Zwischen Unsicherheit und Hoffnung

Die Lebensrealität syrischer Geflüchteter in Kreuzberg

Foto von Abdulrahman, einem Geflüchteten aus SyrienAbdulrahman lebt seit neun Jahren in Berlin. Foto: mh

Seit mehr als einem Jahrzehnt herrscht in Syrien ein brutaler Bürgerkrieg, der Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat. Viele syrische Geflüchtete haben in Berlin, insbesondere in Kreuzberg, Sicherheit und die Chance auf einen Neuanfang gefunden. Hier fanden sie Unterstützungsnetzwerke, ein Gemeinschaftsgefühl und oft einen ersten Hoffnungsschimmer nach traumatischen Erlebnissen. Am 24. November 2024 wurde der syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt, ein Ereignis, das von vielen Unterdrückten als Befreiung empfunden wurde. Trotz dieser politischen Entwicklungen bleibt die Situation in Syrien angespannt.

In Deutschland sorgen Debatten über die Zukunft syrischer Geflüchteter, die Einstufung Syriens als sicheres Herkunftsland und mögliche Abschiebungen für Verunsicherung und Ängste in der Community.

Sollen oder wollen syrische Geflüchtete nach Syrien zurückkehren? Auch wenn die Lage dort nicht nur politisch, sondern auch emotional instabil ist?

In den letzten Wochen habe ich mit vielen syrischen Geflüchteten in Kreuzberg gesprochen. Wie vielfältig die Erfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven sind, zeigt dieser Blick in die syrische Community.

»Ich wünsche mir, meine Familie und meine Freunde wiederzusehen«, sagt Djamal, der 2015 nach Deutschland kam und in einem Restaurant arbeitet. »Aber das Syrien, das ich kenne, gibt es nicht mehr. Meine Angst ist zu groß, dass es instabil bleibt. Grundsätzlich würde ich dorthin reisen, um zu helfen. Voraussetzung müsste für mich allerdings sein, dass ich nach Deutschland zurückkehren könnte, falls die Verhältnisse dort sich wieder verschlimmern sollten.«

Die Altenpflegerin Amira betont, dass sie sich in Deutschland eine neue Existenz aufgebaut hat: »Ich sehe meine Zukunft hier. Zurückgehen wäre ein Risiko, das ich nicht eingehen möchte. Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut und bin integriert. Ich möchte Sicherheit für meine Kinder. Aber ich möchte auch den Menschen in Syrien helfen.«

Besonders eindrucksvoll war das Gespräch mit Abdulrahman, der die Meinung vieler syrischer Geflüchteter widerspiegelt. »Ich bin mir nicht sicher, ob Syrien jetzt wirklich so frei ist, wie ich es mir erhofft habe«, erzählt er in verständlichem Deutsch. »Sobald sich die Situation verbessert und Syrien ein demokratisches Land wird, in dem alle friedlich zusammenleben können, werde ich zurückkehren. Aber eigentlich ist die Situation noch unklar. Viele Länder mischen sich in Syrien ein und verfolgen ihre eigenen Interessen. Ob ich zurückkehren will oder nicht, kann ich im Moment nicht wirklich entscheiden.«

Auf die Frage, wie er sich in Deutschland fühlt angesichts der veränderten Situation und der rassistischen Stimmung, die Abschiebungen fordert, antwortet er: »In Berlin fühle ich mich sicher. Ich bin seit neun Jahren hier. Ich bin mit 16 nach Deutschland gekommen. Ich bin sozusagen hier aufgewachsen. Ich habe die Sprache gelernt. Ich bin hier in die Schule gegangen und ich habe vor allem viele Freunde gefunden. Die Menschen in Kreuzberg haben mir sehr geholfen, und dafür bin ich sehr dankbar.«

Ob er Kreuzberg als seine Heimat ansieht, frage ich ihn. »Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Kreuzberg meine zweite Heimat ist. Seit ich angekommen bin, lebe ich hier. Ich arbeite im sozialen Bereich im Nachbarschaftshaus und engagiere mich ehrenamtlich in Kreuzberg.«

Ein zentraler Punkt in den Gesprächen war die Bedeutung von Orten wie Kreuzberg für Geflüchtete. Für die syrische Geflüchteten-Community ist Kreuzberg nicht nur ein Zufluchtsort, sondern auch ein Ort, an dem sie ihre Kultur bewahren und weitergeben können. Viele von ihnen engagieren sich in Projekten, die syrische Traditionen fördern, sei es durch Kunst, Musik oder die Eröffnung von Restaurants oder Cateringdiensten.

Doch die Frage bleibt: Wie kann Deutschland und insbesondere Berlin für Geflüchtete eine langfristige Perspektive schaffen, die weder von Abschiebung noch von ungewisser Duldung geprägt ist? Darauf zu antworten, ist komplex und setzt politischen Willen voraus.

Ich habe aus diesen Gesprächen mitgenommen, dass Kreuzberg zeigt, dass Integration nicht nur ein politischer Begriff ist, sondern im Alltag gelebt werden kann. Es ist ein Ort der Hoffnung – nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle, die an eine Zukunft ohne Grenzen glauben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2025 (auf Seite 3).

Von Ruanda bis Kurdistan

Robert S. Plaul sprach mit Verleger und Bunkerbetreiber Enno Lenze

»Wenn viele Leute etwas wollen, ist es ein Geschäft«, sagt Enno Lenze. Das, was die Leute 2009 wollten, waren iPhones, doch die gab es in Deutschland nur zusammen mit einem Telekom-Vertrag. Also gründete er zusammen mit Randolf Jorberg kurzerhand die 3Gstore.de GmbH und importierte die Smartphones mit dem Apfel im großen Stil aus anderen EU-Ländern.

Doch das ist schon eine gefühlte Ewigkeit her, und das Smartphone, das jetzt bei unserem Gespräch vor ihm liegt, ist kein iPhone. Dafür ist es wasserdicht, sand- und stoßgeschützt und sieht ein bisschen aus wie ein Nothammer. Wofür man sowas braucht? Für Kriegsberichtserstattung von der IS-Front zum Beispiel.

Verleger, Bunkerbetreiber und Hobby-Kriegsberichterstatter Enno Lenze.

Foto: rspVerleger, Bunkerbetreiber und Hobby-Kriegsberichterstatter Enno Lenze. Foto: rsp

Über den Grünen-Politiker Siggi Martsch kam Enno 2010 das erste Mal als Urlauber in die Autonome Region Kurdistan im Irak. Er lernte neue Freunde kennen – doch die standen wegen des ISIS-Kriegs wenig später an der Front und kämpften bei den Peschmerga gegen den Islamischen Staat. Plötzlich hatte der Krieg Einzug in seine Facebook-Timeline gehalten. Doch während die Schrecken des Krieges für ihn auf diese Weise ganz nah waren, hatten westliche Medien noch nicht einmal Korrespondenten vor Ort.

Und so kehrte Enno Lenze immer wieder zurück nach Kurdistan, um selbst zu erfahren, wie die Situation vor Ort ist, und vor allem, um darüber zu berichten. Als Gast der kurdischen Regionalregierung ist er die gesamte Front zu den IS-Gebieten abgefahren und hat sich auch angesehen, wie Kurdistan mit der Flüchtlingssituation umgeht.

Auf fünfeinhalb Millionen Einwohner kommen dort nochmal zweieinhalb Millionen syrische und irakische Flüchtlinge. Das wird dort aber nicht etwa als soziales Problem angesehen, erzählt Enno, sondern nur als wirtschaftliche Herausforderung. »Irgendwo müssen die ja hin«, hat man ihm gesagt, als er fragte, wieso man so viele Menschen aufnähme. Tatsächlich bekommen sogar alle eine unbefristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Denn wer weiß, dass er im Notfall wiederkommen kann, geht auch freiwillig in seine Heimat zurück, so das Kalkül.

Die winzige Schramme an dem eigentlich unzerstörbaren Smartphone, das während unserer Unterhaltung mehrfach klingelt – es ist ein russischer Fernsehsender, der ein Interview will – stammt allerdings nicht aus dem IS-Krieg, sondern von einem Sturz in »seinem« Bunker.

Der Berlin Story Bunker ist sein jüngstes Projekt. Anfang 2014 – da hatte er gerade den Berlin Story Verlag, der Sachbücher über Berlin und seine Geschichte publiziert, ins E-Book-Zeitalter gebracht – übernahm er den Weltkriegsbunker am Anhalter Bahnhof. 17 Jahre lang hatte dort lediglich das »Berliner Gruselkabinett« residiert. Enno fing an zu entrümpeln und umzubauen. Vor einem Jahr zog das Berlin Story Museum dort ein, das einen kompakten Überblick über die Geschichte Berlins bietet. Demnächst soll noch eine Ausstellung über den Bunker selbst dazukommen.

Darum, Geschichte erlebbar zu machen, ging es auch beim Geschichtsfestival »Historiale« des gleichnamigen Vereins, bei dem Enno sich seit 1997 engagiert. Irgendwo in seinen Unterlagen, erzählt er grinsend, hat er aus jener Zeit noch die Genehmigung des Bezirks Mitte zur »Veranstaltung einer Märzrevolution«.

Ennos eigene Geschichte begann 1982 – mit fünf Jahren Aufenthalt in Ruanda, wo seine Eltern als Entwicklungshelfer tätig waren. Als er 1987 zurück in sein Geburtsland Deutschland kam, fand er die anderen Kinder im Kindergarten eigenartig unselbständig und dumm. »Die konnten nur eine Sprache sprechen, und die noch nicht mal richtig. Bei uns im Dorf gab es vier«, erzählt er von seiner Verwunderung.

Die »schlauen Kinder« traf er dann rund zehn Jahre später beim Chaos Computer Club (CCC), bei dem er schon wenig später zahlreiche Veranstaltungen mitorganisierte. »Niemand hat sich dort dafür interessiert, wie alt du bist, oder wie du aussiehst«, sagt Enno. »Das hat sich richtig angefühlt, anders als die Welt da draußen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2016.

Halina Wawzyniak will es wieder packen

Die Netzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken stellt sich im Dodo

Halina Wawzyniak mit KuK-Chefredakteur Peter S. Kaspar.

Foto: philsHalina Wawzyniak mit KuK-Chefredakteur Peter S. Kaspar. Foto: phils

Der Titel ist schon ein wenig sperrig: Netzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von »Die Linke«. Doch wer vor kurzem noch geglaubt hat, dass Halina Wawzyniak nur in einem Exotenfach unterwegs ist, dürfte sich spätestens nach dem NSA-Skandal eines Besseren belehrt sehen.

Vor vier Jahren war die heute 40jährige Juristin sehr überraschend über die Liste ihrer Partei in den Bundestag gekommen.

Im »Dodo« in der Großbeerenstraße erklärte sie beim Redaktionsgespräch der KuK mit Manuela Albicker und Peter S. Kaspar, wie sie das Kunststück wiederholen will. Rund 20 Prozent muss die Linke in Berlin erreichen, damit es wieder klappen kann. Das ist sehr ambitioniert, aber nicht ganz unmöglich. Das Gespräch wurde vor der Syrien-Krise geführt, die nach einigen Umfragen die Werte der Linken deutlich hat steigen lassen.

Was ihr Kernthema betrifft, nämlich die Netzpolitik, hatte sie Erfreuliches für Kneipen mitgebracht, die auf ein offenes WLAN setzen. Die sogenannte Störerhaftung soll endlich fallen. Danach kann bislang jemand, der WLAN zu Verfügung stellt, dafür haftbar gemacht werden, wenn ein Dritter über dieses frei zugängliche WLAN illegale Dinge herunterlädt. Diese Hürde gibt es nach ihren Worten in anderen europäischen Ländern kaum. Und sie ist gleichzeitig auch ein Hindernis für den flächendeckenden Ausbau von freien WLAN-Netzen.

Nach dem NSA-Skandal sieht sie selbst sich kaum in der Lage, konkrete Konsequenzen für sich und ihren Gebrauch von Sozialen Netzwerken wie »Facebook« und »twitter« zu ziehen. Zu wichtig sind sie auch für ihre direkte Kommunikation mit dem Bürger. Allerdings sieht sie auch Änderungen kommen. »Die Generation nach der Generation nach mir fühlt sich von Facebook gar nicht mehr so angesprochen. Da wird Facebook zum Teil schon als Seniorennetzwerk bezeichnet.«

Zwei andere wichtige Schwerpunkte in den vergangenen Jahren sah sie in ihrem Kampf gegen die steigenden Mieten in Kreuzberg und in der Asylpolitik. Da gibt es gleich zwei Protestcamps, nur einige hundert Meter voneinander entfernt. Beide hat sie zum Teil mehrfach besucht.

Das Protestcamp am Oranienplatz ist auch schon ins Visier der Neo­nazis geraten. Und da steht Halina Wawzyniak als wackere Kämpferin gegen alles was aus der Neonazi-Ecke kommt, schon lange. Durch ihre exponiertere Stellung als Abgeordnete lud sie natürlich den Zorn der braunen Gesellen auf sich, weil sie bei Gegendemonstrationen meist in den vorderen Reihen zu finden ist. Die Konsequenz: Drei Mal hat es in den letzten vier Jahren Anschläge auf ihr Bürgerbüro am Mehringplatz gegeben. Lässt sie sich beeindrucken? Sie meint: »Standhaft bleiben«.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.