer des Kreuzberger Horns bekommt Silvio-Meier-Preis

Jürgen Enkemann bei den Feierlichkeiten zum 25. Jubiläum des Kreuzberger Horns. Nun ist er mit dem Silvio-Meier-Preis ausgezeichnet worden. Foto: privat

Jürgen Enkemann, Erfinder und Herausgeber des Magazins »Kreuzberger Horn«, wurde in diesem Jahr mit dem Silvio-Meier-Preis ausgezeichnet. Bürgermeisterin Clara Herrmann und der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Werner Heck würdigten die Arbeit des 86-Jährigen.

Der Publizist und Aktivist Jürgen Enkemann hat nicht nur ein Buch mit dem Titel »Kreuzberg – Das andere Berlin« geschrieben, er war und ist maßgeblich daran beteiligt, dass Kreuzberg auch anders bleiben wird. 1938 geboren, siedelte er nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie in Göttingen 1963 nach Berlin über. Nach der Promotion war er zunächst Assistent am Ins­titut für Englische Sprache und Literatur der Technischen Universität. Nach der Habilitation 1982 und universitären Lehraufträgen unterrichtete er Englisch an Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges. Von 1998 bis 2008 lehrte er in den Fächern Anglistik und Cultural Studies an der Universität Potsdam. Seit Jahrzehnten publizistisch tätig, war er u. a. Mitherausgeber der alternativen deutsch-englischen Zeitschrift »Hard Times«, verfasste zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften zu Themen wie Alternative Theatre und British Cinema und ist seit 1998 Herausgeber der Kiezzeitschrift »Kreuzberger Horn«. Seit den frühen 1960er Jahren in Kreuzberg im Kiez um die Großbeerenstraße beheimatet, war und ist Jürgen Enkemann nicht nur Zeitzeuge und Dokumentar von 60 Jahren Kreuzberger Geschichte, sondern als Mitbegründer und Mitglied zahlreicher kommunalpolitischer Initiativen in Kreuzberg auch deren aktiver Mitgestalter.

Über viele Jahrzehnte hinweg kämpft Jürgen Enkemann bereits gegen die Gentrifizierung und Kommerzialisierung ganzer Kieze, setzt sich aktiv für den Erhalt der Vielfalt in unserem Bezirk und für die Verständigung zwischen den verschiedensten Communities ein, die für ihn nicht nur ein theoretisch zentraler Begriff seiner Arbeit und seines Engagements sind.

Auch Kiez und Kneipe schließt sich den Glückwünschen an. In den letzten 20 Jahren war Jürgen für uns nicht nur ein geschätzter Kollege, sondern auch immer wieder eine Quelle der Inspiration für unsere Arbeit.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 5).

»Ich habe immer viel das Maul aufgemacht«

Robert S. Plaul traf die LGBTQI-Aktivistin und Kulturvermittlerin Mahide Lein

LGBTQI-Aktivistin und Kulturvermittlerin: Mahide Lein. Foto: rsp

Vielleicht war es die evangelische Erziehung, die Mahide Lein schon als Kind zu so etwas wie einer Kämpferin für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung machte. Denn wenn Jesus alle Menschen gleichermaßen liebte, dann lag es ja nahe, dass auch Mahide einsprang, wenn jemand ungerecht behandelt wurde. »Das hat mich sehr geprägt, mich auch einzusetzen für Tabu-Themen. Und mir war auch oft egal, was andere von mir denken«, sagt sie. »Ich habe immer viel das Maul aufgemacht.«

1949 wird Mahide in Frankfurt am Main geboren, und außer ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn deutet noch wenig auf ihren bevorstehenden außergewöhnlichen Lebensweg hin. Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, arbeitet auch kurz in dem Job, studiert Politik und Religion. Doch bald fängt sie an, sich in der noch jungen alternativen Szene Frankfurts zu engagieren.

Es ist die Zeit der 68er-Bewegung, die Zeit von Hausbesetzungen, vor allem aber auch die Zeit der Frauen-/Lesbenbewegung. Mahide organisiert ein Kulturcafé für Frauen mit Konzerten, Ausstellungen und Diskussionen. Die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten ist eine Stärkung für ihre eigene lesbische Lebensweise. Sie gründet das erste Lesbenzentrum Frankfurts mit. Es ist auch ein Streben nach Sichtbarkeit in einer Zeit, in der vieles noch tabuisiert ist. »Wir hatten überlegt, ob wir an den Briefkasten ‚Lesbenzentrum‘ schreiben oder ‚L-Zentrum‘«, erzählt Mahide. Überhaupt geht es immer wieder um Tabus – und um Aufklärung. »Es gab damals noch kein Buch über weibliche Sexualität, also ein Aufklärungsbuch für Mädchen. Da war immer nur von Penissen und Kinder zeugen die Rede.«

Wegen der Liebe zieht Mahide 1977 nach Berlin. »Da war ja die Frauen-/Lesbenbewegung noch viel stärker. Es gab 44 Frauentreffpunkte in den 70ern/80ern.« Einer davon ist das »Kaffee Winterfeldt«, das Mahide im Kollektiv in einem von Frauen besetzten Haus betreibt. Später übernimmt sie den Künstlerinnentreff »PELZE-multimedia«, eine Art Nachtclub für Frauen.

1991 bietet ihr Rosa von Praunheim an, im Wechsel mit dessen schwulem TV-Magazin »Andersrum« ein lesbisches Magazin zu machen. Über zwei Jahre entstehen 27 einstündige Sendungen von »Läsbisch-TV«, die im Berliner Kabelsender FAB ausgestrahlt werden, bis der Sender beide Formate absetzt.

Doch Mahide belässt es nicht bei Frauen- und Lesbenthemen und auch nicht bei Berlin. Sie beginnt, auch mit Männern der Queer-Community zu arbeiten, organisiert 1992 den ersten Christopher-Street-Day Russ­lands in St. Petersburg, holt Musiker*innen nach Deutschland, veranstaltet das erste lesbisch-schwule Filmfestival und arbeitet beim Teddy Award, dem queeren Filmpreis der Berlinale, mit.

Der wohl größte Einschnitt in Sachen Horizonterweiterung ist ihre erste Afrikareise, die sie 1996 zusammen mit der Filmemacherin Sue Maluwa Bruce nach Sim­bab­we führt. »Da in Sim­bab­we habe ich angefangen, alle Menschen zu lieben.«

So zieht ihr multikulturelles Engagement, das in ihrer Event-Agentur AHOI-Kultur zusammenläuft, immer weitere Kreise: Mit Lama Gelek, Santrra Oxyd und Nina Hagen veranstaltet sie jahrelang eine Party zum tibetischen Neujahrsfest Losar. Auf der AHOI-Bühne, seit Mitte der 2000er fester Bestandteil des Bergmannstraßenfests bzw. Kreuzberg-Festivals, treten Künstler*innen aus aller Welt auf.

Und »alle Welt« kann man bei Mahide durchaus wörtlich nehmen: Über all die Jahre hat sie mit Menschen aus fast allen Ländern Afrikas und Asiens gearbeitet, mit Latinos und Americans, hat weltweit unzählige Konzerte und Festivals geplant und organisiert. Nur Australien fehlt noch in der Liste – aber das kann ja noch kommen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2024.

Und nochmal an die Urne

In 18 Kreuzberger Wahlkreisen wird die Bundestagswahl wiederholt

Die kombinierte Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl im September 2021 verlief in vielen Berliner Wahllokalen ausgesprochen chaotisch. Nachdem im Februar 2023 wegen der zahlreichen Wahlpannen bereits die komplette Berlin­wahl wiederholt werden musste, hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden, dass in 455 der insgesamt 2.257 Berliner Wahlbezirke auch die Bundestagswahl wiederholt werden soll, und zwar am 11. Februar 2024.

Wahlbezirk(e) Wahllokal Adresse PLZ
124, 125 Adolf-Glaßbrenner-Grundschule Hagelberger Str. 34 10965
225, 226 Aziz-Nesin-Grundschule Urbanstr. 15 10961
201 Bezirksamt FK Schlesische Str. 27A 10997
128 129 Charlotte-Salomon-Grundschule Großbeerenstr. 40 10965
204 Fichtelgebirge-Grundschule Görlitzer Ufer 2 10997
217 Hermann-Hesse-Gymnasium Böckhstr. 36 10967
210, 213, 214 Hunsrück-Grundschule Manteuffelstr. 79 10999
223 Jugendtreff Drehpunkt Urbanstr. 44 10967
116 Leibniz-Gymnasium Schleiermacherstr. 23 10961
224 Lemgo Grundschule Böckhstr. 5 10967
208 Rosa-Parks-Grundschule Reichenberger Str. 64 10999
318, 320 Stadtteilzentrum des Kotti e.V. Oranienstr. 34 10999

In Kreuzberg sind 18 Urnenwahlbezirke sowie die dazugehörigen 28 Briefwahlbezirke betroffen (siehe Tabelle). Wer sich nicht mehr an die Nummer seines Wahlbezirks erinnert, kann auf der Seite des Landeswahlleiters nach seiner Adresse suchen. Wahlberechtigt sind die Personen, die zum jetzigen Zeitpunkt in den entsprechenden Wählerverzeichnissen stehen – also auch in den Monaten nach der Bundestagswahl zugezogene Menschen, nicht aber solche, die mittlerweile anderswo wohnen.

Gewählt wird wie gewohnt mit der Erststimme ein*e Direktkandidat*in und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei. Dabei stehen dieselben Personen zur Wahl wie zur Bundestagswahl 2021. Canan Bayram (Grüne), die mit großem Abstand das Direktmandat für den Wahlkreis 83 gewonnen hat, wird um dieses nicht bangen müssen. Anders sieht es beim Zweitplatzierten Pascal Meiser (Linke) aus, der bei einem deutlich schlechteren Abschneiden seiner Partei in Kombination mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung womöglich seinen über die Landesliste gewonnenen Sitz wird abgeben müssen. Cansel Kiziltepe (SPD), die ihr über die Landesliste ihrer Partei gewonnenes Bundestagsmandat mittlerweile zugunsten der Position als Berliner Senatorin für Arbeit und Soziales niedergelegt hat, steht ebenfalls wieder zur Wahl und müsste ggf. ihr Mandat ablehnen, wenn sie weiter Senatorin bleiben möchte.

Benko hört die Signa-le

Zukunft von Karstadt am Hermannplatz erneut ungewiss

Niemand weiß genau, was die Zukunft für Warenhaus und Gebäude bereithält. Foto: rsp (Archiv)

Nach zwei Insolvenzverfahren innerhalb von nur drei Jahren (April 2020 und Oktober 2022) steht die Zukunft des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz (das seit einiger Zeit als »Galeria« firmiert) einmal mehr auf der Kippe. Medienberichten zufolge kämpft die Signa-Gruppe des österreichischen Inves­tors René Benko, die den Warenhauskonzern 2019 übernommen hat, seit Monaten mit Liquiditätsproblemen. Ende November hatte zunächst die Signa Real Estate Management Germany, die zur Immobiliensparte des Konzerns gehört, Insolvenz angemeldet. Am 29. November folgte dann der Insolvenzantrag der Holding-Gesellschaft. Benko selbst war am 8. November auf Drängen der wichtigsten Sig­na-Gesellschafter von seinem Amt als Beiratsvorsitzender der Signa Holding zurückgetreten.

Unklar ist jetzt insbesondere auch, was aus dem umstrittenen Pres­tigeprojekt des Konzerns am Hermannplatz wird. Signa plant hier einen Neubau des Karstadt-Gebäudes in historischer Art-déco-Anmutung, Kritiker befürchten Verdrängungseffekte. Derzeit entwirft der Senat hierfür einen Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren, der für eine enorme Wertsteigerung der Bestandsimmobilie sorgen dürfte. Möglich wäre, dass der angeschlagene Konzern dann lieber verkauft statt selbst zu bauen. Der Senat hatte dem sogenannten »vorhabenbezogenen Bebauungsplan« im Zuge der ersten Galeria-Insolvenz 2020 zugestimmt. Im Gegenzug hatte sich Signa verpflichtet, vier von einer Schließung bedrohte Warenhäuser in Berlin weiterzubetreiben – allerdings nur bis Januar 2024. Auch die zugesagte Kapitalspritze an die Warenhauskette ist bisher nicht erfolgt.

Seit Jahren Kritik an Neubau und Senats-Deal

In der Bezirkspolitik hatte sich schon früh Kritik an dem Bauvorhaben der Signa geregt. Bereits im August 2020 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Resolution verabschiedet, die sich gegen das Ansinnen des Senats wandte, das Planungsvorhaben am Hermannplatz an sich zu ziehen. In dem zwischen Senat und Signa vereinbarten »Letter of Intent« gäbe es »keinerlei Zusagen über den Behalt der jetzigen Verkaufsfläche von Karstadt in der Zukunft oder eine Garantie für die jetzigen Beschäftigten während der Bauphase«.

Vor einem Jahr – kurz nach dem zweiten Insolvenzantrag der Galeria und nachdem es zu Ermittlungen der österreichischen Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Personen und Verbände aus dem Signa-Umfeld  gekommen war – beauftragte die BVV das Bezirksamt, sich gegen den Neubau einzusetzen. Erneut wurde der Deal zwischen Senat und Signa kritisiert: »Öffentlich-rechtliche Verträge, die staatliche Verpflichtungen im Gegenzug zu sachfremden Leistungen garantieren, sind nicht ohne Grund verboten«, heißt es in dem Beschluss.

Zuletzt sprach sich die BVV im Juni gegen den Monumentalbau aus. Schon im vergangenen Jahr war es bei Hochhausbauarbeiten (eines anderen Investors) am Alexanderplatz zu einer Absenkung des Bahnhofs beziehungsweise der U2 um mehrere Zentimeter gekommen – mit den entsprechenden Auswirkungen auf den U-Bahnbetrieb. Die BVV fürchtet nun Ähnliches beim Karstadt-Neubau. Es bestünde die Gefahr, dass der Betrieb der Linien U7 und U8 und das Funktionieren des Verkehrsknotenpunkts Hermannplatz beeinträchtigt würden. Das träfe über 800.000 Fahrgäste pro Woche.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2023.

Die Quadratur des Viertelkreises

Städtebauliches Werkstattverfahren für den Block 616 gestartet

Blick vom Mehringplatz nach Nordwesten auf den Block 616. Foto: rsp

Nordwestlich des Mehringplatzes soll ein neues Stadtquartier entwickelt und gebaut werden. Das »Block 616« genannte Areal gehört zum Sanierungsgebiet Südliche Friedrichstadt und wird von der Wilhelmstraße (im Westen), Franz-Klühs-Straße (im Norden), Friedrichstraße (im Osten) und der Friedrich-Stampfer-Straße (im Süden) begrenzt.

Derzeit wird die Fläche dominiert von einem sanierungsbedürftigen Wohnhochhaus-Riegel, den die landeseigene Howoge kürzlich von einem Privateigentümer übernommen hat. Im Süden befindet sich ein wenig genutzter Parkplatz im Besitz der AOK Nordost und im Norden eine überhaupt nicht mehr als solche genutzte Parkpalette auf einem Privatgrundstück.

Insgesamt also viel Platz und viel Potenzial, aber auch viele komplexe Randbedingungen.

Um erstmal die städtebaulichen Möglichkeiten auszuloten, haben das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, die AOK und die Howoge als Kooperationspartner nun gemeinsam ein »zweistufiges städtebauliches Werkstattverfahren mit umfassender Beteiligung« für Block 616 gestartet.

Beteiligt sind auf jeden Fall schon einmal ganze vier Architekturbüros (zwei aus Berlin und je eins aus Zürich und Wien), beteiligt werden soll die Bevölkerung vor Ort, die bereits zu einer ersten sogenannten »StadtWERKSTATT« Anfang Juli 2023 auf dem Dragonerareal eingeladen war, die allerdings, vermutlich nicht nur wegen des warmen Sommerwetters, nicht besonders gut besucht gewesen sein soll, wie die Sanierungszeitung »Südseite« in ihrer Ausgabe 02/23 berichtete.

300 neue Wohnungen sollen im Quartier entstehen

Koordiniert wird das Verfahren ebenfalls von vier unterschiedlichen Akteuren, und am Ende soll ein sechsköpfiges Fachgremium über die Ergebnisse abstimmen.

Der Prozess wird ausgesprochen ausführlich und informativ, wenn auch leider nicht besonders übersichtlich, dokumentiert auf der Webseite »Baustelle Gemeinwohl«. Dort findet sich dann auch eine Zusammenfassung der bisher umrissenen Ziele der Entwicklung. Neben der Vorgabe des Bezirksamts »70% Wohnen, davon 30% belegungs- und mietpreisgebundener Wohnraum« stehen hier auch Klimagerechtigkeit, Erhöhung der Lebensqualität, Sicherheit und die Deckung von Bedarfen auf der Liste.

Bedarfe sind im angrenzenden Quartier bereits jetzt zur Genüge vorhanden. Sei es die Versorgungslücke mit Waren des täglichen Bedarfs seit der Schließung des EDEKAs am Eingang zur Friedrichstraße, seien es die baulichen Mängel und die personelle Unterversorgung der ohnehin bereits überbelegten Schulen im Einzugsgebiet. Das sind keine einfachen Voraussetzungen angesichts der von Bezirk und Land angestrebten zusätzlichen 300 Wohnungen im Block 616.

Hinzu kommt die Problematik, dass der Status der Südlichen Friedrichstadt als Sanierungsgebiet nur bis 2027 gesichert ist – aus diesem Grunde will der Bezirk parallel zum laufenden Verfahren einen Bebauungsplan erarbeiten, damit die Festschreibung der Nutzungsstruktur mit einem hohen Anteil an Wohnraum rechtlich abgesichert ist.

Wer sich informieren und einbringen möchte, kann dies über die Webseite »Baustelle Gemeinwohl« tun. Die nächste StadtWERKSTATT ist für den 12. Dezember angesetzt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2023.

Für Kinder und Erwachsene

Bei Anagramm gibt es Bücher für Menschen, die gerne denken

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sicherlich ein ganzes Stück langweiliger und dümmer. In dieser Reihe stellen wir Orte vor, an denen es Literatur zum Anfassen und Erleben gibt: Ob Belletristik, Sachbuch, Kochbuch, Lyrikband oder Fachbuch – Kreuzberger Buchhandlungen haben für jeden die passende Horizont­erweiterung im Angebot.

Die Buchhändlerinnen Sonja Marchewa und Katja Dotzauer zwischen Bücherregalen in der Buchhandlung AnagrammKennen den Geschmack der Nachbarschaft: Sonja Marchewa und Katja Dotzauer. Foto: rsp

Trotz ihrer Größe von rund 140 Quadratmetern droht die Buchhandlung Anagramm in der Trubeligkeit des Mehring­damms fast ein wenig unterzugehen. Was schade wäre – denn in dem geräumigen Ladenlokal findet sich ein sorgfältig kuratiertes Lektüreangebot für jedes Alter: Etwa die Hälfte der Titel machen Kinder- und Jugendbücher aus, womit die Buchhandlung, die 1976 (noch in der Großbeerenstraße) als »Kinderbuchladen Kreuzberg« gegründet wurde, gewissermaßen ihrer Tradition treu bleibt.

Wo anderswo die Titel der Spiegel-Best­seller­lis­te aufgereiht werden, präsentiert Anagramm eigene Favoriten: In den Büchern auf dem Tisch nahe dem Eingang stecken kleine Empfehlungskärtchen der drei Buchhändlerinnen, die ziemlich genau wissen, was die Kundinnen und Kunden aus der Nachbarschaft mögen.

Und was mag die Nachbarschaft? »Sie denkt gerne«, sagt Buchhändlerin Sonja Marchewa. Deshalb lasse man im Zweifelsfall auch »lieber mal eine Schmonzette weg«.

Ein Fokus des Ladens ist Feminismus, generell findet man bei Anagramm viel Literatur von Frauen. Neben deutschsprachiger Belletristik und Sachbüchern gibt es auch zwei Regale mit englischen Titeln – und eine Wand mit Graphic Novels.

Zweimal im Jahr präsentieren die Buchhändlerinnen ihre Empfehlungen in gebündelter Form bei Buchvorstellungsabenden. Außerdem finden regelmäßig – etwa einmal im Monat – Lesungen statt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2023.

Gebrauchte Geisteswissenschaften

Im Antiquariat Minx in der Bergmannstraße gibt es noch einige Buchschätze zu heben

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sicherlich ein ganzes Stück langweiliger und dümmer. In dieser Reihe stellen wir Orte vor, an denen es Literatur zum Anfassen und Erleben gibt: Ob Belletristik, Sachbuch, Kochbuch, Lyrikband oder Fachbuch – Kreuzberger Buchhandlungen haben für jeden die passende Horizont­erweiterung im Angebot.

Antiquar Rainer Minx zwischen vollen Regalen und Bananenkisten voller alter Bücher.Antiquar Rainer Minx zwischen vollen Regalen und Bananenkisten voller alter Bücher. Foto: rsp

Rund 25.000 Bücher dürften es sein, die in den Räumen des Antiquariats an der Ecke Bergmannstraße/Schenkendorfstraße auf neue Leser warten. Ganz so genau kann Rainer Minx, der das Geschäft seit 23 Jahren zusammen mit Mitinhaber Wilhelm Fetting betreibt, es nicht sagen; die Rechengröße des Antiquars ist die Bananenkiste – und von denen gibt es auf den rund 80 Quadratmetern etliche zwischen den vollen Regalen. Weitere Bestände finden sich in Minx’ Zweitladen ein paar Meter die Schenkendorfstraße hinauf sowie in einem weiteren Antiquariat in der Bücherstadt Wünsdorf in Brandenburg.

Auch wenn – auch und gerade unter den bei gutem Wetter vorm Laden aufgestellten Büchern – einige belletristische Titel und sogar Musik-CDs dabei sind, liegt der Fokus des Geschäfts doch eindeutig bei den Geisteswissenschaften: Theater und Kultur, Philosophie und Psychologie, Theologie, Judaica und eine ganze Menge Bücher, die sich mit Marxismus beschäftigen.

Das ist heutzutage, das sagt auch Rainer Minx, nicht gerade das, was sich besonders gut verkauft. Richtige Sammler gäbe es kaum noch, und jüngere Menschen würden gar nicht erst auf die Idee kommen, sich eine eigene Bibliothek aufzubauen.

Und doch gibt es immer wieder Menschen, die in dem Laden auf Entdeckungsreise gehen und den einen oder anderen Schatz heben – und damit den zynischen Fatalismus des passionierten Buchhändlers Lügen strafen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert!

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2023.

Zero Waste zum Zehnjährigen

Mittenwalder Straßenfest am 2. September feiert Jubiläum

Menschen und Stände auf dem Mittenwalder StraßenfestWie alles begann: Schon zum ersten Straßenfest in der Mittenwalder kamen 3000 Leute. Foto: phils

Vor zehn Jahren hatte der noch junge Verein mog61 – die Abkürzung stand damals noch für »Mittenwalder ohne Grenzen« – eine fast schon größenwahnsinnig anmutende Idee: Ein Straßenfest in der Mittenwalder Straße, von und für Nachbarn, mit großer Musikbühne, Essen, Getränken, Info- und Verkaufsständen von Vereinen, Initiativen, lokalen Unternehmen und Privatleuten. Monatelang hatte die Vorsitzende Marie Hoepfner zuvor mit dem Bezirk verhandelt, der eigentlich keine neuen Straßenfeste etabliert wissen wollte. Am Ende war es ein großer Erfolg: Die Polizei zählte 3000 Besucher zwischen Gneisenau- und Fürbringerstraße, und der Kiez ist um eine Institution reicher.

Und so feiert das Mittenwalder Straßenfest, dessen Name Außenstehende stets ein Event im Brandenburgischen vermuten lässt, dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum – nach drei Jahren Corona-Pause.

Neu ist in diesem Jahr, dass der Verein (der 2016 in »Miteinander ohne Grenzen« umfirmierte) das Fest soweit wie möglich klimaneutral und nach dem Zero-Waste-Prinzip veranstalten will. Die Planungen dazu laufen auf Hochtouren.

Dazu kommt Altbewährtes: Wie immer gibt es ein Live-Musikprogramm, u.a. mit Casino Gitano (Gypsy-Polka-Swing-Punk) und Barny Schlosser (Jazz, Soul, R&B und Rap).

Auch das 2018 etablierte Lesezelt, in dem Autoren aus unabhängigen Verlagen ihre Bücher vorstellen, feiert eine Neuauflage.

Außerdem gibt es Angebote der Polizei und der Freiwilligen Feuerwehr. Los geht’s am 2. September um 14 Uhr.

Buchhandlung mit Druckwerkstatt

Große Auswahl für minderjährige Literaturfans bei Krumulus am Südstern

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sicherlich ein ganzes Stück langweiliger und dümmer. In dieser Reihe stellen wir Orte vor, an denen es Literatur zum Anfassen und Erleben gibt: Ob Belletristik, Sachbuch, Kochbuch, Lyrikband oder Fachbuch – Kreuzberger Buchhandlungen haben für jeden die passende Horizont­erweiterung im Angebot.

Zwei Buchhändlerinnen von einem BücherregalBuchhändlerin Kerstin Hanne und Inhaberin Anna Morlinghaus. Foto: rsp

»Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß«, lautet der Zauberspruch, mit dem Pippi Langstrumpf und ihre Freunde Tommy und Annika dem Erwachsenwerden abschwören. Die Buchhandlung Krumulus (mit drei U und einem M) am Südstern bietet auf jeden Fall genug Material, um die Zeit des Nicht-Erwachsenseins gut zu überstehen: Bilderbücher, Vorlesebücher, Bücher für Erstleser, Kleinkinder und Jugendliche finden sich auf den rund 80 angenehm verwinkelten Quadratmetern ebenso wie Sachbücher, Comics und Hörbücher für junge Menschen – mitgebrachte Erziehungsberechtigte können solange in der Erwachsenenecke abgestellt werden, die eine kleine Auswahl an Bestsellern und aktuellen Titeln bereithält.

Doch die sorgfältig kuratierte Auswahl an Kinder- und Jugendliteratur ist nicht alles, was der 2014 eröffnete Laden zu bieten hat: Im hinteren Galerieraum gibt es regelmäßige Ausstellungen mit Illustrationen, bei denen immer eines oder mehrere Bücher im Mittelpunkt stehen. Dort findet auch der Vorlesesalon für Kitagruppen und Schulklassen statt, außerdem gibt es Lesungen, Buchpremieren, Theater und musikalische Angebote für Familien sowie den Buchclub für Menschen zwischen 8 und 18.

In der Druckwerkstatt im Keller werden darüber hinaus Workshops für Kinder und Jugendliche angeboten, bei denen zum Beispiel Siebdruck und Linolschnitt ausprobiert werden können. In der Stempelwerkstatt können in den Sommerferien eigene Stempel gestaltet werden.

Nixensolidarität

Skulptur im Viktoriapark in der Kritik

Ernst Herters Bronzeskulptur »Ein seltener Fang« im Viktoriapark: Ein Fischer ringt mit einer Meerjungfrau, die er aus dem Wasser gezogen hat. An der Skulptur lehnen diverse Pappschilder: »Jeden 3. Tag ein Femizid«, »Es fehlen 15.000 Frauen*hausplätzer«, »08000116016 Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen*«, »Instanbul-Konvention konsequent umsetzen«, »Schutzräume schaffen und erhalten«Ernst Herters Skulptur steht in der Kritik, sexualisierte Gewalt gegen Frauen zu verharmlosen. Foto: phils

»Jeden 3. Tag ein Femizid«, mahnt ein Pappschild, das an Ernst Herters Bronzeskulptur »Ein seltener Fang« hängt. Darunter ein Schild mit der Nummer vom Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (08000116016). Es ist nicht die erste Protestaktion gegen die Skulptur am Fuße des Wasserfalls im Viktoriapark. Zum Internationalen Frauentag am 8. März hatte die Initiative Nixen- und Meerfrauen*solidarität Blumen vor der Skulptur niedergelegt und mit einem Schild auf das Problem hingewiesen: »Gewalt gegen Frauen* ist keine Deko«.

Herters »seltener Fang« zeigt einen Fischer, der mit einer Nixe ringt, die ihm offenbar ins Netz gegangen ist. Die Meerjungfrau windet sich hilflos unter dem Griff des muskulösen Fischers und streckt dem Betrachter dabei unweigerlich ihren nackten Oberkörper entgegen.

Die Initiative sieht darin die Normalisierung von sexualisierter Gewalt. »Skulpturen wie diese lassen Übergriffe auf Körper von Frauen* normal und sogar dekorativ erscheinen«, so die Kritik. Insbesondere für Betroffene sei diese Darstellung im öffentlichen Raum unerträglich.

Tatsächlich fordert die Initiative nicht die Entfernung der 1896 entstandenen Bronze. Vielmehr wünsche man sich eine kritische Diskussion. »Ihre Wirkung soll durch eine künstlerische Intervention herausgefordert werden. Freiheit der Kunst heißt nicht, dass wir Kunst nicht kritisieren dürfen!« Auch wolle man keine Interpretation des Werks vorschreiben, wünsche sich aber Raum für die zusätzliche Interpretation, dass hier vergeschlechtlichte Gewalt normalisiert wird.

Unterstützung erfährt die Initiative durch einen Grünen-Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung. Die Fraktion fordert eine »kritische Kontextualisierung und/oder künstlerische Auseinandersetzung mit der unter Denkmalschutz stehenden Skulptur und der durch sie ästhetisierten sexualisierten Gewalt.«

Die Bronzeskulptur steht bereits seit Jahren in der Kritik, Bestandteil einer »Rape Culture« zu sein, also einer Kultur, die sexuelle Übergriffe verharmlost und legitimiert. 2019 hatten Aktivist*innen das Werk »feministisch umgestaltet«: Die Nixe bekam einen pinken Bogen spendiert, um sich des Übergriffs zu erwehren, ein Pfeil durchbohrte scheinbar den Kopf des Fischers. Darunter klärte ein Schild über die Intention auf: »Fight Rape Culture!«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2023.

Comeback zum 25. Jubiläum

Karneval der Kulturen lockt Hundertausende nach Kreuzberg

Tänzerinnen und Tänzer der Gruppe #WAS BEWEGT DICH beim Karneval der KulturenZum 25. Mal tanzte sich der Karneval der Kulturen durch Kreuzberg. Foto: phils

Es war fast wie früher – und dann doch irgendwie anders. Vier Jahre hatte der Karneval der Kulturen auf seine 25. Auflage warten müssen – und alle schienen froh, dass das bunte Treiben nach Kreuzberg zurückgekehrt ist.

Aber es war eben doch nicht ganz so wie früher. Dass der Zug am Pfingstsonntag gefühlt in die falsche Richtung unterwegs war, ließ sich ja noch leicht verschmerzen, zumal das Experiment schon beim letzten Karneval gewagt wurde. Ungewohnt war indes der Startpunkt: Gneisenaustraße Ecke Zossener Straße. Der Grund dafür war ein bitterer. Von den über 90 Gruppen vergangener Jahre sind gerade mal 48 übrig geblieben. 2.500 Menschen beteiligten sich an der Parade bis zum Hermannplatz. Das reichte immerhin für ein siebenstündiges Spektakel. So lange dauerte es, bis die letzte Gruppe die Grenzen von Neukölln erreicht hatte. Die Halbierung des Zuges fiel so gesehen gar nicht so richtig auf. 

Doch warum ist der Zug plötzlich so geschrumpft? Tatsächlich können sich viele Gruppen den finanziellen Aufwand nicht mehr leis­ten. In einem Interview mit dem rbb am Rande des Zuges erklärte Edson Marcelino da Rocha jr von der Furiosa Samba Band: »Mein Wunsch an die Politiker und die Investoren wäre, dass sie ein bisschen mehr uns unterstützen. Wir brauchen Platz und ein bisschen mehr Geld gehört auch dazu.«

Ein Wunsch, der bislang nach jedem Karneval geäußert wurde, aber offensichtlich bislang ungehört verhallte, wie die Halbierung der Gruppen beim Umzug vermuten lässt.

Und einfacher wird es nicht. Der Versuch, dieses Mal auf jegliche motorisierte Unterstützung zu verzichten, war zwar einerseits ein eindrucksvolles umweltpolitisches Statement.

Teilnehmer hoffen auf größere Unterstützung

Andererseits braucht es mindestens acht Leute, um einen großen Wagen durch den Umzug zu ziehen. Es könnte also sein, dass die Zahl der Wagen in Zukunft weiter abnehmen wird.

Während die Teilnehmer des Zuges mangelnde finanzielle Unterstützung beklagten, war manch ein Zuschauer am Straßenrand geschockt und besorgt um seine eigenen Finanzen. Zum Teil wurden für das KdK-Kultgetränk Caipirinha neun Euro aufgerufen. Eine simple Bratwurst war für fünf und eine Dose Bier für vier Euro zu haben.

Für Marie Höpfner, Vorsitzende von mog61 und Veranstalterin des Mittenwalder Straßenfests am 2. September, ein Unding. »Der Karneval der Kulturen ist ja auch ein multikulturelles Fest und dadurch auch ein Fest für Migranten. Viele von denen haben nur wenig Geld. Ausgerechnet sie können sich die Preise beim Karneval der Kulturen gar nicht mehr leisten.«

Die Kommerzialisierung und Professionalisierung des Festes, die schon 2019 mit dem neuen Veranstalter ihren Anfang genommen hatte, war auch dieses Mal Anlass zu manchen Diskussionen. Im Mittelpunkt  der Kritik standen neben den Preisen auch die ausgedehnten Straßensperrungen. Viele Besucher kamen nicht einmal zum Umzug durch, weil alle Zugänge gesperrt waren. Ärgerlich für viele Anwohner, etwa von Mittenwalder oder Zossener Straße. Sie bekamen nur Zugang zur heimischen Wohnung, wenn sie ihren Personalausweis vorzeigten. 

Am Ende wurden mehr als eine halbe Million Zuschauer auf dem Umzug gezählt. Am Ende waren die meisten froh, dass der Karneval zurück ist. Die Frage ist allerdings, für wie lange. In zwei Jahren wird das Straßenfest wegen Bauarbeiten auf dem Blücherplatz weichen müssen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2023.